Als ich mich zur Tür im Rücken umwandte, sah ich mich selbst da stehen. Schwarze Kluft, hellblonder Zopf, kaltes Gesicht. Vor mir - ihr- war der Vater auf die Knie gefallen und bettelte um das Leben seiner Frau mit dem kürzlich geborenen Kind. Als ich den Kopf langsam nach rechts drehte, stand die Frau neben mir. Das kleine Baby trug sie im Arm, die Augen weit aufgerissen. Sie zitterte am ganzen Körper.

Auch wenn ich ganz genau wusste, was passieren würde, öffnete ich den Mund, um mein Ebenbild zu stoppen. Aber die Zeit verlief nicht richtig. Noch ehe ich einen Ton rausbringen konnte, zuckte das Bild und der Mann lag mit aufgeschlitzter Kehle in seinem Blut, das die Rillen des Holzboden und sein Hemd tränkte. Die Mutter lag mit dem geworfenen Messer in der Brust neben mir. Die Augen stumpf und anklagend auf mich gerichtet.

Als ich meinen Blick wieder auf mein Ebenbild richtete, hielt es das Baby im Arm. Mit ausdrucklosem Gesicht sah es auf das schreiende Balg herab. Ohne zu blinzeln zog es die Klinge auch über seinen Hals, legte es auf dem Boden ab und wischte sich das Blut von dem Handschuh an der Hose ab.

Das hier war nichts neues. Diese Erinnerung hatte mich schon oft genug heimgesucht. In der Burg hatte ich mein Gewissen endgültig zum schweigen gebracht, nur so hatte ich sogar einen Säugling ermorden können.

Trotzdem zitterten meine Hände.

Plötzlich sah das Ich hoch und fixierte mich aus grauen Augen. Fast wäre ich zurück geschreckt. War es das, was man sah, wenn man meinem Blick begenetete? Tote Abgründe?

"Was würde wohl dein Prinz sagen, wenn er wüsste, wie deine Familie gestorben ist?"
Selbst meine Stimme war ohne eine Spur von Gefühl. Ich wusste es, und dennoch...
"Es ist unwichtig, was der Prinz denkt", presste ich hervor.

Mein Ebenbild lachte, falls man es als sowas bezeichnen wollte. Es war ein höhnischer Laut, nicht mehr.
"Versuch' gar nicht erst, mich zu belügen. Du bist schwach geworden in Koranée", das Ich trat näher zu mir, wobei es desinteressiert über die Leiche des Vaters hinweg stieg.
"Du zitterst. Ich kann die Panik in deinem Gesicht sehen,"

Es wollte mir nicht gelingen, meine Züge unter Kontrolle zu halten. Das hier war kein Traum, aus dem ich hochschrecken konnte, keine Erinnerung, die ich unterdrücken konnte und kein Gefühl dass ich verstummen lassen konnte.

Eine Weile musterte die Version meiner selbst meine Mimik.
„Es ist nicht die Tatsache, dass du Menschen getötet hast, weswegen du so reagierst", stellte sie fest, „Du willst die Wahrheit nicht anerkennen."

Mein Ebenbild riss mich an den Haaren zu sich, sodass sein Gesicht nah genug war, um seinen Atem zu spüren. "Sieh dem Monster ins Gesicht."
Seine behandschuhten Hände waren trotz des Stoffes kalt an meiner Kopfhaut. Schmerzhaft zerrte der Griff an meinem Haar, aber das war nur ein Pikser im Vergleich zu manchen anderen.

"Du bist ein Kind, das seine Eltern und seine neugeborene Schwester ermordet. Erzähl mir nicht, dass es dir in dem Moment etwas ausgemacht hat."
Ich konnte es nicht bestreiten. "Ich wusste nicht, dass es meine Eltern waren."
"Aber es hat auch keinen Unterschied gemacht, nachdem der König es dir gesagt hat. Du kanntest sie nicht, sie waren dir egal", stellte das Ich klar.

Als ich schwieg, zerrte es noch fester an meinem Haar.

"Horch in dich hinein und sag, dass du es bereust.", es trat mir mit dem Knie in den Magen, sodass ich mich vornüberbeugen musste, wenn auch ohne das Gesicht zu verziehen, "Sag es!"

Ich schloss die Augen, denn ich konnte es nicht. Für mich war meine Familie nur einzelne von vielen auf einer endlosen langen Liste an Leuten, die durch meine Hand ihren letzten Atemzug getan hatten. Ich hatte meine Eltern nie gekannt, sie bedeuteten mir nichts. Weder während der Tat, noch danach hatte ich irgendetwas gespürt.

Nemesis - Blut und Schwerter Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt