Scheiße.

Arnicus streckte die Arme aus.
„Ist das nicht herrlich? So viele Infizierte! So viel Leid, von dem ich zehren kann. Meine Familie wird mir zurückgeben müssen, was mir rechtmäßig gehört. Der Himmel steht mir zu! Er ist mein zu Hause. Ich habe es verdient von den Menschen verehrt zu werden, ihre Gaben zu empfangen. Ich bin ein Gott."
Am Ende halte seine Stimme donnernd durch die Schwärze und ich trat noch einen Schritt zurück. Die antrainierte Selbstdisziplin, half mir nicht viel, wenn all meine Instinkte in meinem Kopf schrillten.

Natürlich entging ihm mein Zurückweichen nicht, denn er wurde schnell wieder ruhig und ließ die Arme vorsichtig sinken. Seine Schultern sanken dabei ein Stück herab, als er leise fragte:
„Würdest du nicht auch alles tun, um nach Hause zurück zu kehren? An den einzigen Ort, an den du gehörst?"
Es brauchte ein paar Sekunden, bis ich meine Stimme wieder fand. „Ich habe kein Zuhause."
Interessiert legte er den Kopf schief.
„Stellt sich die Frage, wer von uns besser dran ist."

Er wartete gar nicht erst ab, ob ich etwas erwiderte, sondern ließ sich abrupt von der Schwärze verschlucken.

Mit rasendem Herzen starrte ich auf die leere Stelle. Mein Verstand wollte den auf ihn einprasselnde Informationen irgendwie nicht verarbeiten.

Die Seuche war eigentlich Arnicus Magie, die sich von den Menschen ernährte.
Allstair war sein Gefäß.
Und ich sollte sein Körper sein.
Ich sollte meinen Körper an einen verfluchten Gott abgeben!

Mit plötzlicher Wucht zog sich die Schwärze in die Ecken zurück aus denen sie zu Anfang gekommen war.

Ich stolperte ein paar Schrittes zurück und prallte gegen Allstairs harte Brust. Sofort hielt er mich an den Oberarmen fest und verhinderte, dass ich auf Abstand gehen konnte. Mein Herz raste noch von dem, was Arnicus mir erzählt hatte. Während mein Geist noch versuchte zu verarbeiten, dass da ein verdammter Gott vor mir gestanden hatte, rasten meine Gedanken bei der Tragweite dieses Komplotts von Allstair und Arnicus.

Die Seuche diente dazu, Arnicus zu stärken. Mit jedem Infizierten würde er stärker werden, um dann... ja um was zu tun? Rache an seinen Eltern und Schwestern? Oder auch an uns Menschen selbst?

„Der einzige Zweck deines Daseins ist es, Arnicus in dich aufzunehmen. Dafür habe ich dich trainiert. Dafür habe ich dich stark gemacht."
Ich spürte Allstairs Atem an meinem Ohr und mein ganzer Körper versteifte sich. Natürlich bemerkte er die Reaktion und schnalzte missbilligend mit der Zunge.

Seine Hände an meinem Körper. Seine Lippen auf meinen Mund.

Die Erinnerungen drohten mich zu übermannen, als er mit den Knöcheln über meine Wange strich. Mein Atem beschleunigte und meine Selbstbeherrschung wankte.

Leise lachend, ließ er mich los und ging um mich herum.
„Freut mich zu sehen, dass du mich nicht vergessen hast."
Ich erwiderte nichts. Alles, was ich mir wünschte war ein Messer in der Hand. Eine Waffe, an die ich mich klammern konnte, auf die ich mich berufen konnte.
Ich fühlte mich schwach in seiner Gegenwart. Etwas, was ich nie wieder hatte sein wollen.

„Los, stell deine Fragen", forderte er mich barsch auf. Abwartend legte er seine Hand auf seinem Schwertgriff ab. Ich registriere die Bewegung und vermisste das fehlende Gewicht an meiner Hüfte.

„Wofür braucht Ihr Drystan und Chara, wenn ich Arnicus' Körper sein soll?", meine Stimme war dünn und erst eine Sekunde später bemerkte ich meinen Fehler.
Die erste Frage, die ich gestellt hatte, galt nicht Leymalien, Koranée oder mir selbst.
Sie galt Drystan.

Ich erkannte an der Art wie er mit der Antwort wartete, dass er genau wusste, was ich preisgegeben hatte.

„Prinzessin Chara und Prinz Drystan sind Gefäße, wie ich es bin. Von Riniah und Xenos", antwortete der König schließlich. Das Gewicht seiner Augen auf mir drückte mich nieder. „Diese Tatsache kann mir von Nutzen sein."
Ich blinzelte.
Sie waren eine Gefahr für seinen Plan.

Nicht nur er hatte all die Jahre Zeit gehabt, jede meiner Gesten und Züge zu studieren. Ich hatte das gleiche getan. Besser als jeder andere wusste ich, wie der leymalische König tickte. Ich hatte seine Pläne ausgeführt, ich wusste aber auch, wie er sie aufbaute.

Er wollte die beide Königskinder hier haben, wo er sie kontrollieren konnte.

Und plötzlich gab noch mehr Sinn: deswegen hatte er Drystan in erster Linie töten wollen! Die Anschläge!
Das primäre Ziel war es nicht den koranéeanischen König oder das Land zu schwächen, man wollte ein Risiko aus dem Weg räumen!
Aber nun musste er einen Weg gefunden haben, einen Vorteil daraus zu ziehen. Was hatte sich geändert?
Und inwiefern konnten Chara und Drystan ihm gefährlich werden?

„Ihr seid in das Schloss einmarschiert. Ihr könntet die Stadt mit den Infizierten mühelos einnehmen", meine Stimme gewann langsam die leere Gleichgültigkeit zurück, „Warum braucht ihr jetzt noch die Königskinder?"
Ihm vorzumachen, sie würden mich nicht interessieren, hatte keinen Sinn mehr.

„Ah", machte er amüsiert, „Dich wurmt es, dass du meine Strategie nicht verstehst."
Ich schwieg, während ich mich anstrengen musste, um seinen Blick standzuhalten.

Fünf Infizierte hatten mich nicht töten können, der König von Koranée hat mich nicht gekriegt und ich hatte eine Infektion überlebt.
Und hier stand ich, verängstigt wie ein kleines Kind allein wegen seiner Gegenwart.
Schwach.

Allstair zuckte die Schultern. „Die Eroberung ist nur das untergeordnete Ziel. Ich will die Minen und ich will Infizierte. Alles andere hat keine Eile oder sind nur Krümmel, mit denen ich die Clans bei Stange halte."
Genervt machte er eine Bewegung über die Schulter.
„Diese nervigen Clans. Clans und Politik."

„Wieso die Minen? Wegen dem Schwarzstahl?", fragte ich weiter, „Ich bezweifle, dass es Euch um das Zurückgewinnen der Heimat geht."
Allstair bestritt es nicht. „Schwarzstahl kann Magie in sich halten und leiten. Eine mächtige Waffe, wenn man weiß, wie man es bearbeiten muss. Oder wenn man einen Gott als Verbündeten hat."

Je länger er erzählte, desto mehr bekam ich es mit der Angst zu tun. Das waren wertvolle Informationen, die er mir gab.
Ich atmete ein.
Er rechnete nicht damit, dass ich diese Wände verlassen würde.

Aufmerksam wie der König war, bemerkte er meinen unregelmäßigen Atem. Ruckartig klatschte er in die Hände und grinste, als ich zusammen zuckte.

„Nun da du genug weißt, um dich zu fürchten... Es gibt einiges, wofür ich dich zurechtweisen muss."
Mein Mund wurde trocken, als er die Hand hob und begann an den Fingern abzuzählen.
„Ungestatteter Mord an einem Landsmann, die Flucht, Verrat an deinem eigenen Land, Ermordung der Zwillinge..."
Er ließ die Hand wieder sinken. Zeitgleich wurde es dunkel im Raum und seine schwarzen Augen bohrten sich in meine.
„Wer gestorben ist, ist mir egal. Sie sind Schachfiguren und sie sind austauschbar. Nein..."
Er schüttelte den Kopf.
„Nein, du hast dich mir wiedersetzt."

Die Schatten verdichteten sich und wirbelten um uns herum. Nur der Boden zwischen mir und dem König war noch zu sehen, der Rest verschwand in einem schwarzen Wirbelsturm.
Wind kam auf und zerrte an meinem Zopf. Der Umhang des Königs flatterte ebenfalls und ließ die lange Scheide seines Schwertes sichtbar werden.

„Du hast meine Autorität bewusst untergraben und dabei die Augen vor deiner wichtigsten Lektion verschlossen:
Du gehörst mir. Dein Leben, dein Handeln und dein Körper. Entscheidungen"
Er spuckte mir das Wort vor die Füße, während der Sturm immer wilder wurde.
„Entscheidungen hast du nicht zu treffen."

Seine Augen waren funkelnde Steine inmitten der Schwärze um uns herum. Ihre Kälte drang mir bis ins Mark und würde ich daran glauben, dass sie mich erhörten, hätte ich zu den Göttern gebetet.
Bei diesem Blick war eins sicher: ich würde mir wünschen, ich wäre tot.

Die Augen weiterhin auf den König gerichtet wappnete ich mich innerlich. Versuchte meinen Geist von meinem Körper zu trennen, der mich Schmerz ertragen ließ.

„Oh dein Körper ist nicht mein Ziel."
Der König bemerkte, wie ich versuchte mich von mir selbst zu entfernen.
„Ich will deinen Geist."

Mit einem wilden Lächeln, das seine Zähne entblößte, ließ er den Umhang von seinen Schultern gleiten. Er wurde vom Wind mitgerissen und vom schwarzen Sturm verschluckt.
„Ich habe Magie geschenkt bekommen und es gibt noch einiges, was ich noch nicht ausprobiert habe."

Nemesis - Blut und Schwerter Where stories live. Discover now