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Gedankenverloren lief ich durch die Straßen. Ich wusste nicht, ob es die beste Idee wäre, mich dort blicken zu lassen. Doch was sollte ich denn schon mehr verlieren? Ich hatte doch vermutlich meinen Freund verloren. Wie sollte ich das später nur meinem Kind erzählen? Was sollte ich ihm erzählen? Ich konnte meinem Kind doch schlecht sagen, dass sein Vater einfach weg ist, weil er nicht im Krankenhaus bleiben wollte und seine Gesundheit aufs Spiel setzte. Andererseits, vielleicht war doch noch nicht alles verloren. Was wäre, wenn er sich doch um sein Kind kümmert? Ich war schließlich diejenige, die ihm die Wahl stellte und die ihn verlassen würde, wenn er wirklich das Krankenhaus verlässt. Meine Gedanken bereiteten mir Kopfschmerzen. 

Mittlerweile zweifelte ich noch mehr an meiner Idee. Wir hatten uns eine Weile nicht gesehen und den Kontakt verloren. Es wäre sicher seltsam, wenn ich plötzlich vor seiner Tür stehen würde. Kurz, bevor ich da war, wollte ich einen Rückzieher machen, doch ich ließ es bleiben. Diesen Schritt wollte ich wagen und schauen, wie er auf mich reagieren würde. Die letzten Meter ging ich weiter und klingelte an seiner Tür, als ich dort ankam. Wieder dachte ich, dass es eine blöde Idee wäre. Woher sollte ich wissen, ob er Zuhause wäre oder nicht? Er war schließlich oft unterwegs und nicht sehr oft zu Hause. Erst jetzt merkte ich, wie blöd meine Idee doch eigentlich war. Gerade wollte ich mich umdrehen und gehen, doch da öffnete sich die Tür. „Elena!", sagte er erstaunt. „Hey Wincent", sagte ich verlegen. „Lange nicht mehr gesehen, aber freut mich. Du, ich wollte gerade ins Studio fahren. Gibt's einen bestimmten Grund, weshalb du hier bist?" Es war komisch ihn zu sehen und auch ein wenig unangenehm. Was hatte ich mir dabei nur gedacht? „Ich dachte, ach egal, vergiss es. Ich bin schon wieder weg", meinte ich. Ich merkte, wie mir langsam die Tränen in die Augen stiegen. Diese versuchte ich zu unterdrücken. „Nein, schon gut. Irgendwas ist doch. Ich hab noch Zeit, wenn du willst, dann können wir hochgehen und reden." Vorsichtig griff er nach meiner Hand und wollte mich hoch zur Wohnung ziehen, da machte ich einen Schritt zurück und nahm meine Hand aus seiner. „Du hast keine Zeit, oder? Also ich kann auch später wieder kommen oder morgen. Ich will dich nicht auf-" „Tust du nicht. Oder ich nehme dich einfach mit ins Studio, dort können wir kurz reden, wenn du willst." Ich wollte ihn nicht aufhalten und lehnte dankend ab, doch er bestand darauf, dass ich mit ihm ins Studio komme. Und das konnte ich am Ende doch nicht ablehnen.

Dort angekommen, fiel ich ihm in die Arme und fing leise an zu weinen. „Ich war echt überrascht, als du plötzlich vor meiner Tür standst", flüsterte er mir ins Ohr. Da bekam ich eine leichte Gänsehaut. „Ich kam gerade vom Krankenhaus und dachte, ich könnte mal bei dir vorbeischauen. War nicht die beste Idee, weil ich ja nicht wusste, ob du Zuhause bist oder unterwegs", meinte ich, nachdem ich mich beruhigt hatte. „Wieso Krankenhaus? Ist alles gut bei dir?" Ich nickte und schüttelte den Kopf. „Lange Geschichte. Aber ich hab nichts. Am Ende hat es mich doch sehr viel Überwindung gekostet, bei dir vorbeizuschauen." Wincent war mein Ex-Freund. Wir hatten uns vor knapp einem Jahr im Guten getrennt. Wir fanden es beide besser so, da wir gemerkt haben, dass es nicht wirklich funktioniert, auch wenn unsere Gefühle füreinander stark waren. Da gab es einfach ein paar Dinge, die uns im Weg standen, die wir nicht einfach bei Seite räumen konnten. Nach der Trennung waren wir noch Freunde, doch als ich jemanden kennenlernte, entfernte ich mich von Wincent, bis der Kontakt endgültig abbrach. Für mein Empfinden war es das Beste, da ich das Gefühl hatte, dass Wincent und ich noch nicht ganz abgeschlossen hatten und das was zwischen uns war, meiner neuen Beziehung im Weg stehen könnte. 

„Du kannst mir sagen, was dich bedrückt. Ich sehe doch, dass etwas los ist." Wincent kannte mich noch ziemlich gut. Ihm konnte ich nichts vormachen. Also atmete ich einmal tief durch und beschloss, mit ihm darüber zu reden. „Also gut", fing ich an. „Mein Freund, besser gesagt mein Ex-Freund, hatte einen Autounfall letzte Woche." An diesem Punkt stoppte ich. Es fiel mir doch schwerer darüber zu reden, als gedacht. Da legte Wincent seinen Arm um mich und zog mich näher an ihn. „Er wollte heute gegen den ärztlichen Rat gehen. Ohne mit mir darüber zu reden und ohne an mich oder mein Baby zu denken. Ich habe ihm die Wahl gestellt. Wenn er geht, dann ist das mit uns vorbei und so wie es aussieht, ist es vorbei", schluchzte ich. Da liefen mir wieder ein paar Tränen über die Wange. „Dein Kind?", fragte er. Ich hielt kurz die Luft an. Ich sprach es aus, ohne darüber gedacht zu haben, denn eigentlich wollte ich es nicht sagen. „Na ja, ich bin schwanger, in der 10. Woche." Als er dies hörte, schien er sich für mich zu freuen, während ich neben ihm saß und weinte. „Sh, ich bin stolz auf dich. Es wird schon alles gut", meinte er und hauchte mir einen Kuss auf den Ansatz. „Ich bin jetzt alleine mit meinem Baby, zumindest glaube ich das. Was soll daran gut sein?" Meine Tränen wischte ich mir aus dem Gesicht, hob meinen Kopf an und schaute ihn fragend an. „Ich bin stolz darauf, dass du zu mir gekommen bist und mir das anvertraut hast. Klar, wir haben uns eine Weile aus den Augen verloren, aber ich bin noch für dich da." Da wurde mir ganz warm ums Herz. Ich hatte Wincent mehr vermisst, als ich dachte, das wurde mir gerade bewusst. „Vielleicht bekommt ihr das ja wieder hin. Ich würde es mir für dich wünschen." Er brachte mich etwas zum Grinsen, doch so optimistisch wie er, war ich nicht. 

Müde kuschelte ich mich an ihn und schloss für einen Moment die Augen. Es war doch das Beste gewesen, bei Wincent aufgetaucht zu sein. Nun fragte ich mich, weshalb ich mich damals von ihm distanziert hatte. Wincent war etwas Besonderes und ich brauchte ihn als Freund. „Ich hab genug von mir geredet. Erzähl mal was von dir." Wincent überlegte kurz. „Na ja, so viel hat sich nicht verändert. Keine neue Freundin, falls du das wissen wolltest. Ich arbeite gerade an meinem neuen Album, bin also ziemlich beschäftigt. Das Übliche, kennst du ja. Und mir geht es gut." Mich freute es zu hören, dass es ihm gut ging. „Wenn du willst, dann kannst du noch bleiben. Kevin kommt gleich und wir müssen noch etwas aufnehmen, aber danach können wir was machen. Noch mehr Ablenkung könnte dir nicht schaden." Aus Spaß kniff er mir leicht in die Seite und brachte mich damit zum Lachen. „Danke Wincent. Ach, noch eine Frage. Stimmt deine Nummer noch oder hast du eine neue? Also ich mein' ja nur wegen..." Wincent fing an zu lachen und nickte. „Klar stimmt die noch. Aber du kannst ja nochmal nachschauen." Lachend holte ich mein Handy aus meiner Tasche und drückte es ihm in die Hand. „Schau du mal nach", meinte ich. 

„Stimmt so. Elena, ich will echt nicht so neugierig sein, aber du hast da eine Nachricht von Florian bekommen." Bei dem Namen Florian blieb mein Herz für eine Sekunde stehen. „Nicht lesen. Florian ist der Vater meines Kindes, also mein Ex-Freund." Nun war ich gar nicht mehr in der Stimmung zu lachen. Mein Handy riss ich ihm aus der Hand und packte es zurück in meine Tasche. „Ich habs nicht gelesen, nur das was mir angezeigt wurde. An deiner Stelle würde ich es lesen, es hörte sich wichtig an." Nun war ich auch neugierig. Vermutlich hatte Wincent recht und ich sollte die Nachricht lesen. Mein Handy, welches ich eben in die Tasche gepackt hatte, holte ich wieder raus. Einmal atmete ich tief durch und ging auf den Chat, während Wincent seinen Arm um mich gelegt hatte und versuchte mich zu beruhigen. 

Wer Wenn Nicht WirWhere stories live. Discover now