6. Kapitel

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Normalerweise freut Lilia sich auf das Schulende. Dann kann sie in Ruhe nach Hause gehen. Sich in ihrem Zimmer verschanzen.  Das Alleinsein genießen. Doch heute nicht. Dafür hat Meran gesorgt.
Lilia redet kein Wort mit ihm, weder vor oder nach dem Unterricht, noch in den Pausen. Manchmal versucht sie sich den Schlüssel wieder zu schnappen, doch nie gelingt es ihr. Also hat sie wohl keine andere Wahl und muss Merans Bedingung erfüllen. Ihr bleibt ja nichts anderes übrig. Ihre Mutter kommt erst abends heim und ihr großer Bruder ist fast nie zuhause. Vielleicht mal zum schlafen, mehr nicht. Warum sollte er also heute da sein.

Als es zum Schulende klingelt, grinst Meran sie breit an.
„Dann kann es jetzt ja losgehen!“, sagt er enthusiastisch. Lilia grummelt nur genervt vor sich hin. Wie soll sie den Tag mit dem nur überleben?
„Und wo solln‘ wir hin?“, nuschelt sie lustlos, während sie aus dem Saal laufen. 
„Erst einmal zu mir nach Hause. Von da aus geht es dann mit dem Auto weiter.“ Lilia stockt in der Bewegung, wäre fast von jemandem umgerannt worden. Sie sieht ihn überrascht an.
„Wie, mit dem Auto?“, fragt sie verwundert. Ein breites Grinsen liegt auf seinem Gesicht,
„Na, wir fahren mit meinem Auto weiter.“ Er klingt fast ein wenig angeberisch. Als wolle er ihr imponieren. 
„Du bist schon 18.“ Das ist keine Frage, eher eine Feststellung seitens Lilia. Sie war erst vor wenigen Monaten 17 geworden und Meran ist bereits 18. Das ist ungerecht. Aber sie wittert eine Chance auf Freiheit.
„Wenn das so ist, muss ich aber erst noch mal nach Hause, etwas Geld holen.“ Ihres Sieges sicher steckt sie sich eine Zigarette an, als sie das Schulgelände verlassen. Meran bettelt natürlich wieder um eine, die sie ihm auch gibt. Als Trost für ihren Sieg.
Doch Meran grinst breit, als er sie sich anzündet.
„Vergiss es. Ich leih dir, was du brauchst. Darauf fall‘ ich nicht rein!“ Er lacht. Sie verzieht den Mund, wütend darüber, dass er es durchschaut hat. Nun ist auch ihre letzte Chance auf Freiheit dahin. Sie öffnet ihren Zopf und fährt sich zu Beruhigung durch die Haare. Meran neben ihr scheint gar nicht mehr aus dem Reden zu kommen. Er erzählt ihr alles Mögliche, über seine Familie, die Stadt wo er vorher gelebt hat und noch so einiges, bei dem Lilia aber völlig abgeschaltet hat. Sie hat sich überlegt, ob es vielleicht funktioniert, wenn sie ihn einfach ignoriert, ihm kein bisschen zuhört. Möglicherweise hat er dann gar keine Lust mehr, sie zu nerven. Einen Versuch ist es zumindest wert. 
So ignoriert sie ihn den ganzen Weg bis zu seinem Haus. Bis ihr etwas auffällt. Er redet gar nicht mehr. Vorsichtig linst sie durch ihren Pony zu ihm herüber. Doch da ist niemand. Sie dreht sich leicht nach hinten. Auch da ist keiner. Etwas wie Panik steigt in ihr auf. Doch nicht, weil sie möglicherweise Meran irgendwo verloren hat, sondern eher weil er ihren Haustürschlüssel hat. Ohne den kommt sie nicht ins Haus.  Sie dreht sich wieder um, geht gedankenlos einen Schritt nach vorne. 
Tiefes Grün. 
Das ist alles, was sie zunächst sieht. Nur langsam begreift sie, dass sie in ein paar smaragdgrüne Augen schaut. In die von Meran. Als sie bemerkt, wie Nahe sie sich sind, stolpert sie rückwärts und fällt auf die Straße. Sofort hockt Meran neben ihr, eine Hand an ihrer Schulter, die andere auf ihrem Bein. 
„Alles okay?“ Zum ersten Mal spricht er sie nicht amüsiert, sondern fast schon besorgt an. Sie schüttelt kurz ihren Kopf, um wieder klare Gedanken fassen zu können. Sie drückt ihn von sich weg, steht alleine auf. 
„Ja.“, sagt sie leise während sie sich den Schmutz vom Rock klopft. Sie vermeidet seinen Blick. So etwas ist ihr noch nie passiert. Solche Nähe, die Wirkung die ein einziger Blick auf sie hat. Sie lacht verächtlich auf. Natürlich, so nahe war ihr schon ewig niemand mehr. Zumindest keiner, der sie nicht beleidigt oder sie bedrängt hat. Sie sieht zu Meran. Dieser scheint entweder besorgt oder verwirrt zu sein. Lilia seufzt genervt.
„Können wir dann mal? Je schneller wir wegkommen, desto schneller bin ich wieder zuhause.“ Schon lacht er wieder. Nun scheint er wenigstens nicht mehr so merkwürdig. Es passt nicht zu ihm, ernst zu sein.  
„Okay, lass uns aber nochmal kurz rein gehen. Ich muss noch Geld holen und dann können wir auch unsere Sachen abstellen.“ Lilia schluckt. Sie war schon lange nicht mehr bei jemand außerhalb ihrer Familie zu hause. Schon gar nicht bei einem Jungen. Sie zögert. 
„Ich denke, ich warte lieber draußen.“ Meran verdreht die Augen und lacht. Er geht auf sie zu, packt sie am Oberarm und zieht sie mit sich zum Haus.
„Es ist keiner da, der dich auffressen könnte. Außer meinem Hund.“ Wie auf Kommando kläfft ein Hund hinter der Tür, als Meran gerade aufschließt. Lilia zuckt unwillkürlich zusammen. Sie hat eigentlich keine Angst vor Hunden. Der Gedanke in das Haus eines eigentlich Fremden Jungen zu gehen, macht ihr jedoch schon ein wenig Angst. Kaum ist die Tür offen, springt ein kleiner Mops an ihrem Bein hoch. Meran lacht kurz. 
„Er scheint dich zu mögen.“ Sie sieht zu erst zu dem kleinen beigen Hund, dann wieder zu Meran. Dieser hat sich aber schon auf den Weg ins Innere des Hauses  gemacht. Hilflos schließt Lilia die Tür hinter sich und folgt ihm, bis sie in der Tür seines Zimmers stehen bleibt. Der kleine Hund ist ihr den ganzen Weg gefolgt. Doch kaum am Zimmer seines Herrchens angelangt, rennt er hinein und springt auf das Bett. Meran streichelt ihm kurz über den Kopf und holt sich einige Geldscheine aus einer Schublade. Diese bringt er dann in seinem Geldbeutel unter. 
„Du kannst deine Tasche einfach da in die Ecke legen.“ Er zeigt neben die Tür und Lilia tut wie ihr gesagt. Sie holt jedoch noch ihr Handy, ihren Geldbeutel und ihre Zigaretten heraus. Als sie wieder aufsieht, bemerkt sie, wie Meran sie mustert. 
„Was ist?“, fragt sie ihn, klingt unbeabsichtigt genervt. Er antwortet nicht, sondern geht zu seinem Kleiderschrank, holt etwas heraus und wirft es ihr zu. 
„Falls es heute Abend kalt wird.“, erklärt er mit einem Lächeln im Gesicht. Lilia hätte ihm für diesen Ausdruck am liebsten geschlagen. Er sah in dem Moment aus wie einer dieser Highschool-Traumprinzen aus Fernsehserien und Filmen.  Erst jetzt schaut sie, was sie da eigentlich in der Hand hält. Eine Weste. Sogar Merchandise, von Suicide Silence. Sie grinst. 
„Glaubst du echt, die bekommst du wieder?“, fragt sie ihn provokant. Er lacht und kommt auf sie zu.
„Na, das hoff ich doch für dich. Sonst nehm ich mir was von dir.“ Er stellt sich nahe vor sie und sieht ihr tief in die Augen. Ihr wird unwohl und sie geht einige Schritte zurück. Er lacht jedoch nur.
„Komm, wir gehen los.“ Er läuft wieder Richtung Haustür, Lilia und den Mops im Schlepptau. 
„Pass auf das Haus auf, Haru!“, ruft er dem Hund noch zu, ehe er die Tür schließt. Lilia folgt ihm stumm zu seinem Auto. Steigt in den kleinen Wagen ein, schnallt sich an und sitzt steif da. Die ganze Situation ist ihr unangenehm.
„So, wo geht es denn jetzt hin?“ Meran sieht sie breit lächelnd an, startet den Wagen und wartet auf ihre Antwort. Sie denkt kurz nach, ehe ihr etwas einfällt. 
„Erst einmal in die Stadt.“ Er nickt grinsend und fährt los.

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