Kapitel 2

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Die Pferdeherde weidete in der Nähe des baumbestandenen Ufers des Platte Rivers, dem ich auf meinem Weg von Omaha hierher gefolgt war. Die Tiere wurden von zwei berittenen Cowboys bewacht, während zwei andere Männer gerade in Abständen von mehreren Metern Zaunpflöcke in den Boden hämmerten.

McLane war einer dieser Männer. Ich erkannte ihn sofort an dem leuchtend roten Halstuch und seiner langen Gestalt. Einige Meter von ihm entfernt zupfte ein rotbrauner Hengst an den Gräsern. Es war ein wunderschönes Tier, mit schwarzem Schweif, schwarzer Mähne und ebenso schwarzen Fesseln. Sein Körper wirkte kräftig und gedrungen, nicht so schlank und langbeinig wie meine Stute, aber es steckte augenscheinlich viel Kraft in seinen Gliedern. Beim Näherkommen fielen mir die langen Narben auf, die Flanken und Bauch bedeckten. Verheilte Striemen, die nur davon herrühren konnten, dass er mit einer Peitsche misshandelt worden war. Schlug McLane etwa sein Pferd? Das wäre abscheulich!

Das Tier hob den Kopf und schnaubte leise. McLane warf einen kurzen Blick über seine Schulter und wandte sich dann wieder um. „Komm besser nicht näher. Er mag keine Fremden", sagte er mit einem Kopfnicken zu seinem Hengst.

Der Fuchs hatte die Ohren angelegt und beäugte mich misstrauisch. Ich zügelte Liberty, die ebenfalls angespannt war, und klopfte ihr beruhigend den Hals.

„Ich soll mich bei dir melden", begann ich und räusperte mich. „Carson hat mich als Pferdeburschen eingestellt. Ich bin Harry."

Nervös beobachtete ich McLane, der den Holzpflock mit mehreren kraftvollen Schlägen in den Prärieboden trieb. Ich war mir nicht sicher, ob er mir überhaupt zugehört hatte. Sein abweisendes Verhalten ärgerte mich, doch was sollte ich tun? Er hatte die Entscheidung darüber, ob ich bleiben durfte oder nicht. Ich sollte es mir besser nicht mit ihm verderben. Also atmete ich tief durch und übte mich in Geduld.

Endlich legte McLane den Hammer ins Gras und ging zu seinem Hengst, der immer noch mit angelegten Ohren an seinem Platz stand. McLane streichelte ihm über die Nüstern, woraufhin das Tier sich in seiner Haltung ein wenig entspannte.

„Dieser Job ist nichts für dich", sagte er dabei zu mir.

Ich ballte die Fäuste um die Zügel, lockerte sie jedoch sofort wieder, als mir die Geste auffiel. Er sollte auf keinen Fall merken, dass ich mich von seinen Bemerkungen aus der Ruhe bringen ließ.
„Das sieht Carson anscheinend anders", entgegnete ich.

McLane blickte mich noch immer nicht richtig an. „Ich habe die Entscheidung darüber, wer unter mir arbeitet und wer nicht."

„Das mag sein. Aber ich nehme an, Carson hat die Entscheidung darüber, wer der leitende Cowboy ist, und er will, dass ich eine Chance bekomme. Frag ihn, wenn du mir nicht glaubst."

Jetzt wandte er sich doch zu mir um. Im Gegenlicht der untergehenden Sonne konnte ich seine Gesichtszüge kaum erkennen.

„Eine Chance willst du? Kannst du mit einem Revolver umgehen? Nein? Dann wirst du hier nicht lange überleben."

„Ich will die Pferde nicht erschießen, sondern versorgen", konterte ich. „Abgesehen davon weiß ich sehr wohl, wie man mit einem Schießeisen umgeht." Ich hatte oft genug mit dem Jagdgewehr meines Vaters geübt.

„Nicht auf den Mund gefallen, wie?"

Ich war mir nicht sicher, ob das ein Kompliment war oder ob er mich verspottete. Die Belustigung in seiner Stimme sprach eher für Letzteres. Dann wurde er wieder ernst. „Wie alt bist du?", fragte er unvermittelt.

„Sechzehn."

„Das hier ist nicht der richtige Ort für jemanden wie dich. Geh nach Hause zu deinen Eltern!", sagte er leise, aber eindringlich.

Der Wind des WestensWhere stories live. Discover now