Prolog

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Fjallendal.

Unter einem makellos blauen Himmel erstreckten sich saftig grüne Steppen, mit den prächtigsten Blumen und majestätischsten Bäumen, die diese Welt je gesehen hatte. Nachdenklich stützte ich mein Kinn auf meinen Handrücken auf und seufzte, während mein Blick über die Stadt unter mir flog. Die Menschen waren von hier oben nur so klein wie Ameisen aber genauso schnell und tüchtig. Es war Sommer und dennoch konnte man den Schnee auf den gigantisch großen Kolossen von Bergen im Hintergrund sehen. Dieses Gebirge trennte unser Königreich von einem weiteren Königreich, Voelkandra. Es gab noch sechs weitere, die allesamt etwas weiter weg von uns lagen. Doch keines von ihnen hatte ich bisher besucht, oder sollte ich besser sagen, durfte ich besuchen?

Die Jahre vergingen, doch die Erinnerung meines Vaters an diesen Tag, sollte niemals verblassen. Jedes Jahr wurde zur Ehren der Verstorbenen ein großes Fest veranstaltet, das Lichtergedenk, wo auch das Königspaar anwesend war. Viel kann ich nicht dazu erzählen, schließlich war ich noch ein Baby, als dies zum letzten Male stattfinden sollte. Einer der Bräuche diesen Tages war es, dass jeder Bewohner unseres Königreiches dem König und der Königin eine geschmückte Kerze überreichen durfte, die gegen Ende des Abends feierlich entzündet wurde. Aus den Erzählungen ging hervor, dass ein armer Bettler die Stufen zum Königspaar hinaufstolperte und die Königin dessen zur Hilfe eilte. Ihre Hilfsbereitschaft und Güte sollte ihr zum Verhängnis werden. Sobald sie sich zu ihm hinunterbeugte, um ihm aufzuhelfen, stieß er ihr ohne zu zögern einen Dolch in die Brust und sie brach vor den Augen der Bewohner und des Königs zusammen. Die Wunde war so tief, dass sie noch in den Armen meines Vaters verstarb.

An diesem Tage wurde mein Schicksal für immer besiegelt.

Feste, Bälle und andere kulturelle Veranstaltungen wurden für mich verboten. Auch Reisen wurden mir verwehrt. Nur andere Adelsfamilien oder Verwandte durften mich noch besuchen.

Kontakt zu meinem Volk? Undenkbar!

Man behandelte mich wie ein rohes Ei, vorsichtig, distanziert und ohne Selbstbestimmung. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, es wurde selbst den Angestellten verboten mit mir zu sprechen oder mich gar anzustarren. Letzteres würde sich als schier unmöglich erweisen, schließlich war ich das Ebenbild meiner Mutter. Bis auf das Haar, welches mir bis zur Taille reichte und in langen, blonden Wellen herabfiel, hatte ich all ihre Schönheit geerbt. Eisblaue Augen, ein perfekter Teint, wie der einer Porzellanpuppe und einer betörenden Figur, wie sie die Bildhauer seit Generationen in Stein meißelten.

Trotz aller Widrigkeiten gelang es mir, über all die Jahre zwei besondere Freundschaften aufzubauen. Zu meiner Kammerzofe Noemi, die gleichen Alters war und zu Anthony, von allen nur Tony genannt, meinem Leibwächter. Der König war überdies natürlich nicht amüsiert. Doch je mehr er versuchte, mich wegzusperren, desto mehr rebellierte ich.

Im zarten Alter von acht Jahren entschloss ich mich, dem goldenen Käfig meines Schlosses zu entfliehen und die Freiheit der Welt da draußen zu erkunden. Getrieben von kindlicher Neugier und  einem unbändigen Entdeckerdrang, schlich ich mich heimlich durch das unterirdische Tunnelsystem und wagte mich in die bezaubernde Stadt, die ich bisher nur aus der Ferne kannte. 

Die pulsierende Energie der Menschen, das bunte Treiben der Marktstände und die schmalen Gassen voller Geheimnisse zogen mich magisch an. Ich huschte zwischen den Passanten hindurch, niemand schien einem jungen Mädchen groß Beachtung zu schenken und mein Herz schlug vor Aufregung wie ein wilder Vogel in meiner Brust. Für einen kostbaren Moment fühlte ich mich wie ein ganz normales Kind, das die Welt mit ungetrübter Begeisterung erkundet. 

Auf meiner abenteuerlichen Erkundungstour stieß ich auf einen Jungen, dessen grün funkelnde Augen voller Lebensfreude und Abenteuerlust waren. Sein Lächeln und seine unbeschwerte Art zogen mich sofort in ihren Bann. Er zeigte mir seinen Lieblingsort der Stadt, einen versteckten Hinterhof, der von wilden Blumen umrahmt war, welcher fortan als unser Treffpunkt fungierte. 

Wir verabredeten uns jede Woche um die gleiche Zeit und stürzten uns gemeinsam in kleine Abenteuer. Er öffnete mir die Augen für die Geheimnisse der Stadt, die nicht in den prächtigen Fassaden zu finden waren, sondern in den Geschichten der Menschen, die sie bevölkerten. In seiner Gegenwart fühlte ich mich lebendig und frei. Vielleicht war auch er der Grund, der Funke, der meine rebellische Natur weiter entfachte und mich ermutigte, für meine eigene Bestimmung zu kämpfen. Auch wenn unsere gemeinsame Zeit wie ein Wimpernschlag verging, so hinterließ er eine unauslöschliche Spur in meinem Herzen. 

Doch auch hier meinte das Schicksal es nicht gut mit mir. Schon bald wurde meine Fluchtmöglichkeit entdeckt und für immer verschlossen. Der Junge verschwand in den Schatten der Stadt und ich blieb zurück, mit den Erinnerungen an unsere gemeinsamen Abenteuer und dem Verlangen nach Freiheit. 

Es war eine Begegnung, die mein Leben veränderte und mich daran erinnerte, dass es eine Welt jenseits meiner goldenen Mauern gab. Eine Welt, in der ich nicht nur die Prinzessin von Fjallendal war, sondern mein eigenes Abenteuer erleben konnte.

Nie hätte ich gedacht, dass die Götter meinen Wunsch nach Freiheit auf eine so ungewöhnliche Art und Weise erhören würden...

undressed by the banditحيث تعيش القصص. اكتشف الآن