5 - Bildschirmschoner

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Es war Sonntag und ich tat den ganzen Tag gar nichts, ein typischer Sonntag eben.

Gestern waren wir, wie abgemacht, bei Mark und spielten Videospiele.
Es war zum schießen lustig, doch ein Satz vom privaten Gespräch mit Jack, ging mir einfach nicht aus dem Kopf:
"Sie denkt, dass du zu gut für sie bist."

Ich verstand es nicht. Ich verstand nicht, wie so eine atemberaubende Person sich nicht gut genug für irgendwas fühlen konnte.

Seufzend fuhr ich meinen Laptop hoch und schloss meine Kamera an.
Mit müden Augen musterte ich meinen Bildschirmschoner. Es war ein Foto von meiner linken Hand, ich umfasste einen verdorbenen, braunen Blumenstrauß und meine Fingernägel waren quietschgelb. Ich mochte es, auf seltsamer Weise.

Gelassen importierte ich die neuen Bilder von meiner Kamera auf meinen Desktop und dann sah ich es wieder, das Selfie von Bandit und mir, welches sie in Marks Cabrio geschoßen hatte. Es schien so lange her zu sein.

Ich klickte zwei Mal drauf, um es auch vergrößert zu betrachten.
Ihr Arm um meine Schultern, die Haare vom Wind verweht, ein Grinsen auf den Lippen, der Nasenring glitzerte und die blasse Hand war mit bunten Farben bekleckst. Wie atomatisch scannte ich meine Kamera nach ihrem Fingerabdruck ab und natürlich fand ich ihn. Ein Lächeln formte sich auf meinem Gesicht.
Sie war wunderschön. Wie kann so ein wunderschöner Mensch Angst haben? Angst davor mir weh zu tuen, mich falsch zu behandeln. Es war einfach unglaublich.

Tränen bildeten sich in meinen Augen, ich war verzweifelt. Konnten sich zwei Menschen lieben aber einfach zur falschen Zeit? Konnte das Leben wirklich so verdammt unfair sein? Ist es so unfair zu jedem?

Ein Klopfen ertönte und Cry betrat mein Zimmer: "Chelsea, das Abendessen ist fertig."

Sofort wischte ich meine Tränen weg, in Hoffnung er würde nichts bemerken und räusperte mich: "Alles klar, ich komme gleich runter."

Ryan trat an meine Seite: "Ist irgendwas passiert?"

Der Tränenfall begann schon wieder, doch ich schüttelte den Kopf.

Er musterte mich, blickte dann auf den Screen und sah das Foto.

"Wer ist das?", fragte seine kindliche Stimme vorsichtig.

"Bandit.", sprach ich sanft, "Das ist Bandit."

"Ist sie eine Freundin von dir?", wollte er wissen.

Ich blieb stumm. Ist sie das? Nur eine Freundin? Was bin ich für sie? Was waren wir? Nur Freundinen?

"Weis ich nicht, Cry.", murmelte ich scharmvoll. Ich wusste einfach nicht mehr weiter.

"Magst du sie?"

Mein Körper zuckte bei dieser Frage zusammen. Ich war immernoch verwirrt. Mochte ich sie bloß oder liebte ich sie? Was war der unterschied zwischen Mögen und Lieben?

"Ryan? Chelsea? Kommt ihr jetzt runter? Essen fassen!", rief unsere Mutter ungeduldig.

Ich fuhr mir mit meinem T-shirt über mein Gesicht, um jede einzelte Spur meiner Verzweiflung zu verbirgen.

Mein kleiner Bruder und ich gingen schweigend die Treppen hinunter und setzten uns neben einander an den gedeckten Tisch, gegenüber von mir saß Mom und daneben Dad. Es gab Frühlingsrollen und Reis.

"So, guten Appetit!", sprach mein Vater und wir alle fingen an zu essen.

Gerade redeten unsere Eltern über Dad's Arbeit, während ich mit all meiner Kraft versuchte nicht zu explodieren.

Doch eine Frage, brannte auf meiner Zunge und ich musste sie stellen: "Mom, dürfte ich dir eine... Frage stellen?"

Alle drei Augenpaare waren nun auf mich gerichtet. Dies ist meine Familie, ich konnte ihnen vertrauen, oder?

"Natürlich, darfst du.", sie klang besorgt.

Ich atmete tief durch: "Was ist der Unterschied zwischen Mögen und Lieben?"

"Nun ja, es ist sowie eine Blume.", erklärte sie, "Wenn du eine Blume magst, pflückst du sie. Wenn du jedoch eine Blume liebst, giest du sie jeden Tag und passt besonders gut auf sie auf."

Ich nickte langsam.
Wollte ich selbstsüchtig sein, Bandit pflücken und somit ihr Leben verderben, nur um für eine kurze Weile Zuneigung zu empfinden? Mein Bildschirmschoner; meine Nägel leuchteten Gelb, doch die Blumen verrotteten. Wollte ich Bandit dies antuen, damit ich leuchten konnte?

"Fragst du wegen Jack? Der mit den grünen Haaren?", die neugierige Stimme meiner Mutter riss mich aus meinen Gedanken.

"Nein!", zischte ich entsetzt.

Mom's Augenbrauen zogen sich zusammen: "Verzeihung, du musst aber nicht sofort laut werden."

"Tut mir leid.", nuschelte ich und schob mir mehr Reis in den Mund.

Doch meine Mutter beließ es natürlich nicht dabei: "Wie heißt denn der andere Junge? Marvin? Mar-"

"Mark.", antwortete ich genervt, "Es ist Keiner von den Beiden, Mom! Mein Gott, du hast ja keine Ahnung!"

"Ist es wegen Bandit?", erfasste Cry ohne Weiteres.

Meine Kehle schnürrte sich zusammen und ich konnte nichts sagen, die Stille war Antwort genug.

"Chelsea, hast du uns etwas zu erzählen?", brachte mein Vater unsicher heraus.

Jetzt oder nie. Ich vertraute meiner Familie mit ganzem Herzen. Sie würden mir helfen und immer für mich da sein, oder?

"Ich glaube, ich empfinde Gefühle für Bandit, ein Mädchen in meiner neuen Freundesgruppe.", gab ich zu und das Ticken der Uhr war für eine Weile das einzigste Geräusch.

"Das ist vollkommen in Ordnung, mein Schatz.", Mom lächelte mich liebevoll an, "Das ändert dich keines Wegs, du bist und bleibst immernoch unsere Tochter und ich bin froh, dass du so offen mit uns damit umgehst."

Ich bedankte mich bei ihr und lies die Ehrleichterung heraus.

Dad lächelte ebenfalls: "Du bist so erwachsen geworden, ich bin unbeschreiblich stolz auf dich. Du solltest Bandit mal zum Essen einladen. Ich will immernoch sichergehen, dass meine Tochter in guten Händen ist!"

"Keine Sorge, das bin ich ganz sicher.", zufrieden nahm ich einen Schluck Wasser.

"Ryan, was hast du dazu zu sagen?", Mutter beugte sich über ihren Teller, um die Reaktion ihres Sohnes besser zu analysieren.

"Bandit wirkt cool.", er fummelte an seiner gestreiften Serviette rum, "Ich will nur nicht, dass sie Chelsea zum weinen bringt."

Ich wuschelte lachend durch seine Haare. Wenn er nur wüsste, wie das so mit der Liebe und den Hormonen abläuft.

Und als ich ihnen, an diesem Abend, alles über das Mädchen erzählte, wurde mir Eines klar; ich wollte sie gießen, jeden Tag. Ich wollte mich um sie kümmern und erleben, wie sie blühte.
Ich wollte sie lieben.

Graffiti || girlxgirlWhere stories live. Discover now