3. Treffen

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Er liebte es, wenn sie in der Nach über verlassene Landstrassen bretterten. Durch elende Kaffs flitzten, mit aufheulendem Motor und unglaublich lauter Musik.

Wenn sie dann und wann anhielten, sich eine Zigaretten im Auto drehten und dann ausstiegen, um sie zu rauchen.

Man konnte nichts anderes sehen als den Mond, die Sterne und das Glimmen der angezündeten Zigarettenenden. Oft stellte er sich vor, dass seine Mutter und seine Geschwister gerade die selben Sterne und den selben Mond ansahen und an ihn dachten. Sein Vater sah sie wahrscheinlich nicht, ausser er war schon tot und lag nun irgendwo achtlos hingeworfen unter offenem Himmel. Entsorgt wie ein Tier, dass man auf der Strasse überfahren hatte oder er hockte immer noch im Gefängnis.

Gefangen und gefoltert.

Seit über zehn Jahren hatte er keinen von ihnen mehr gesehen. Dafür schickte er ihnen monatlich etwas von seinem schmutzig verdientem Geld nach unten.

Manchmal rauchten er und seine Kollegen in einvernehmlichem Schweigen und manchmal brüllten sie einander an, da die Diskussion so ausartete. Manchmal hatten sie Mädchen dabei und machten Sachen. Manchmal kifften und sauften sie sich die Birne weg.

Und manchmal, da surfte er so wie heute auf dem Dach des Wagens in der Nachtluft, hielt sich am Rahmen fest und stand dem Angesichts des Todes gegenüber, wie so viele Male schon.

Er liebte es, wenn sie in der Stadt waren und über rote Ampeln fuhren, so dass die anderen Autofahrer empört hupten. Wenn sie anhalten mussten, dann die Fenster runter liessen, um den Frauen nachzupfeifen. Wenn alle die Karre bewunderten, in der sie sassen und sie durch die pulsierende Stadt fuhren. Wenn sie in den Villenvierteln nachschauten, in welches Haus sie als nächstes einsteigen würden.

Vom Autodach aus hatte er eine perfekte Aussicht in die perfekten Gärten, der perfekten Häuser. Sein Freund fuhr extra langsam, so dass er sich mit seinen Beobachtungen Zeit lassen konnte. Mit geübtem Blick suchte er nach Kameras und anderen Sicherheitsvorrichtungen. Eher per Zufall entdeckte er dann das Haus, das ihr nächstes Ziel werden könnte. Dieser Zufall kam in Gestalt einer halbnackten und in helles Licht getauchten jungen Frau auf einem Balkon daher.

Verlockend.

Er liebte diese Nächte.


Sie wollte sich eigentlich nur eine Auszeit vom Lernen gönnen und stand nun frierend auf dem Balkon ihres Zimmers. Zitternd stiess sie die Luft aus ihren Lungen in kleinen weissen Wölkchen aus und tat dabei so, als würde sie rauchen. Tat sie aber nicht.

Ihr Nachthemd war zu durchsichtig und zu knapp, aber sie wollte es so.

Vielleicht würde einer ihrer männlichen Nachbarn ihr ein wenig Aufmerksamkeit schenken, die sie so dringend gebrauchte.

Mit solch kleinen Aktionen versuchte sie auf eine Art gegen ihren Vater und ihre Mutter zu rebellieren. Es waren kleine, unbedeutende Sachen, die die Eltern nicht interessierten, doch wenn sie es tat, dann kam sie sich nicht so übergangen vor. Sie kam sich dann so vor, als hätte sie auch etwas zu sagen in ihrem Leben, als könne sie einen kleinen Teil davon auch selbst kontrollieren.

Auf eine andere Art versuchte sie so nach Hilfe zu rufen, doch niemand hörte sie. Gegen aussen hin war sie für alle die perfekte Tochter, sie sich jeder insgeheim wünschte. Niemals hätte man gedacht, dass sich in ihrem Inneren solche Abgründe auftaten. Wahrscheinlich wusste sie es selbst nicht einmal.

Sie schaute vom Mond weg, als sie das gleichmässige Schnurren eines Motors hörte und Richtung Strasse blickte.

Nach kurzem hinsehen rieb sie sich die Augen und da war es auch schon wieder weg und mucksmäuschen still geworden.

Dann hatte sie sich eben doch verguckt und da war eben gerade kein Typ auf einem Auto hockend durch ihre Nachbarschaft gecrust.

Sie war wohl doch zu müde und die Aufputschmittel, die sie eingeschmissen hatten, zeigten ihre Wirkung eben immer noch nicht.

Bei Nacht sind eh alle Katzen schwarz.

Oder so.

ORBITWhere stories live. Discover now