1.Kapitel

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Schon wieder. Noch einer. Tiefer. Noch mehr. Wieder ist sie ihrem Verlangen verfallen. Gibt nach und tut es einfach, damit sie sich besser fühlt. Wieder und wieder schneidet die Klinge in ihre zarte Haut. Hinterlässt tiefe Schnitte. Ihr ganzer Arme ist schon von Blut bedeckt. Aber sie kann nicht aufhören. Will es auch gar nicht.
Es kann sie auch niemand hindern. Es ist mitten in der Nacht, alle schlafen schon. Und es wäre ihnen ja doch egal. Also macht sie weiter. Bis sie müde wird. Müde vom schneiden, vom weinen. Sie wischt das Blut weg. Bindet ein Tuch um ihren Arm, damit sie keine Spuren auf dem Bett hinterlässt und legt sich hin. Sie schläft direkt ein. Zufrieden. Ruhig. Sie braucht es. Es ist ein Teil ihres Lebens, den sie einfach nicht aufgeben kann, will.

"Lilia, aufstehen!" Ihre Mutter ruft von draußen, klopft an die Tür. Murrend rappelt sie sich auf.
"Bin wach.", ruft sie zurück. Sie steht auf, schnappt sich ihren Bademantel und geht ins Bad zum Duschen.
Das Wasser brennt in ihren frischen Wunden. Sie zieht scharf die Luft ein, lächelt aber. Sie mag den Schmerz. Braucht ihn sogar. Sie spült ihre langen Haare aus, tritt aus der Dusche und trocknet sich ab. Schnell zieht sie den Bademantel an, damit niemand ihre Narben und Schnitte sehen kann. Auf die Gespräche hat sie keine Lust. Sie geht zurück in ihr Zimmer. Zieht sich schnell an und stellt sich vor den Spiegel. Nur die Narben und Wunden an den Armen kann man sehen, alles andere ist unter den Kleidern verborgen. Seufzend fährt sie sich durch ihre zartrosafarbenen Haare. Sie sind das Einzige, das sie an sich mag. Schnell föhnt sie sie und macht sich dann weiter fertig für die Schule. Um den einen Arm bindet sie sich ein Tuch, an den anderen kommen Unmengen an Armbändern und Haargummis. Eine Jacke braucht sie nicht, es ist Ende Sommer, ein paar Wochen nach den Sommerferien. Ihre langen Jeans und das Shirt reichen ihr aus. Sie schnappt sich noch ihre Schultasche und schon geht sie aus dem Haus.

Auf dem Weg zur Schule hört sie Musik, sowie im Klassenraum, solange der Lehrer noch nicht da ist. Das ist auch kein Problem, niemand spricht sie an. Und das findet sie auch ganz gut so. Sie genießt diese Ruhe und Einsamkeit. Doch sie hätte nie geahnt, dass dies ihr letzter ruhiger Moment sein soll.
Der Lehrer kommt ins Zimmer. Ihm hinterher ein Junge, den sie noch nie gesehen hat. Er trägt, wie sie auch, schwarze Röhrenjeans und ein Band-Shirt. Seine längeren, dunkelblonden Haare schmiegen sich um sein Gesicht, auf dem ein großes Lächeln liegt.

"So, Leute. Wir haben ab heute einen neuen Mitschüler. Das ist Meran Aden."

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