Ankunft

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"Nächster und letzter Halt, Highfalls! Wir bitten sämtliche Passagiere ihre Habseligkeiten allesamt mitzunehmen, da wir von Georgia Bustransfers für verlorene Wertgegenstände keine Haftung übernehmen. Vielen Dank."
Ich schreckte hoch und stieß dabei meinen Ellbogen gegen die heruntergelassene Armlehne. Nur mühsam verkniff ich mir einen höchst vulgären Fluch, und bemüßigte mich damit, die zerknitterten Schokoriegelpapiere von meinem Nebensitz und dem Fußboden aufzulesen, die ich während der Fahrt fallengelassen hatte.
Wenn ich aufgeregt war, brauchte ich Schokolade einfach, und aufgeregt war ich gerade ziemlich.
Ich stopfte die leeren Packungen in das Seitenfach meines Rucksacks bevor ich mich wieder dem Fenster zuwandte. Draußen wurde es schon dämmrig, aber ich konnte die Kuhweiden und Weizenfelder, die an mir vorbeizogen, trotz der schwindenden Lichtverhältnisse noch gut erkennen.
Das würde also mein neues Zuhause werden, Dauer meines Aufenthaltes zumindest für mich nicht absehbar.
Komm schon, ermahnte ich mich selbst. Es gibt viel Schlimmeres als in einer WG mit Gleichaltrigen zu leben!
Das war ja auch nicht das, was mich so nervös machte.
Das, was mir die schlaflosen Nächte bescherte, war der Umstand, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben mit Leuten zusammenleben würde, die genauso waren wie ich.
Nein, ich hatte keine mentalen Probleme, oder seltsame Vorlieben für Biogemüse. Meine Charaktereigenschaft, die mich ziemlich von gewöhnlichen Menschen unterschied war nunmal, dass ich eine Hexe war. Und dagegen konnte ich nichts machen.
Man sollte sich mich jetzt nicht als eine warzenbesetzte, ältere Frau vorstellen, die des Nachts ihren Besen aus dem Schuppen holte, und auf ihm durch das Land zog, sondern einfach als gewöhnliches neunzehnjähriges Mädchen. Bloß war da etwas anders bei mir, dass mich zu dem machte was ich war. Soweit ich wusste, war mein kleines Problem vererbbar, da meine Großtante, eine verschrobene alte Dame, die alleine mit ihren fünf Katzen in einem kleinen Reihenhaus lebte, dieselben -nennen wir es Eigenschaften- besaß.
Meine Eltern hatten immer gehofft, dass keines ihrer Kinder den Fluch, wie sie es nannten, erben würde, und dieser Wunsch wurde ihnen auch zu drei Vierteln erfüllt. Maisie, Ellie und Jonathan waren meine erfrischend gewöhnlichen Geschwister, die die so ziemlich langweiligsten und bilderbuchhaftesten Leben lebten, und im Falle von Ellie auch Ehen führten.
Ihre jüngste Schwester wussten sie so gut wie möglich zu verleugnen, und so hätte niemals jemand den Problemfall Lucy Foster (das bin ich) in Verbindung mit ihnen gebracht.
Man kann sich also vorstellen, dass ich in den ersten fünfzehn Jahren meines Lebens nicht besonders begeistert von meinen Hexenkräften gewesen war.
Doch pünktlich an meinem fünfzehnten Geburtstag hatte mein Leben eine erfreulichere, wenn auch kaum perfekte Wendung genommen. In den Augen meiner Eltern war ich immer noch das lästige Anhängsel, dass zu meinen Vorzeigegeschwistern mit dazu geliefert worden war.
Doch immerhin hatte meine besagte Großtante sich gemeldet, und mir eröffnet, dass ich ab jetzt jedes Wochenende und jede Ferien bei ihr verbringen würde, damit sie mich in die Geheimnisse der Hexenkunst einweisen konnte. Meine Eltern, froh mich über so lange Strecken los zu sein, stimmten sogleich zu.
Wie ich feststellen musste, war meine Großtante gar nicht so verpeilt, wie ich immer angenommen hatte, sondern sie schien viel von ihrem Handwerk zu verstehen. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich, dass meine Fähigkeiten keine Last oder Fluch, sondern viel mehr eine Gabe waren.
Großtante Dorothea unterwies mich in die weiße Magie, die Heilmagie, und in die Kunst des Tränkebrauens.
Von ihr erfuhr ich die beste Ausbildung, die eine Hexe meines Alters auch nur bekommen konnte. Großtante Dorothea sagte oft, wenn ich so weitermachte wie bisher, würde ich bestimmt in die Analen der Hexengeschichte aufgenommen werden. In ihren Augen war ich sehr gut, was ja auch der Fall sein mochte, aber für mich war der Unterricht bei ihr so wunderbar, dass ich gar nicht anders konnte als all meine Energie auf die Magie zu verwenden.
Allein die Gesichter meiner Eltern, wenn ich alle Schuhe des Hauses in Kröten verwandelte, war Ansporn genug, weiterhin im Unterricht alles zu geben.
An meinem neunzehnten Geburtstag stellte Großtante Dorothea mich dem Hexenkomitee vor. Das Hexenkomitee war eine Ansammlung von alten, weisen Hexen, die einen Lehrling prüften, und wenn dieser den Anforderungen gerecht wurde, war die geprüfte Schülerin eine vollwertige Hexe. Ich bestand mit Bravour, und das Komitee schien mehr als beeindruckt von mir. Trotzdem überraschte es mich, als wenige Tage nach der Prüfung ein Briefumschlag mein Zimmer geflattert kam. Er stammte vom Komitee, und enthielt meinen ersten Auftrag als vollwertige Hexe.
Anscheinend sollte ich einen wichtigen Grenzposten (von was, war mir auch nicht klar) zusammen mit ein paar anderen Beauftragten bewachen.
Erst viel später erklärte man mir, dass es sich dabei nicht um gewöhnliche Menschen handelte, sondern um Werwölfe, Vampire, Geister und sonst noch was.
Und jetzt saß ich im Bus nach Highfalls, dem kleinen Ort, in dem sich die Wohnung befand. Meine Mitwächter waren im Laufe des heutigen Tages eingetroffen, ich würde voraussichtlich die letzte sein. Ein Mitarbeiter der Kustodie würde uns die letzten Informationen noch einmal mündlich geben, bevor wir auf uns allein gestellt waren. Die Kustodie war die Vereinigung aus allen möglichen übernatürlichen Wesen, die sich zur Aufgabe gemacht hatte, gewisse Stellen auf der Erde zu bewachen. Warum, war nur den obersten Direktoren der Kustodie klar. Auf jeden Fall galt es als große Ehre von ihr ausgewählt zu werden, um mit seinen Mitwächtern die Erde vor allen Übeln zu bewahren, die durch was auch immer hervorgerufen wurden. Mir erzählte ja keiner was!
Ich wandte mich vom Fenster ab und ließ meinen Blick durch den Bus schweifen, wobei mir auffiel, dass ich der letzte Passagier war, und außer mir und dem Busfahrer sich niemand mehr im Bus aufhielt. Highfalls musste echt das schlimmste Kaff von ganz Georgia sein! Immerhin waren heute Morgen in Atlanta, als ich eingestiegen war, fast alle Sitze besetzt gewesen.
Just in dem Moment passierte der Bus das Ortsschild, klein und heruntergekommen, was vermutlich den Zustand des Dorfes widerspiegelte, für das es aufgestellt worden war. Beim Anblick der Zahl, die in wackeligen Ziffern das Schild zierte, wollte ich meinen Kopf gegen die Scheibe schlagen.
"Zweihundertzweiunddreißig Einwohner? Das muss ein Scherz sein!" Davor hatte ich in Montgomery, Alabama gewohnt, was an sich auch keine Großstadt war, aber immerhin hatte die Stadt meiner Kindheit tausendmal mehr Einwohner als Highfalls.
Mein entsetzter Ausruf war auch dem Busfahrer nicht entgangen, der in heiseres Gelächter ausbrach. "Was hast du erwartet?" Er grinste spöttisch. "Eine Stadt so groß wie Atlanta?"
"Nein, natürlich nicht!", schnaubte ich verärgert. Mir war durchaus bewusst gewesen, dass Highfalls weniger als kleiner Fleck auf der Landkarte war, aber trotzdem hatte die endgültige Gewissheit mir noch einmal den Boden unter den Füßen weggerissen.
Der Bus verlor an Geschwindigkeit und kurze Zeit später blieb er am Straßenrand stehen. Ich erhob mich mühsam von meinen Sitz, immerhin hatte ich mich mehr als acht Stunden kaum von der Stelle bewegt, bevor ich versuchte meinen Koffer aus der Gepäckablage zu stemmen. Das erwies sich als äußerst schwierig, da das blöde Teil einfach verdammt schwer war. Hätte Großtante Dorothea bloß nicht darauf bestanden, dass ich ihren alten Kessel aus schweren Messing mitnahm... Warum hatte ich schon wieder auf sie gehört? Ich war echt fügsamer, als es mir guttat.
"Brachst du Hilfe?", fragte der Busfahrer amüsiert, nachdem er eine Weile im Rückspiegel zugesehen hatte, wie ich mich abmühte.
"Gerne doch.", gab ich zuckersüß zurück. Der Busfahrer erhob sich seufzend und bedachte mich mit einem höchst süffisanten Blick, der mir wohl zeigen sollte, wie wenig er von der Bequemlichkeit der heutigen Jugend hielt. Ich funkelte wütend zurück. Der Busfahrer sah in meinen Augen so aus, als ob er in seiner eigenen Jugend in der Nacht auf Weiden geschlichen war, und nichtsahnende Kühe umgeschubst hatte. Zu meinem großen Ärger war der Busfahrer, der laut dem Namensschild an seinem hässlichen Flanellpull übrigens Kenny hieß, in der Lage meinen Koffer ohne gröbere Probleme aus der Gepäckablage zu hieven.
Als er ihn gerade zur Tür hinausschleppte, stolperte er über eine Unebenheit im Boden, die sicher eine Sekunde davor noch nicht dort gewesen war. Schnell glättete ich die Bodenwelle wieder, indem ich eine leichte Handbewegung machte, das genaue Gegenteil derer, die zur Hervorrufung der Beule notwendig war.
Ich folgte dem Busfahrer aus dem stickigen Bus, wo ich meinen Koffer in Empfang nahm.
"Vielen Dank!", flötete ich. "Es ist schön zu sehen, dass man sich selbst in Zeiten wie diesen auf so hilfsbereite und zuvorkommende Helfer der Menschheit verlassen kann."
Der Busfahrer schien nicht ganz zu verstehen, ob ich Sarkasmus verwendete, und er grunzte nur, bevor er die Türen vor meiner Nase zuknallen ließ. Ich lachte leise, und winkte ihm zum Abschied fröhlich.
Diese Heiterkeit war aber spätestens dann wieder verflogen, als der Bus mit seinen hellen Lichtern außer Sichtweite war, und ich alleine in fast völliger Dunkelheit zurückblieb. Ich schnippte mit den Fingern und ein kleine Flamme erschien neben meiner rechten Schulter, um mir gerade meine nächsten Schritte zu beleuchten.
Laut Wegbeschreibung, die im Brief des Komitees beigelegen hatte, befand sich mein neues Zuhause am Rande eines kleinen Weilers, ein paar Schritte in Richtung des Waldes, der sich beinahe über die ganze Landschaft zu erstrecken schien. Ich folgte meiner Intuition und Flamme, wobei ich auf einen schmalen Feldweg einbog, der gerade breit genug für ein Auto war. Mein Koffer schwebte hinter mir durch die Luft und drehte sich dabei friedlich um die eigene Achse. Das war eigentlich nicht vorgesehen gewesen, aber ich hatte nicht die Nerven den kleinen Fehler zu korrigieren, denn genau in dem Moment tauchte ein weitläufiges, aber nicht protziges Herrenhaus vor mir auf. Es war komplett mit Holz beschlagen, auch wenn das Fundament aus Ziegelstein zu bestehen schien, wie ich es an manchen Stellen herausschimmern sehen konnte. Auf der Vorderseite alleine waren schon unzählige Fenster und Balkone zu erkennen, und ich fragte mich unwillkürlich wie viele Zimmer das Haus wohl haben mochte.
"Zweiundsiebzig.", ertönte eine belustigte Stimme hinter mir. Ich zuckte zusammen, und drehte mich blitzschnell in Richtung der Stimme um, meine Hände schon halb erhoben um einen Verteidigungszauber auszusenden.
"Lass das lieber." Eine schlanke Gestalt sprang von dem Baum, den ich soeben passiert hatte. Es war ein Junge, etwas älter als ich, und komischerweise ohne T-Shirt. Er schenkte meinem Koffer, der hinter mir inzwischen aufgeregte Purzelbäume veranstaltete, einen interessieren Blick, bevor er sich wieder mir zuwandte.
"Ich schätze mal du bist die Hexe, von der hier alle reden." Er streckte mir seine Hand entgegen. "Ich bin Cameron, aber du kannst mich gerne Cam nennen!" Ich ergriff seine Hand. Seine Haut war äußerst warm und es fühlte sich an, als ob es Fieber hätte.
"Ich bin Lucy Foster, und was meinst du damit, dass alle von mir reden und woher wusstest du überhaupt was ich gedacht habe, dass du mir antworten hast können?" Ich holte Luft und Cam grinste.
"Nicht so viele Fragen auf einmal, wir sind hier nicht auf einer Pressekonferenz!"
"Tschuldige...", murmelte ich verlegen. Mir stieg gerade nur alles ein wenig zu Kopf. Cam sah durchaus nicht schlecht aus, er war gut gebaut, muskulös, hatte braune verwuschelte Haare und braune Augen. Auch der Fakt, dass er kein T-Shirt trug, war nicht gerade förderlich für meinen Geisteszustand.
"Noch mal von vorne, ich bin die Hexe, das stimmt, aber wo sind die anderen?"
Cam deutete aufs Haus, auf die geöffnete Haustür durch die Stimmengewirr drang. "Die anderen sind alle schon drinnen, zusammen mit dem Typen der uns alles noch einmal erklären soll. Ich hab mich freiwillig gemeldet, draußen nach dir Ausschau zu halten." Er näherte sich meinem Koffer und gab ihm einen kleinen Schubs. Nichts geschah, außer dass er sich noch ein wenig schneller zu drehen begann. "Tut mir echt leid, wenn ich dich erschrocken hab." Er grinste reumütig. "Außerdem hab ich wohl unerlaubt deine Gedanken gelesen, das ist auch nicht gerade die feine englische Art."
"Du kannst Gedanken lesen? Wie abgefahren ist das denn?"
Cam winkte ab. "Längst nicht so cool wie einen Koffer durch die Gegend schweben zu lassen. Außerdem kann ich nicht immer Gedanken lesen, sondern ich höre nur manchmal Gedankenfetzen, wenn die Person einem heftigen Gefühl ausgesetzt ist."
"Oh.", antwortete ich matt.
"Yep." Cams Lächeln wurde breiter. "Wir sollten uns den anderen anschließen. Je schneller dieser Kustodie-Typie wieder verschwindet, desto besser."
Ich nickte zustimmend, und schnippte mit meinem Zeigefinger in Richtung des Koffers, der daraufhin mit einem plumpen Geräusch auf dem Boden aufschlug. Es war besser, wenn nicht gleich alle erkannten, welche meine Fähigkeiten waren.
Cam ließ sich nicht davon abbringen meinen Koffer zu schleppen, anscheinend hatte er ein schlechtes Gewissen, da er unabsichtlich meine Gedanken abgehört hatte.
Wir durchquerten einen hübschen Vorgarten, gesäumt von fröhlichen Blümchen in allen Farben, die selbst in der Nacht ihren Reiz nicht verloren.
Die Stimmen waren immer lauter geworden, je näher wir auf das Haus zugekommen waren, und in der Eingangshalle hatte der Geräuschepegel sein Maximum erreicht. Cam stellte meinen Koffer am Fuße einer großen eleganten Treppe ab, die in den zweiten Stock führte. Die Eingangshalle war geschmackvoll eingerichtet und verzichtete genau wie das Haus selbst auf jeglichen Prunk, der das Gesamtbild ohnehin nur ins Kitschige gezogen hätte. Cam deutete auf eine der Türen, und bedeutete mir zu folgen. Kaum dass Cam die Tür aufgestoßen hatte, verstummten die hitzigen Gespräche, die dort anscheinend stattgefunden hatten, und der Lärm wich einer unangenehmen Stille. Wir befanden uns offenbar in der Küche, und am Holztisch, der in der Mitte des Raumes stand, saßen vier weitere meiner zukünftigen Mitbewohner. Am Tischende saß, mit leicht gequältem Gesichtsausdruck ein Offizier der Kustodie, wie man an seinem pflaumenblauen Umhang erkennen konnte.
Ich fühlte mich bemüßigt, mich vorzustellen, da niemand anderes den Anfang machte.
"Hi, ich bin Lucy Foster!" Meine Stimme klang nervöser als ich mir zugestehen wollte. Zum Glück schien ich das momentane Schweigen gebrochen zu haben, denn ein blasser, hochgewachsener Junge mit schwarzen Locken streckte mir genau wie Cameron vorhin die Hand hin, und lächelte.
"Ich bin Alex Hill, Geist..." Er sprach letzteres eher deprimiert aus, und ich kreischte leise auf, als meine Hand direkt durch seine ausgestreckte fuhr.
"Freut mich sehr, dich kennenzulernen!" Ich versuchte ein aufmunterndes Lächeln.
Das braunhaarige Mädchen neben Alex nickte mir zu. "Ruby Shaw, Vampirin." Sie bleckte ihre Zähne, was, wie ich nach einer Weile feststellte, wohl das grusligste Lächeln aller Zeiten war.
Neben Ruby hatte Cam Platz genommen, und ich fragte mich sofort, welcher Rasse er wohl angehörte. Ich hatte ihn gar nicht als übernatürlich gesehen, wie er so plötzlich neben mir im Garten aufgetaucht war. Eher als eine Art seltsame Erscheinung.
"Cameron Woods, Werwolf." Ich war überrascht, aber das Lächeln, welches er mir schenkte hatte tatsächlich etwas Wölfisches an sich.
Ich wandte mich Camerons Sitznachbarin zu, die freundlich zu mir auflächelte. Ihr schmutzig blondes Haar fiel ihr über ihr schmales Gesicht, aber ihr Lächeln wirkte ehrlich.
"Hey ich bin Sydney! Und ich bin ein Feenwesen." Sie blies geistesabwesend ein wenig Glitzerpulver von ihrem Finger.
Nun sah ich zur einzigen Person die sich bisher noch nicht vorgestellt hatte, und wurde leicht erschrocken. Vor mir saß ein wunderschöner Junge, kaum zwei Jahre älter als ich, mit goldenen Locken und einem feingeschnittenen Gesicht. Seine Augen leuchteten in einem unglaublichen Grün, bei dem alles andere in der Nähe zu verblassen schien.
Im Gegensatz zu den anderen, lächelte er nicht, als er sich vorstellte.
"Hunter Rivera, Vampir." Seine Stimme hatten einen harten, kalten Klang, bei der mir unwillkürlich eine Gänsehaut über den Rücken lief. Er musterte mich geringschätzig, bevor er Cameron hämisch angrinste.
"Zieh dir was an, Wolf. Unsere kleine Hexe kann sich anscheinend nicht konzentrieren, wenn du uns noch weiterhin mit deinem zweifellos sehr ausgeprägten Sixpack erfreust!"
Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht kroch. Konnten hier eigentlich alle Gedanken lesen?
Sydney warf Hunter einen angewiderten Blick zu. "Tja, Hunter. Wir wissen alle, dass du unter deinem T-Shirt nichts Aufregendes verbirgst."
Sie lächelte mir aufmunternd zu. "Keine Sorge, Lucy, er tut nur so böse. In Wahrheit ist er eigentlich ganz okay."
Hunter schnaubte, und verschränkte die Arme. Cam war kurz davor aufzuspringen, aber Sydney legte ihre Hand beruhigend auf seinen Arm. Er entspannte sich merklich.
Nun meldete sich der Offizier zu Wort.
"Da wir nun vollzählig sind, werde ich euch nun eure Pflichten erklären. Miss Foster, wenn Sie sich doch setzen möchten." Er deutete auf den letzten freien Platz, direkt neben Hunter. Mir blieb wohl nichts anderes übrig als naserümpfend neben dem Vampir Platz zu nehmen. Dieser rückte augenblicklich von mir weg.
Vampire und Hexen hatten noch nie ein besonders gutes Verhältnis gepflegt, da in der Vergangenheit ein paar unschöne Dinge zwischen uns und den Blutsaugern geschehen waren.
Vampire hatten sich maßgeblich bei der Hexenverfolgung beteiligt, und im Gegenzug hatten die Hexen ihnen das Leben schwer gemacht, indem sie verhinderten, dass die Vampire ihren Tageslichttrank herstellen konnten. Seitdem waren Treffen wie dieses immer recht verschnupft abgelaufen, weil keine der beiden Seiten die Schuld bei sich suchen wollte.
"Es wird immer eine Wache dort positioniert werden, und an Voll- und Neumond mindestens zwei. Habt ihr verstanden?", sagte der Offizier gerade.
Zustimmendes Gemurmel ertönte.
"Die Höhle befindet sich auf halber Höhe zum Gipfel, ein paar Efeuranken wachsen vorm Eingang. Ihr müsst einfach nur dem Pfad folgen, der hinter dem Haus losgeht."
"Ja, den hab ich schon gesehen.", meldete sich Alex zu Wort. "Bloß verstehe ich nicht ganz, wie wir in die Höhle gelangen sollen, der Pfad endet unten am Berg."
"Nun ich denke, Mr Hill, dass das für Sie kein Problem sein wird, Sie können doch hinaufschweben."
"Ich auch.", murmelte Sydney verträumt.
"Sehen Sie, Mr Hill. Jeder schafft es auf seine Weise die Höhle zu erreichen. Für einen Wolf dürfte ein wenig klettern auch kein Problem sein, nicht wahr, Mr Woods?"
Cam nickte verdrossen. Er schien den Offizier und seine Arroganz gar nicht zu schätzen.
"Ein Vampir ist unendlich stark, und für ihn ist es ein leichtes eine Steile Felswand zu erklimmen, wie ich selbst bestätigen kann. Miss Shaw und Mr Rivera sollten die Hürde mit Leichtigkeit überwinden können."
Langsam begann er auch mich aufzuregen, mit seiner geschwollenen Sprache.
"Und wie wir alle wissen, können Hexen auf Besen fliegen.", spöttelte Hunter.
Ich ignorierte ihn, und gab vor ganz an den Lippen des Offiziers zu hängen.
Dass Hexen auf Besen flogen war genauso an den Haaren herbeigezogen, wie dass Vampire glitzerten.
Cam fauchte Hunter über den Tisch hinweg an. "Wieso glitzerst du dir dann nicht deinen Weg hoch, Blutsauger?" Ich lachte, genau wie Alex, Sydney und selbst Ruby. Cam zwinkerte mir zu, und mir wurde klar, dass er soeben meine Gedanken gelesen hatte.
Hunter wollte etwas gehässiges erwidern, aber der Offizier brachte uns mit einem Handwink zum Schweigen.
"Weiterhin gibt es zu sagen, dass ihr euch auf gar keinen Fall einem Menschen offenbaren dürft. Sie haben keine Ahnung, dass in ihrer Welt noch eine zweite existiert und dabei sollte es auch bleiben. Erzählt auch nur einem Menschen von eurer Mission, so ist das eine schwerwiegende Verletzung der Geheimhaltungspflicht und darauf drohen mehrere Jahre Transfer."
Wir nickten alle, und der Offizier schien zufrieden.
"Dann will ich euch nicht weiter aufhalten, ihr solltet euch sofort einen Plan zulegen, wann wer Wache hält." Er sah auf seine Uhr. "Die erste Wache beginnt in einer halben Stunde." Er erhob sich von seinem Stuhl und Cam stand ebenfalls auf, um ihn aus dem Haus zu begleiten.
Ruby riss ein Blatt Papier aus einem Spiralblock, der auf dem Tisch gelegen hatte und begann Wochentage und Uhrzeiten einzutragen.
"Und?", fragte sie fröhlich. "Wer will die erste Wache übernehmen?"
Hunter stand auf. "Trag mich ein." Er ging zum Küchenschrank und öffnete ihn. Im Inneren befanden sich ausnahmslos Waffen; Messer, Schwerter und sogar eine Armbrust war dabei. Hunter verharrte einen Augenblick mit den Fingern über einem langen Dolch, bevor er sich doch für ein Langschwert entschied.
Inzwischen war Cameron zurückgekehrt, immer noch ohne T-Shirt. "Wer übernimmt die erste Wache?"
"Ich." Hunter grinste ihn spöttisch an, bevor er das Küchenfenster öffnete. "Viel Spaß mit der Hexe, Wölfchen."
Mit diesen Worten warf er sich einfach hinaus. Ich schrie leise auf und rannte sofort zum Fenster, immerhin lag die Küche um einiges höher als die Eingangshalle, doch von Hunter war nichts mehr zu sehen.
"Mach dir keine Sorgen.", ertönte Ruby klare Stimme hinter mir. "Wir Vampire benutzen nur selten die Tür."
"Zimmerverteilung!!", rief Alex und schwebte durch die Decke hindurch in den zweiten Stock.
"Das ist unfair!", maulte Sydney. "Nicht jeder von uns kann durch solides Material gleiten." Hinter ihr regte sich etwas Netzartiges, Durchscheinendes was ich schnell als ihre Flügel identifizierte. Sie schimmerten in einem zarten Grün, und Ruby gab einen entzückten Laut von sich. Ich hob meine Hand und zielte auf die Decke, an die Stelle durch die Alex soeben verschwunden war. Die Decke begann zu verschwimmen und Wellen zu schlagen, bis schließlich ein Loch entstand, gerade groß genug für einen ausgewachsenen Menschen.
Sydney lachte begeistert und erhob sich in die Lüfte, wobei sie gerade durch das Loch hindurch flatterte. Ruby sah beeindruckt aus.
"Danke, Lucy!", kam es von oben, und ich fragte: "Sonst noch jemand?"
Ruby nickte, ging in die Knie und im nächsten Augenblick war sie nur noch ein schwarzer Schlieren, der durch das Loch sauste. Ich ließ die Hand sinken, und das Loch wurde immer kleiner und kleiner, bis schließlich wieder nur noch eine makellose Decke zu sehen war.
"Wow!", murmelte Cam neben mir. Ich zuckte nur mit den Schultern.
"Wir sollten uns besser auch ein Zimmer suchen." Cam nickte und folgte mir zur Tür hinaus in die Eingangshalle. Ich schnippte mit den Fingern und mein Koffer, der immer noch am Fuße der Treppe stand erhob sich elegant und schwebte einige Schritte vor uns die Treppe hoch.
"Wo glaubst du sind die besten Zimmer?", fragte ich Cameron, bloß um das Schweigen zu brechen.
"Links."
Ich musste lachen. "Woher weißt du das?"
"Ich hab Ruby vor Freude kreischen gehört, und es kam von links."
"Oh." Mit so einem Gehör konnte ich natürlich nicht mithalten.
Tatsächlich würde Cameron recht behalten. Im linken Flügel des Hauses, in dem sich alle außer Alex eingemietet hatten, waren die mit Abstand schöneren Zimmer.
Ich sah nur in den ersten Raum hinein und war schon völlig begeistert. Das Zimmer war geräumig, mit riesigem Fenster in Richtung Wald, und einem eigenen Badezimmer. Der Raum war durchgehend mit schwarzem Holz vertäfelt, wozu die Seidenbezüge des Himmelbetts einen angenehmen Kontrast bildeten. Ein schlichter Schreibtisch mit Stuhl, Sofa und Schrank waren ebenfalls noch vorhanden. Ich ließ meinen Koffer auf den Boden fallen, mit der festen Absicht ihn morgen in der Früh auszupacken.
Nachdem ich Cam in seinem Zimmer besucht hatte, welches sich schräg gegenüber von meinem befand, und zudem eine riesige Badewanne besaß, kehrte ich in mein neues Reich zurück und warf mich aufs Bett.
Erst als ich auf der gemütlichen Daunenmatratze lag, wurde mir bewusst wie müde ich war.
Ein paar Räume weiter kreischte Ruby und Alex lachte. Mit diesen Hintergrundgeräuschen schlief ich sofort ein.

CustodiansWhere stories live. Discover now