4. Kapitel

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Doch Marie hatte nicht viel Zeit, um darüber nachzudenken, was sie zu dem verwöhnten Bengel am liebsten gesagt hätte, wenn sie nicht hinter der Theke eines Hähnchengrills gestanden hätte. Denn an der dunklen Limousine kam Bewegung auf.

Die Fahrertür öffnete sich und ein Mann mit dunkelblauem beinahe bodenlangen Mantel aus stieg aus. Er hielt einen braunen Umschlag in der Hand. Gleichzeitig öffnete sich die Schiebetür des Kleintransporters, es war jedoch niemand zu sehen. Der Fahrer der Limousine wechselte ein paar Worte, anscheinend mit einer Person im Inneren des Lasters. Er reichte den braunen Umschlag hinüber, eine Hand die aus dem Ärmel einer Lederjacke heraus schaute, griff nach dem Stück Papier. Der Mann im Mantel ließ jedoch nicht los. Mit ernsthaftem Blick schien er der Person in der Lederjacke etwas ungemein wichtiges über den Umschlag oder dessen Inhalt zu sagen, so wichtig, dass er erst los lassen würde, wenn er wirklich sicher sein konnte, dass sein Gegenüber auch tatsächlich alles verstanden hätte. Mit einem Nicken löste er schließlich seinen Griff und der Umschlag verschwand sofort im Laster.

Im selben Moment schloss sich die Schiebetür und der Motor des Kleinlasters startete. Marie sah erst jetzt, dass am Steuer ein dunkel gekleideter Mann mit schwarzer Sonnenbrille saß. Hastig und mit viel zu hoher Drehzahl verließ der Wagen den Parkplatz und bog ab in Richtung Bundesstraße.

Zurück blieb der Fahrer der Limousine, der durch die Länge seines Mantels und seine breiten Schultern einen quadratischen Eindruck machte, der ihn optisch kleiner machte, als er tatsächlich war. Er hielt mit der einen Hand ein Telefon am Ohr und lief mit der zweiten Hand in der Manteltasche entspannt um seinen Wagen. 

Marie war sich nicht sicher, was sie da gerade gesehen hatte. Das ganze erinnerte sie an eine Szene aus einem schlechten Spionage-Film. Sicher hatten hier gerade irgendwelche provinzielle Kleinkriminelle illegal erwirtschaftetes Geld gewaschen. Die Wettmafia vielleicht. Die lokale Presse war seit einigen Wochen voll von ängstlichen Berichten über geheime Spielhöllen und Wettbüros in Hinterzimmern von zwielichtigen Bars und Getränkemärkten. Marie wunderte allerdings, dass die dunkle Limousine ein Berliner Kennzeichen trug. Wurde die lokale Kleinkriminalität etwa von der weit entfernten Hauptstadt gesteuert?

Der kalte Wind zog erneut auf und sie wappnete sich mit vor der Brust verschränkten Armen und eingezogenem Hals. Marie war davon überzeigt, dass sie nach weiteren Wochen in dem zugigen Container ihren Hals ein- und ausfahren konnte, wie eine Schildkröte. Evolution. Wenn sie nach so lange in der Hähnchenbraterei gestrandet bleiben würde. Aber wem machte sie hier was vor? Es waren ja kaum noch Bewerbungen offen.

Der quadratische Mann ließ sein Telefon in die Manteltasche gleiten, drückte auf die Fernbedienung seines Wagens, woraufhin sämtliche Lichter daran kurz aufblinkten, und lief direkt auf den Hähnchencontainer zu.

In Marie stieg etwas Panik auf. Eingepfercht zwischen Krautsalat vorne und drehenden Brathähnchen hinter ihr hatte sie die Übergabe mit unverhohlener Neugier verfolgt. Mittlerweile war sie daran gewöhnt, dass sie als Hähnchen- und Pommesverkäuferin kaum beachtet wurde. In diesem Fall was das vielleicht ein Fehler gewesen.

Unter seinem blauen Mantel trug der quadratische Mann einen grauen Anzug, ein weißes Hemd und eine dunkle Krawatte. Nicht gerade so, wie sich Marie den Look der lokalen Provinzkriminalität vorstellte. Das kurz geschnittene Haar war größtenteils zu einem fleckigen Anthrazit ergraut, auf seiner Stirn saßen tiefe Furchen, die  zwischen den Augenbrauen zu einer unschönen Zornesfalte zusammenliefen. Auf seiner linken Wange stand ein großes Muttermal hervor.  Seine Augen waren wach und sprangen stets umher, als ob sein Blick ständig an kleinen Details hängen bleiben würde.

Er musste ungefähr Mitte Fünfzig sein, schätzte Marie, die sich dabei ertappte, dass sie versuchte, unter dem schwingenden Mantel eine Waffe auszumachen. Sie hatte einfach zu viel Fernsehen geschaut, beschloss sie, fasste sich und thronte über ihrer Plastiktheke, die zischenden Hähnchen im Rücken, ihr Handy mit eingespeichertem Polizei-Notruf unter dem Tresen versteckt.

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Das nächste Kapitel wird in ein paar Tagen veröffentlicht! Dann erfahren wir etwas mehr über den geheimnisvollen Mann.
Wenn dir die Geschichte bisher gefallen hat, freue ich mich über ein Sternchen oder einen Kommentar :-)

Exit Hähnchengrill - deutsche KurzgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt