Meine kleinen Finger streckten sich nach einem dunkelroten Buch aus. Mit etwas Mühe bekam ich es zu fassen und zog es aus dem Regal.
Schmerzen durchzuckten meine Finger und ich ließ das Buch mit einem unterdrückten Aufschrei fallen.
Wimmernd fasste ich mir an die Hand. Zwei der Finger waren von der gestrigen Klavierstunde gebrochen.

Ich hörte Schritte und wischte mir hastig die Tränen aus den Augen, während ich versuchte den Schmerz aus meinem Gesicht zu verbannen. Paar Augenblicke später kniete sich eine Frau vor mir hin.
Es war die Bibliothekarin. Oder zumindest diejenige, die sich freiwillig dazu entschieden hatte sich um diesen Raum hier zu kümmern. Vielleicht der einzig nette Mensch an diesem verfluchten Ort.

Sie lächelte mich freundlich an und ihre Augen funkelten warm.
„Lass mich deine Hand mal anschauen."
Ich bewegte mich nicht. Skeptisch musterte ich sie.
Aber sie nickte mir aufmunternd zu und irgendwas an ihr sorgte dafür, dass mein kleines kindliches Herz beschloss sie zu mögen.
Dummer Fehler. Aber ich war erst acht gewesen.

Also hielt ich meine Hand mit dem gebrochenen Fingern hoch. Die Bibliothekarin musterte sie und stand anschließend auf.
„Ich hol etwas, um es zu schienen."
Doch ich schüttelte den Kopf. „Dann weiß er, dass du mir geholfen hast."
Sie runzelte die Stirn und sah weiter auf meine Finger. „Stimmt... Aber eine Salbe gegen die Schwellung und gegen die Schmerzen, würde gehen."

Sie wandte sich zum gehen, um die Sachen zu holen, da trat sie fast auf das Buch, das ich hatte fallen lassen. Also hob sie es hoch und las den Titel.
„Heilkunde- die Grundlagen." Sie sah mich an. „Denkst du nicht, dass wird zu schwer für dich?"
Unsicher zuckte ich die Schultern.
Sie winkte ab und klemmte sich das Buch unter den Arm.
„Wie wärs, wenn ich dir das Wichtigste zeige und den Rest kannst du dir erlesen, wenn du älter bist."
Ich schwieg, aber nickte zaghaft.

Die Bibliothekarin war die einzige Person gewesen, die ich lieb gewonnen hatte. Sie brachte mir mit Ruhe und Geduld die wichtigsten und einfachsten Sachen der Heilkunde bei. Bei ihr war es nicht schlimm, wenn ich etwas nicht sofort verstand. Außerdem wurde die Bibliothek selbst zu einem positiven Rückzugsort. Später weckte die Bibliothekarin in mir den Spaß am Lesen. Es gab so unglaublich viele Bücher, die ich verschlang, wie Luft zum Atmen. Völlig gefesselt von den wundersamen Abenteuern, die der Hauptcharakter erlebte. Sie boten mir eine Ausweg aus der Realität.
Ich hatte Bibliotheken und Bücher geliebt.
Aber dieses Mädchen war vor langer Zeit gestorben.

Der Prinz ging weiter in die Bibliothek rein und setzte sich schließlich an einen etwas größeren Tisch in der Mitte hin. Hier war eine Reihe an Regalen sozusagen ausgelassen worden, sodass man genug Platz für den eckigen Tisch und die sechs Stühle hatte. Schon bereit standen eine dampfende Tasse Tee, Kekse und Schreibsachen.

Er setzte sich ans Kopfende und deutete stumm auf den Platz rechts von sich. Ebenso schweigend ließ ich mich fallen und faltete die Hände auf den Tisch.

Das entstandene Schweigen schien ihm, im Gegensatz zu mir, unangenehm.
„Nun, Nemesis. Verzeiht, dass Eure erste Aufgabe es sein wird, mich vor dem Tod an Langeweile zu beschützen"
„Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen, Eure Hoheit."
Der Prinz lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und begann zu Kippeln. „Naja spanned wird es nicht."
Als Erwiderung zuckte ich die Schultern.

Eine Weile sah er mich an, dann stieß er ergeben die Luft aus.
„Ihr seid nicht gerade gesprächig."
„Ich bevorzuge zu schweigen und zu beobachten.", sagte ich, „Das Reden überlasse ich den anderen."
„Trotzdem versuche ich gerade ein Gespräch aufzubauen."
„Kein Interesse."

Nemesis - Blut und Schwerter Where stories live. Discover now