- Kapitel 3 -

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Als ich wenig später auf die zerkratzte, mit Schusslöchern übersähte Holztür meines Quartiers zuging, hörte ich durch die Korridorfenster Tumult auf der Straße. Menschen sprachen wild durcheinander, eine Frau kreischte hysterisch, etwas wurde über die Straße gezogen. 

Obwohl ich eigentlich schon wusste, was da unten los war, lehnte ich mich über die abgebrochene Fensterbank, verhüllte jedoch vorher zum Teil mein Gesicht mit der Kapuze. Ich wollte nicht, dass zufällig einer der Männer aus der Taverne mich wiedererkannte. 

Ich zeige anderen nur ungern zweimal mein Gesicht. Jii werde ich wohl auch nie wieder sehen, dachte ich mir. Unten auf der trockenen Straße zogen zwei Stadtwächter den toten Räuber hinter sich her. Drei weitere Wächter hielten die Umherstehenden zurück. Kinder weinten und ihre Mütter umarmten sie und versuchten sie zu beruhigen. Einige zogen ihren Nachwuchs auch schon weg.

Zugegeben, der Anblick der Leiche sah wirklich schlimm aus. Nackt, bis auf die abgewetzte Unterhose, mit einem großen Schnitt auf Höhe des Herzens, drumherum getrocknetes Blut. Der leere Blick. Und obwohl man erkennen konnte, dass die Narben in Gesicht und an den Armen schon länger dagewesen waren, rundeten sie das Bild gut ab. 

Es zeigte einen tödlichen Raubüberfall und natürlich auch einen oder mehrere blutrünstige Mörder, die allen Anschein nach, noch frei herumliefen. Ich sah einen Mann, der zu einem anderen Mann gerade sprach:

"Vor ein paar Tagen habe ich den Typen hier herumlungern sehen. Vor der Herberge."

Erschrocken wich der andere Mann zurück.

"Ehrlich? Weißt du mehr über ihn?"

Ich wusste zwar nicht, ob sich der Mann nur wichtigmachen wollte, aber ich zog sofort den Kopf ein und presste mich mit dem Rücken zur Wand neben das Fenster.

"Er machte die ganze Zeit so einen seltsamen Eindruck. Er unterhielt sich nie mit jemanden, trank und aß auch immer nur das billigste. Tag für Tag. Ich dachte zuerst, es wäre ein Reisender..."

"Aber Reisende bleiben doch nie länger als nötig in diesem Drecksloch."

Wo er Recht hat, hat er Recht. 

"Ja, lass mich doch weitererzählen. Er machte einen gefährlichen Eindruck. Irgendwie... ruhig, aber jeden Moment bereit, etwas zu machen. So... kampfbereit, weißt du?" Scharfes Einatmen des anderen Mannes. "Als ob er auf irgendwas warten würde."

Auf etwas warten würde. Oh Nein!

Mir wurde urplötzlich richtig schlecht. Ich ging ein paar Schritte vom Fenster weg, der enge Flur kreiste plötzlich um mich herum. Auf etwas warten würde...

Seit ich meine Reise begann, seit dem ich vor fast genau 3 Monaten Vavul, mein Heimatland, verlassen hatte, baute ich mir jeden Tag eine Mauer aus Selbstsicherheit und Selbstvertrauen weiter auf. 

Diese Mauer half mir unter falschen Namen zu reisen, mich nach Möglichkeit im Hintergrund zu halten und ohne zu zögern alle zu töten, die sich meiner Reise in den Weg stellen.

Denn ich tue diese Reise nicht nur für mich. Ich tue es für alle Menschen und Länder, die am Abgrund vor einem gigantischen Krieg ums Überleben in dieser bröckelnen Welt stehen. 

Doch um diesen Krieg, dessen Auswirkungen den Planeten wahrscheinlich unbewohnbar machen würden, zu verhindern, würde man sich zurück zur Quelle allen Lebens dieser Welt aufmachen müssen.

Zurück an den Ort, an dem vor Jahrtausenden das goldenste und mächtigste Imperium der Welt geboren wurde.

Zurück an den Ort, wo einst die Imperatoren und heute der Sand regiert.

In das Herz der Wüste Kazooko, der goldenen Wüste, wie sie auch genannt wurde.

Dort könnte es Hinweise auf den uralten Orden, der Pulswächter geben, die dafür sorgten, dass die gesamte Welt, damals, heute und in Tausenden von Jahren danach noch, im Gleichgewicht blieb. Dass keine Fraktion, seien es Orks, Yoer's, Menschen oder Kiio's komplett ausgerottet werden wird. Dass alle Länder, Königreiche und Imperien die gleichen Chancen auf Leben haben.

Bedauerlicherweise wurde dieser Orden mit dem Fall des Kazookischen Imperiums vor 3000 Jahren aufgelöst und die Pulswächter zerstreuten sich. Niemand hat je wieder was von dem Orden gehört.

Ich musste diese Pulswächter in der Kazooko-Wüste finden. Und ich musste sie davon überzeugen, meine Welt zu retten. Im Grunde sind dies die beiden Sätze, die meine Mission beschrieben.

Und jetzt brach die Mauer, die mir half, das unvorstellbare Gewicht dieser Mission auf den Schultern zu tragen einfach zusammen wie ein Kartenhaus! 

Ich zog mit zitternen Händen meinen Schlüssel aus der Tasche, drehte ihn im Türschloss herum und stolperte in die Bruchbude. Meine Gedanken kreiste nur um das eine: Sollte der Mann von gerade eben die Wahrheit gesagt haben, hatte Jii sich geirrt, als er den Angreifer als gewöhnlichen Räuber identifizierte.

Der "Räuber" hatte es die ganze Zeit auf mich abgesehen.

Scheiße!, dachte ich.

Ich bin doch nicht mehr sicher.

SandgeiselOù les histoires vivent. Découvrez maintenant