Kapitel 12

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Es war noch finstere Nacht, als mich irgendetwas aufschreckte. Doch statt der Zeltwände um mich herum und Rattlers lautem Schnarchen im Hintergrund spannte sich der weite Sternenhimmel über mir und ich hörte das Plätschern eines Bächleins in der Nähe. Schlagartig wurde mir bewusst, wo ich mich befand.


Mein Blick flog zu den Pferden, deren dunkle Silhouetten sich vor dem sternenübersäten Himmel abzeichneten. Der Fuchs war wieder unruhig, stampfte mit den Hufen und schnaubte laut. Sofort war ich hellwach und warf die Büffellederdecke von mir. Meine Hand tastete nach dem Revolver, doch Bird schien ihn wieder an sich genommen zu haben.

Aber wo war Bird?

Ich hörte ein Rascheln im Weidengebüsch am Bach und fuhr herum. Ein Schatten tauchte zwischen den schlanken Stämmen auf. An der Silhouette erkannte ich Bird mit seinem Hut und den Stiefeln. Er gab mir ein Handzeichen, das vermutlich so viel heißen sollte wie ‚Bleib am Boden!'. Doch ich dachte nicht daran, mich hinzuhocken wie ein verängstigtes Häschen.
Bird hatte nur einige Schritte auf die Pferde zugemacht, als eine weitere Gestalt, diese mit langen Zöpfen, hinter der Uferböschung hervorsprang und mit wenigen langen Sätzen hinter ihm war.

„Pass auf!", schrie ich, doch Bird hatte es schon bemerkt.

Blitzschnell drehte er sich um und zückte den Revolver. Ein Schuss hallte durch die Nacht, doch der Angreifer war genauso schnell. Er duckte sich und riss Bird die Beine unter den Füßen weg. Die beiden Männer gingen zu Boden und rangen um die Waffe in Birds Hand.

In dem Tumult konnte ich nicht ausmachen, wer die Oberhand hatte. Ich hörte das Klicken von Birds Revolver, das auf ein leeres Magazin hindeutete, und fluchte innerlich. Ich musste ihm helfen! Verzweifelt suchte ich in meiner Umgebung nach irgendetwas Waffenähnlichem.

Ein großer, eckiger Stein am Boden zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich ergriff ihn und eilte zu den zwei kämpfenden Männern. Der Indianer, groß und breitschultrig und mit ebenso nacktem Oberkörper wie der Junge, der mich angegriffen hatte, hatte Bird jetzt mit den Knien am Boden festgenagelt und presste ein Messer gegen seinen Hals. Bird versuchte unter Aufbietung all seiner Kraft, den Arm mit dem Messer abzuwehren.

Ich überlegte nicht lange, trat von hinten an den Krieger heran und holte aus, um ihn mit dem Stein am Hinterkopf zu treffen. Aber der Indianer hatte mich bemerkt und schlug mir mit einer Armbewegung den Stein aus der Hand. Doch seine Aufmerksamkeit war nun zwischen zwei Gegnern aufgeteilt und das verschaffte Bird die Atempause, die er brauchte.

So schnell, dass ich seinen Aktionen nicht mit den Augen folgen konnte, hatte er sich unter dem Krieger herausgewunden und ihm das Messer aus der Hand gerissen. Er stieß zu. Der Indianer gab einen Schrei von sich, der rasch zu einem Stöhnen wurde. Im nächsten Moment sank sein Körper bäuchlings zu Boden.

Schwer atmend hockte Bird über dem gefallenen Krieger. Ich stolperte zurück und kämpfte mit der Übelkeit, die in mir aufwallen wollte. Ich konnte nicht aufhören, die breitschultrige Gestalt, den muskulösen Rücken des Mannes anzustarren. Er bewegte sich nicht mehr.

Schließlich kam Bird auf die Füße und sah mich an. „Alles in Ordnung?"

Ich nickte nur.

„Wir sollten hier verschwinden. Die anderen Krieger könnten auch in der Nähe sein."

Wieder nickte ich und fühlte mich seltsam benommen, als würde das alles in einem Traum passieren. Bird rollte seine Büffellederdecke ein und befestigte sie hinter seinem Sattel, während ich die Wasserflaschen am Bach auffüllte. Mechanisch stieg ich auf Liberty und folgte Bird, der auf seinem Fuchs im schnellen Galopp über die dunkle Prärie fegte.

Der Wind des WestensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt