5. Kapitel Tag 6 (Montag 07/08/2023)

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#Maxie

Wir sprangen aus dem Van, ins Flugzeug, in den nächsten Van und kamen Stunden später endlich am Cedars-Sinai Hospital von Los Angeles an. Diese Stunden waren eine einzige Achterbahnfahrt für mich gewesen - seelisch, wie körperlich. Meine physische Konstitution hatte ihren bisherigen Tiefpunkt erreicht. Noch nie im Leben hatte ich mich so schlecht gefühlt. Doch ich hatte jetzt keine Zeit, um mich darum zu kümmern. Wir rannten in den Fahrstuhl. Harry fragte mich, ob es mir gut gehe, als ich mich gegen den Spiegel darin lehnte und ich bejahte. Nur noch ein Stockwerk und da war ihr Zimmer. Das Erste auf dem Gang. Es stand schon vor Wochen fest, schließlich mussten Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, Bodyguards mussten vor den Türen stehen und nur vertrauensvolle Mitarbeiter waren hier zugelassen. Harry hätte die ganze Etage gekauft, wenn es bedeutet hätte, seine Tochter in Sicherheit zu wissen. Die Paparazzi heutzutage hatten ihre Tricks. Wir wussten nicht, wie sie es herausgefunden hatten, doch standen sie bereits in Scharen vor dem Krankenhaus, bevor wir ankamen.

Es war schon merkwürdig. Wir hatten es so eilig hierher zu kommen und doch hielten wir vor ihrem Zimmer inne. Es war soweit. Ich konnte es nicht glauben. „Ich werde Mutter." Der Satz schwirrte in meinem Kopf herum und ich flüsterte ihn pausenlos, wie ein ewiges Mantra.

Ich werde Mutter - Ich werde Mutter - Ich werde Mutter.

Jahrelang hatten Harry und ich vergeblich versucht ein Baby zu bekommen und jetzt bekamen wir tatsächlich eines. Der Schritt uns für eine Adoption zu entscheiden hatte lange gedauert, doch sobald wir es taten, ging alles ganz schnell. Vor einem halben Jahr war der Entschluss gefasst und bereits einen Monat später lernten wir Marina kennen. Marina Garcia war ein faszinierendes Mädchen, wunderschön und stolz. Sie stand da, dieses zierliche, kleine Mädchen, mit ihrem schon beachtlichen Babybauch und strahlte mit ihren 17 Jahren bereits mehr Stärke und Entschlossenheit aus, als die meisten Menschen es je könnten. Auf beiden Seiten klickte es sofort.

Ein immer wiederkehrender Gedanke überschattete meine Erinnerung.

Was, wenn sie sich um entschied?

Sie sprach von Ambitionen - ihren Schulabschluss zu machen, aufs College zu gehen und raus aus dieser schlechten Gegend zu kommen - doch was, wenn ihr ihre Emotionen einen Strich durch die Rechnung machten? Ich konnte mir nicht ausmalen, wie es sich anfühlte 9 Monate lang ein Leben in sich zu tragen... Der Gedanke versetzte meinem Herz einen Stich. Ich hatte keine Ahnung, wie es sich anfühlen musste und würde es wohl auch nie erfahren.

Energisch schüttelte ich den Kopf. Das war jetzt Vergangenheit. Dieses Baby... Sie würde meine Tochter sein.

„Bist du bereit, Maxie?", fragte mich Harry und griff sanft nach meiner Hand. Er war kreidebleich, doch sein Lächeln war riesig.

„Ja."

Ich öffnete die Tür und da war sie.

Wie in Trance ging ich auf sie zu. Ich hatte mir viele Gedanken darüber gemacht, wie es sich anfühlen würde - Bücher über Adoption und Babys gelesen - doch nichts konnte mich auf die Wucht an Gefühlen vorbereiten, die ich empfand als ich in ihr Gesicht war. Ihr winziges, zerknautschtes, perfektes Gesicht. Es dauerte einen Moment, bis ich etwas anderes wahrnehmen konnte. Sie war in eine gelbe Decke mit Entchen-Muster gehüllt und ich schluchzte auf. Es war meine Decke gewesen. Harry hatte sie „zufällig" in einem Schrank wieder gefunden und „zufällig" auf dem Sofa platziert. Ich hatte mich nahezu jeden Abend mit ihr aufs Sofa gekuschelt... Er musste sie Marina gegeben haben, kurz bevor wir nach Honolulu geflogen waren.

„Ich wollte, dass sie nach dir riecht."

Ich sah zu meinem Mann auf und erkannte ihn fast gar nicht wieder. Tränen liefen seine Augen entlang und er trug ein Lächeln, das ich noch nie vorher an ihm gesehen hatte. Es war kein Vergleich zu allem was vorher war und ließe sich wohl auch niemals mehr so zeigen. Dieses Lächeln war nur für jetzt, nur für diesen Moment. Ich würde diesen Anblick niemals vergessen.

„Sie ist perfekt", flüsterte er und auch meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich nahm sie hoch und ab da war es um mich geschehen. Ich schluchzte und drückte sie so behutsam ich konnte an mich. Ich hätte sie ewig ansehen und leicht wiegen können, doch auch Harry wollte sie halten und erst als ich sie los ließ, bemerkte ich, dass Marina uns ansah. Wie konnte ich sie nur vergessen?

Ich setzte mich zu ihr ans Bett und ergriff ihre Hand. „Wie geht es dir?"

„Gut", antwortete sie mir, doch ich sah ihr an, wie benommen sie noch immer war. Sie blickte nicht zu mir, sondern herüber zu Harry und dem Baby. Ich sah abwechselnd Marina und unser Baby an und spürte Panik in mir aufkommen. Das durfte nicht sein, nein. Ich konnte sie nicht verlieren. Tränen stiegen mir erneut in die Augen.

„Marina, bist du dir sicher?"

Sie sah mich an und drückte meine Hand, die immer noch in ihrer lag.

„Ganz sicher. Sie war eure Tochter von dem Moment als ihr reingekommen seid."

Ich hielt mir die Hände vors Gesicht und schluchzte vor Erleichterung. Lieber hätte ich auf das Baby, mein größtes Glück verzichtet, als sie ihrer Mutter zu entreißen. Ich wusste nur zu gut, was das mit Müttern anrichtete, wenn ich an meine eigene dachte.

„Maxie?"

Ich nahm meine Hände herunter und Marina streckte etwas nach mir aus. Einen Umschlag.

„Bitte... Gib ihr bitte diesen Brief, wenn sie alt genug ist."

„Natürlich." Ich nahm ihn an.

Marina atmete tief aus und schluckte ihre Tränen herunter. „Bitte bitte, glaub nicht, dass ich meine Entscheidung bereue. Das tue ich nämlich nicht. Ich weiß, es ist das Richtige. Ich will, dass sie es einmal besser hat und ich weiß auch, dass ich für mich selbst nichts bessern kann wenn ich... Ich bin auch einfach nicht bereit dazu, ich- Ich will, dass sie mich irgendwann versteht und weiß, dass sie mir nicht egal ist."

„Natürlich ist sie das nicht! Du brauchst dich für nichts zu rechtfertigen. Wir kommen dir in all deinen Wünschen entgegen. Wenn du regelmäßig Fotos oder Updates zu ihrem Leben haben möchtest - Das kannst du alles haben! Du kannst auch immer auf uns zukommen, wenn du sie sehen möchtest. Du-"

Marina unterbrach mich, indem sie die Hand hob. „Ich danke dir für alles, wirklich. Aber ich kann das jetzt gerade einfach nicht - Ich kann da nicht drüber sprechen. Irgendwann vielleicht, ok?"

Oh mein Gott, ich war so ein Trampel. Wie konnte ich das arme Mädchen nur so überfallen? Als falle es ihr all das hier nicht schon schwer genug.

„Nimm dir alle Zeit, die du brauchst", antwortete ich ihr.

„Darf ich euch um etwas bitten?"

„Immer."

„Würdet ihr-", Marina atmete schwer aus. „Würdet ihr sie Rosa nennen? Nach meiner abuela... Sie ist euer Baby, aber der Name wäre... Dann wäre sie zumindest mit unserer Familie verbunden."

Rosa.

Ich sah zu unserem kleinen Engel herüber, der von Harry langsam hin und her gewiegt wurde. Ich lachte leise auf. Harry bekam von alldem hier nichts mit - Er hat nur Augen für sie. Für Rosa.

Ich nickte. Ja, sie sollte Rosa heißen.

Mich überkam ein unbeschreibliches Gefühl der Freude und ich stand auf, um zu meiner kleinen, neuen Familie zu gehen. Doch kaum machte ich den ersten Schritt wurde mir schwarz vor Augen und ich hörte noch gedämpft Marinas Schrei, bevor ich auf den Boden aufschlug.

All grown up?Where stories live. Discover now