- Prolog -

64 3 5
                                    

-Niederschrift des fünften Tages während des Göttersturms-

Wir sind vermutlich die letzten. Unsere Götter haben sich gegen uns gewendet und töten Kazooko's goldenes Imperium ab, als wäre es eine Krankheit für die Welt. Die Gründe sind unklar. Und trotzdem ist nichts mehr von der großen Hauptstadt des Kazookischen Imperiums übrig. Zurzeit leben wir verschanzt in einem tiefen Höhlensystem östlich der Hauptstadt und warten auf das hoffentlich bald kommende Ende des Göttersturms.

Unser ehrwürdiger Imperator hat nach unserer Ankunft hier Maske, Rüstung und Gewänder abgelegt und streift meist ruhelos durch die dunklen Gänge. Seit Tagen schon hat er nicht mehr geschlafen und gegessen. Seine engen Berater, zumindest die zwei die überlebt haben versuchen ihn dauend zu überzeugen, sich wenigstens für ein paar Stunden auszuruhen. Doch er winkt immer ab. "Lasst mich nach Antworten suchen", hatte er gemurmelt.

Am Anfang des Angriffs wurde der Hoheitspalast von einem gigantischen blauen Strahl aus dem Himmel zersprengt. Glücklicherweise hat unser ehrwürdiger Imperator schnell reagiert, als er den übernatürlich starken Sturm vom seinem Balkon aus gesehen hat. Er schwang sein heiliges Zepter und schützte sich und einen Teil des Hofstaats mit einer silbernen Aura vor der entfesselten Göttermagie und den Trümmern, die auf uns herabregneten. Für Fragen blieb keine Zeit, für großes Zusammenpacken von Schätzen und den alten Schriften auch nicht. Wir flohen Hals über Kopf.

Es brach unserem Imperator das Herz, sein großes Volk in dieser schweren Stunde allein zu lassen. Als er dann auch noch mitten auf der Flucht einem Reiter seines Hofstaats den Befehl gab, seinem Volk hoffnungsvolle Worte zu überbringen, mussten wir ihn schon beinahe mitzerren, bevor wir doch noch alle getötet werden.

"Götter sind keine Dummköpfe", rief der Imperator. "Sie wissen, dass sie mich nicht getötet haben. Und doch kämpfe ich lieber an Seite meines Reiches, als mich sinnlos zu verstecken!" Seine vergoldete, tigerähnliche Maske fing bei diesen Worten vor Zorn an zu glühen. Doch dann lief er weiter mit uns.

Auf der Flucht durch das brennende Herz der Wüste Kazooko's musste unser Imperator abermals das Zepter schwingen, um pechschwarze Blitze, die aus einem großem Loch im Himmel auf die Hauptstadt herabknallten, abzuwehren. Um uns herum herrschte Chaos und Terror. Ganze Wohnviertel bestanden nach einem blendend weißen Licht nur noch aus gigantischen Flammenzungen.

Hohe Türme erhoben sich aus dem Boden und wurden schnell und leicht wie Kieselsteine von einer Stadtmauer zur anderen geworfen. Der Himmel verdunkelt sich immer mehr, es krachte ohrenbetäubend laut, als mitten in einem großen Flüchtlingsstrom in Richtung Stadttor ein Energieblitz hineinfuhr und nur noch einen rauchenden Krater hinterließ.

Der kleine, überlebende Teil des Hofstaats, darunter ich, ein paar Diener und Beamte und der Imperator sahen von einer hohen Klippe aus den östlichen Bergen auf die blutende Hauptstadt des kazookischen Imperiums hinab. 

Als ich den Imperator ansah, seine zerkratzte Rüstung und den azurblauen Mantel, der wie ein altes Waschtuch zerfetzt im heißen Sand lag, musste ich schlucken. Beim Anblick des Mannes erkannte ich meinen Herrscher, so wie ich ihn nie zuvor gesehen habe.

Ein gebrochener, fassungsloser Mann. Um Jahrzehnte gealtert. Unschlüssig. Unzuverlässig. Unkenntlich. Ohne jeden Glanz. Ohne diese mächtige Statur, die normalerweise jedem, der vor ihm stand, Respekt einflößte. Und nicht nur ich, sondern auch der restliche Hofstaat sah fassungslos auf unseren einst so starken Herrscher. "Meine Hauptstadt lässt ihr Leben im Kampf gegen das Übernatürliche. Das darf nicht sein.", sprach er hohl. "So nicht".

Seit diesem Tag ist schon beinahe eine Woche vergangen. In weiter Ferne hört man immer noch das Grollen von Donner und man sieht das Licht der magischen Strahlen, die weiter vom Himmel herabregnen. Der Göttersturm ist weiter gezogen, in Richtung des Außenpostens der Hauptstadt, Dariw. Wie es wohl dort gerade aussieht? Ist die kleine Stadt inzwischen auch dem Erdboden gleichgemacht worden wie bei uns?

Oder hat man einen Weg gefunden, sich zu wehren? Sind alle geflohen? Oder wurden sie wie die Bewohner der Hauptstadt von einem großen Energieblitz vernichtet? So viele ungeklärte Fragen. Minister Kujont hat vor drei Tagen einen Späher aus der Höhle geschickt. Er soll zu Fuß in Richtung des Göttersturms gehen und die Situation auskundschaften. Obwohl Dariw, selbst von dem Gebirge aus, nur etwa einen Tagesmarsch entfernt ist, kam der Späher bisher nicht zurück.

"Keiner kann mir die Fragen beantworten, die mich quälen.", sagte der Imperator eines Nachts, als ich ihn allein vor dem Höhleneingang antraf. "Ich habe versucht, meine Ahnen im Geist zu kontaktieren, aber niemand spricht zu mir." Es war die Nacht zum vierten Tag und gerade konnte man einen kilometerlangen Blitz durch den düsteren Nachthimmel zucken sehen. Der Mond war verdeckt von Wolken und so konnte ich kaum meine Hand vor Augen betrachten. "Es kann nicht sein, dass sämtliche Wesen unseres Glaubens uns vernichten wollen, mein Imperator."

Ich versuchte, meiner Stimme einen optimistischen Ausdruck zu verleihen, doch es gelang mir nicht. Der Imperator drehte sich langsam zu mir um. Erst jetzt sah ich, dass er seine heilige Maske nicht aufhatte. Seine natürlichen, hellgrünen Augen schimmerten vor Trauer, als er mir tief in die Augen sah und wisperte: "Hoffnung und Stärke waren einst das, was Kazooko so stark und golden machte. Nun ist uns beides genommen worden. Kazooko kann ohne diese Dinge nicht überleben. So wird das Imperium untergehen, wenn wir nichts unternehmen."

- Minister Lylmát
3/46/2480 n.K.A. (nach Kazookos Aufstieg...)

SandgeiselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt