2.

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Eine kleine Weile lang trug er sie noch so weiter, über Stock und Stein springend und rennend, als würde sie ihn kein bisschen behindern und auch gar nichts wiegen, derweil sie nun beinahe schon zu dösen begann. Es war so schwül hier, sie schwitzte heftig und bei seiner immensen Geschwindigkeit, konnte sie noch nicht mal hinsehen, ohne dass ihr schwindelig wurde. Also ergab sie sich schließlich in ihr Schicksal. Blieb ihr ja auch gar nichts anderes übrig, denn der Tod oder zumindest diese nächste Welt, war warm und roch auch irgendwie echt gut... nach Blumen und ein bisschen herbe...
Hm... also trug er sie nun zu einem Ort an dem sie ihr früheres Leben vergessen würde? Dann war zu sterben wirklich doch viel anstrengender als gedacht.

Da legte er sie plötzlich einfach so auf den Boden ab und sagte etwas, das grollend und laut klang... ein Ruf? Sie Versuchte die Augen zu öffnen, aber sie war so unendlich müde. Ja todmüde. Musste das so sein? War das normal?
Schon kamen eilige Schritte näher, griffen viele andere Hände nach ihr, deutlich fester als er es zuvor getan hatte und richteten sie auf.
Kati stöhnte laut auf und riss ihre bleischweren Augenlider wieder auf.
Der Junge Mann stand nun mitten auf einem großen Platz, eine Lichtung im Urwald, umgeben von Halbkugel-Hütten auf hohen Plattformen die aus Stockgeflechten hergestellt worden waren. Kati sah sich kurz verwirrt, benommen wie auch ängstlich um, bevor sie dann wieder ihn anblickte. Er atmete sichtlich schwer.
Also hatten ihm die Rennerei durch den Dschungel und ihr Gewicht doch was ausgemacht. - Oder?

Sie sah ihn immer noch rätselnd an, während die anderen Urwaldbewohner sie nun aufhoben und wegtrugen, zu viert oder fünft. Sie sah nur überall gebräunte Haut, langes oder kurzes schwarzes Haar und hörte raunendes Stimmengewirr... dazu dasselbe klicken und abgehackte Wortkauderwelsch, dass der Typ bereits öf ; l lzu ihr gesprochen hatte. Aber er war weiß und die anderen hier ... nicht?!
Sie drehte verwirrt den Kopf...
Der Junge blickte ihr immer noch hinterher und seine hellblauen Himmelsaugen bohrten sich nun regelrecht in sie hinein.
Dann war er plötzlich weg und sie fühlte sich weiter getragen, stöhnte leise auf. Es wurde wieder dunkler um sie herum und etwas roch da ganz seltsam. Sie zwang sich ihre Augen wieder zu öffnen, da legten die indigen aussehenden Menschen, die sie trugen - und es waren tatsächlich alles Frauen - sie auf einem Haufen weicher Felle ab und begannen sachte damit ihr die angesengten, leicht zerrissenen und auch schmutzigen Kleidungsstücke auszuziehen. Ebenso ihre Ringe und ... einfach alles.
Hu... also musste sie sich nun auf diese Weise von ihrem letzten Leben verabschieden, bevor es nun weiter ging?
- Auch egal.
Sie war so müde... zitterte... schniefte leise auf.
Ein leiser Gesang hub an, der seltsam klang. Wieder so klickend. Jemand schlug dazu rythmisch eine kleine Handtrommel. Kati wehrte sich nicht, als sie von den Frauen ausgezogen und gewaschen wurde und anschließend gleich danach neue Kleider angezogen bekam. Ein langes Hemd ohne Ärmel und wildlederne Hosen. Aber schließlich war sie ja nun hier im Himmel oder? Sie konnte ihr altes Leben nun nicht mehr weiterleben, es war vorbei.
Schwer atmend lag sie einfach nur da und starrte bebend vor sich hin, lauschte dem merkwürdigen Singsang, während ein Mädchen mit schwarzen langen Haaren nun auch ihr die Haare ausbürstete.
Ja... ihre langen, blonden Haare.
Irgendwann schlief sie schließlich ein und der Gesang folgte ihr bis in ihre wirren Träume.

Als sie wieder aufwachte war sie alleine, oder zumindest glaubte sie das, als sie kurz gähnte und sich dann schlaftrunken aufrichtete. Blinzelnd rieb sie sich die Augen, bevor sie an sich herabblickte und verwirrt die feinen blauen Linien und Muster auf dem naturweißen Hemd betrachtete das schwerer als gewöhnlicher Stoff war und sich aber zugleich herrlich weich anfühlte.
Ihr Hals und ihre Kehle fühlten sich allerdings rau an und trocken. Das kam wohl auch noch vom Übergang hierher, dachte sie kurz besorgt und blickte traurig vor sich hin.
„Warum bin ich denn nur nicht mit meiner Familie zusammen im Himmel gelandet? Sie müssten doch auch da sein. Sie müssten doch mitgekommen sein... oder ist das hier schon ein nächstes Leben, ganz ohne sie?", flüsterte sie leise und furchtbar verwirrt vor sich hin.
Denn sie erinnerte sich immer noch. Ihr altes Leben war noch nicht vergessen.
Da raschelte und bewegte sich etwas in der Ecke. Sie wandte sich erschrocken um und sah dort den Jungen Mann, der sie hergetragen hatte hocken und sie seltsam stirnrunzelnd beobachten.
Kati biss sich kurz auf die Lippe bei seinem Anblick.
Jetzt, so ganz ohne Schock und Verwirrung von dem brutal harten Übergang hierher sah sie ihn zum ersten Mal richtig an und bemerkte seine athletische, durchtrainierte Statur und auch seine Größe, trotz, dass er da hinten in der Ecke hockte. Sein Hemd, das er nun tatsächlich trug, war grau und verblichen. Er trug außerdem eine Kette mit dem großen Reißzahn eines wilden Tieres um den Hals, vielleicht ein Bär oder Tiger oder ein Krokodil. Seine Haare waren so blond wie ihre, sogar noch ein wenig heller und wellten sich bis auf seine Schultern herunter, doch hatte er sich knapp die Hälfte davon nun am Hinterkopf zu einem Zopf geschlungen. Sein Gesicht wirkte etwas zu kantig für einen indigenen Eingeborenen, doch hatte er europäische, klassische Züge unter der Roten Farbe, die tatsächlich bis knapp unter die Augen reichte und sein ganzes unteres Gesicht bedeckte. Das war tatsächlich kein Blut.
Aber es störte sie nicht, im Gegenteil. Es sah schon alleine wegen seiner irren himmelblauen Augen unglaublich gut aus.
Sie erinnerte sich allerdings daran, dass er ihre Sprache nicht verstand, also hob sie nur verlegen errötend eine Hand und winkte ihm kurz zu. „Hi", sagte sie dabei.
Er runzelte darüber nur ganz kurz die Stirn, doch dann hob auch er seine Hand und winkte steif. „Hi.", wiederholte er leise.
Es klang angenehm.
Seine Stimme war genauso schön wie er es war, dachte sie bei sich und lächelte unsicher zu ihm auf, als er nun langsam aufstand und ein paar Schritte näher herankam.
Nur noch zwei Meter entfernt hockte er sich dann wieder hin – und schwieg. Blickte sie nur wieder eindringlich an.
„Kannst du mich verstehen?", fragte sie ihn schließlich nur leise und deutete auf ihn.
Er runzelte wieder kurz die Stirn und deutete auf sich selbst.
„Iiron.", sagte er mit Betonung auf dem i.
Sein Name, dachte sie kurz und deutete auf ihn. „Iron?", fragte sie ihn scheu und englisch aussprechend, Eisen - Iron.
Er zog kurz die Brauen zusammen. „Iiii-ron!", machte er die Betonung noch deutlicher.
„Iiron!", wiederholte sie also leise und deutete erneut auf ihn.
Er nickte kurz und deutete dann auf sie. „Nak'ruh mari?", fragte er sie unverständlich.
„Kati.", deutete sie mit dem Finger auf sich selbst und er wiederholte sanft klingend ihren Namen: „Kati!" und rutschte gleich noch einen Schritt näher an sie heran.
Kein Zweifel... er war sich unsicher, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Dachte wohl, sie hätte nun vielleicht Angst vor ihm.
Aber alles was sie zur Zeit fühlte war nur eine tiefe Trauer über das Ende ihres letzten Lebens und das Verbringen ihrer Seele hierher an einen so fremden Ort, wo man sie noch nicht einmal verstand und sogar ganz fremde Sprachen sprach.
„Das wird sicherlich noch kompliziert werden. Du sprichst meine Sprache nicht und ich auch nicht deine... Iiron.", sprach sie ihn an und er runzelte wieder kurz die Stirn, neigte den Kopf wie fragend zur Seite. Er wollte sie verstehen, wusste Kati, genauso wie sie ihn gerne verstehen wollte.
Aus der Nähe betrachtet sah er sogar noch viel besser aus. Es machte sie schon ein bisschen nervös und kribbelig einen so toll aussehenden Jungen neben sich hocken zu haben, der auch noch versuchte mit ihr zu sprechen.
Denn Kati war es schlicht nicht gewohnt, das jemand sie auch nur bemerkte. Sie war generell schüchtern und eher ein Bücherwurm als eine Draufgängerin.
Heftig schluckte sie und fühlte den Durst wachsen. Ob sie ihn das fragen konnte? Würde er sie verstehen?
„Kann ich bitte was zu trinken haben? Einen Becher Wasser vielleicht? Water... Aqua?, versuchte sie es auf Englisch und auch Italienisch.
Er runzelte aber nur die Stirn und neigte wieder den Kopf leicht zur Seite also zeigte sie es ihm an einer Trinkbewegung an. „Trinken?", fragte sie ihn wieder und berührte danach kurz ihren Hals, krächzte und räusperte sich ein bisschen. Da nickte er nur einmal sehr ernsthaft und stand geschmeidig auf, lautlos verschwand er aus dem Raum und Kati blieb verwirrt zurück.
Die Sekunden zogen sich hin. Schließlich stand sie auf und schwankte kurz ein wenig, hielt sich an der innen mit weichem Leder bespannten und mit Fellen verkleideten Wand fest, an einem großen Holzstab in der Mitte der das ganze Hütten-Konstrukt hauptsächlich stützte, bis sie sich sicher war nicht gleich wieder umzufallen, während sie ihr Gleichgewicht und ihre Kraft suchte.
Warum fühlte sie sich gerade nur so furchtbar schwach?, dachte sie erneut seufzend und lehnte ihre Stirn kurz und tief durchatmend an den Stab an und schloss die Augen.
Eine sachte Berührung an ihrer Schulter ließ sie dann aber rasch wieder aufblicken.
Er war schon zurück mit einem Schlauch aus Tierhaut der mit einem Pfropfen verstopft war.
Sie sah ihn nur verwundert an. Sie hatte ihn nicht einmal hereinkommen gehört. Und dann jetzt auch noch Schläuche und Holzschalen, die er ihr nun reichte? Kannten die Leute hier denn keine Becher und Flaschen? War sie nun vielleicht eine Zeitreisende und in der Steinzeit gelandet?
Zweifelnd was ihr hier nun angeboten würde, nahm sie die Schale, die er ihr wie mit einer Zeremonie begleitet mit einer flüssigen Geste darreichte, entpfropfte den Schlauch und goss ihr eine rote Flüssigkeit in die Schale ein.
„Wein?", fragte sie ihn zuerst verwirrt.
Er ließ den Schlauch sinken und nickte ihr schließlich auffordernd zu. Sie sollte probieren. Aber zuerst einmal roch sie daran, ob es scharf oder nach Alkohol roch... nein eher süß.
Also nippte sie und schmeckte Beerensaft. Oder Traube? Hastig, weil sie solchen Durst hatte leerte sie die Schale auf einen Zug und hielt sie ihm dann wieder hin.
Er lächelte kurz zögerlich und goss ihr dann mit einem leicht verwirrten Stirnrunzeln nochmals ein, was sie wieder hastig austrank. Und noch ein drittes Mal.
Dann erst reichte sie ihm die Schale zurück und nickte kurz. „Danke. Das war sehr gut."

Er nahm die Schale nun mit einem kurzen Stirnrunzeln zurück und nickte ebenfalls. „Das... war sehr gut?", wiederholte er ihre Worte fast vollkommen akzentlos und neigte den Kopf fragend zur Seite.
Wollte wohl wissen was ihre Worte bedeuteten. Also runzelte sie auch kurz die Stirn und deutete auf den Schlauch und lächelte, nickte und hob den Daumen, tätschelte ihren Bauch und nickte wieder. „Gut!, sagte sie dabei und nickte wieder. „Das!", zeigte sie auf den Schlauch „...war gut! Guter Saft!", deutete sie wieder auf den Schlauch.
„Saft?", fragte er sie irritiert und sie überlegte kurz wie sie es ihm erklären konnte, schnappte sich die Holzschale zurück und leerte den letzten Tropfen aus der Schale auf ihre Handfläche und zeigte sie ihm, während sie die Schale auf den Boden stellte. Dann deutete sie auf den Tropfen in ihrer Hand.
„Saft.", wiederholte sie und deutet dann wieder auf den Schlauch. Er nickte nur und schien es zu begreifen.
„Saft... war gut.", deutete er auf ihren Bauch und ehe sie es sich versah rieb er sachte darüber.
Verblüfft blinzelnd blickte sie zu ihm hoch und lächelte schließlich schüchtern. Aber dann nickte sie kurz. „Ja, guter Saft.", wiederholte sie noch einmal.
„Guter Saft.", sagte auch er noch mal nickend und hob dann seine Hand an seinen Mund als würde er etwas essen.

„Kati... harruk' kra marre?", fragte er sie sehr rrrr- rollend.
„Harr-ukra mare?", wiederholte sie leise. Er nickte kurz wieder stirnrunzelnd und wiederholte die Bewegung.
Sie nickte nur zögerlich. Da fasste er sachte ihre Hand und zog sie mit kurzem schiefen Blick hinter sich her aus dem Hüttchen heraus.

Im Herzen des DschungelsМесто, где живут истории. Откройте их для себя