2. Kapitel

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Ihre Eltern verstanden die Welt nicht mehr als Marie mit dem bis unters Dach vollgepackten Kleinwagen bei Ihnen ankam. „Überall wird gejammert wegen dem Fachkräftemangel,“ philosophierte ihre Mutter über einer Tasse Kaffee, „Und dann? Dann müssen die Fachkräfte Hartz vier beziehen!“ Tatsächlich hatte Marie nach einigen Wochen, die mit viel Elan und hoffnungsvollen Bewerbungen bei großen Unternehmen begannen und in Vanille-Eiscreme und Reality TV ab zwölf Uhr auf der Couch abdrifteten, den Gang zum Arbeitsamt gewagt. 

Verbissen, beinahe trotzig schaute ihre Sachbearbeiterin die Liste mit offenen Stellen auf ihrem Monitor durch. „Das gibt’s doch gar nicht. Für eine so hochqualifizierte Person wie Sie muss sich doch was finden lassen!“ Leider fand sich jedoch nichts, bis auf eine Sekretariatsstelle bei einem Architekturbüro, für die Marie - Überraschung!  - überqualifiziert war. „Ich wollte Ihren Fall unbedingt abschließen, bevor ich in Mutterschutz gehe“, sagte die junge Frau und legte ihre rechte Hand auf den kugeligen Bauch. „Aber ich fürchte, ich muss Sie meinem Kollegen übergeben. Tut mir leid. Ich wünsche Ihnen aber für die weitere berufliche Zukunft alles Gute!“ 

Der Kollege war genauso erfolglos wie seine Vorgängerin. „Glauben Sie ja nicht, dass Ihnen ihr Hochschulabschluss hier was bringt.“ Krümel des Wurstbrotes, an dem er genüsslich kaute, fielen ihm aus dem Mund und verschwanden in den Furchen seiner Tastatur. „Darauf brauchen Sie sich gar nichts einbilden. Die besten Absolventen sind ohnehin meist die größten Fachidioten, die uns jahrelang die Statistik kaputt machen.“ Marie zuckte auf ihrem unbequemen Holzstuhl zusammen, als hätte sie einen Stromschlag bekommen. „Sicher gibt es Akademiker, die schwer zu vermitteln sind. Ich glaube aber, dass meine Fähigkeiten für ein Unternehmen durchaus nützlich sein könnten.“ Sie strich sich eine Strähne ihrer hellbraunen Haare hinter das Ohr und faltete anschließend  die Hände im Schoß, um zu verhindern, dass sie dem Wurstbrot kauendem Kerl an die Gurgel ging. Er legte sein halb aufgegessenes Frühstück beiseite und schaute Marie an. „Nicht jedes Unternehmen braucht Akademiker. Man kann es auch ohne akademischen Grad zu Etwas bringen. Ich bin das beste Beispiel.“ Er warf einen demonstrativen Blick auf sein Namensschild. „Stellvertretender Amtsleiter“ stand darauf. „Das hier ist gerade reingekommen“, er ließ ein dünnes Blatt Papier neben seinen Teller flattern, auf dem noch ein Käsebrot darauf wartete, vom Stellvertretenden Amtsleiter verspeist zu werden. „Wollen wir doch mal sehen, wie nützlich ihre Fähigkeiten in der Praxis tatsächlich sind.“
   Und so landete Marie an drei Tagen die Woche jeweils vier Stunden am Hähnchengrill auf dem Discounter-Parkplatz des Industriegebiets Nord.

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Das nächste Kapitel ist schon fertig und wird in den kommenden Tagen auf Wattpad hoch geladen! Nachdem ihr Marie in den ersten beiden Kapiteln nun etwas kennen gelernt habt, wird dann ein weiterer wichtiger Charakter eingeführt!
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Auf meinem Blog habe ich die Entstehung von "Exit Hähnchengrill" festgehalten:
https://tinteundpapier.wordpress.com/portfolio/warten-auf-bessere-zeiten/

Exit Hähnchengrill - deutsche KurzgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt