1 - Tintenstrich

68.7K 3.2K 1.9K
                                    

Heute war der erste Tag meines Seniorjahres an dieser Highschool. Endlich würde diese Tortur bald enden.

Aus mir erschließenden Gründen, hatte ich keine einzigen Freunde und durchlebte meine ganzes Schulleben alleine. Ob ich deswegen traurig war? Nein, mir gefiel es so. Ich bevorzugte es sehr wohl als Einzelgängerin durch die Fluren zu streifen, anstatt jede Minute begrüßt zu werden, ein Lächeln fälschen zu müssen und selbstsüchtigen Personen dreist ins Gesicht zu lügen was meine Gefühle angeht. Denn es scheint so, als seien die ach so beliebten und populären Schüler, immer fabelhaft drauf. Während meine Wenigkeit zu jeder Zeit eine graue Wolke über den Kopf schweben hat und Mundwinkel aus Stein besitzt.

Jetzt denken Einige von euch sicherlich so etwas wie: "Och nee, schon wieder so'ne depri Story, wo sich am Ende jemand die Kugel gibt!" oder "Ich warne dich! Bring mich hier nicht zum weinen oder ich piss dein Haus an!"

Nein, in dieser Geschichte geht es nicht über meine Depressionen. Wäre doch sehr nervtötend, wenn ihr wunderbaren Leser etwas so tristes ertragen müsstet und ich Urin an meiner Hauswand finden würde.

Es geht darum, wie diese ganz bestimmte Person alles auf den Kopf stellt und mir dabei meine Augen öffnet. Denn das Einzige was ihr hieraus ziehen werdet, sind nicht Tränen und einen fiktionalen Charakter weniger, sondern die Moral, dass in jedem von euch mehr steckt als nur schwarz und weiß. Ihr alle besitzt ein wunderschönes Atelier voller Farben, die nur darauf warten benutzt zu werden.

Aber genug davon, ab in die Geschichte!

Nach meiner organisierten Morgenroutine und dem nicht all zu langem Weg zur Schule, betrat ich schließlich das Gebäude. Der verfluchte Schulgeruch stieg mir in die Nase. Die Spinde, die Stühle, die Trikots der Footballspieler, die Lippen der Cheerleader, alle besaßen die Farbe der Schule; Rot. Und ich war der einzige schwarze Tropfen.

Jeder Schüler hatte den Stundenplan schon im Voraus geschickt bekommen. Mein erster Unterricht war Literatur, also musste ich die Treppen hoch in den ersten Stock. Seufzend nahm ich meine Kopfhörer ab, steckte sie in meine Jackentasche und drängelte ich mich durch die laute Schülermenge, in Richtung Treppenhaus.

Am passenden Raum angekommen, saß ich mich sofort an meinen Platz vom letzten Jahr, in die vorletzte Reihe. Jeder Klassenraum war gleich möbliert. Vorne die dunkelgrüne Tafel, dann das unnötig große Pult und für uns Schüler vier Reihen unfassbar schmaler Partnertische.

Einige Schüler befanden sich schon hier. Vorne natürlich die populären Mädchen und Jungen, die mit ihrem tollen Urlaub angaben.

Ich konnte mir das Augenrollen nicht verkneifen. Was ist bitteschön so toll an den Malediven oder Hawaii? Meine Wenigkeit hatte genügten Spaß in meinem Zimmer. Ohne noch weiter meine Gedanken an diese Leute zu verschwenden, nahm ich meine Sachen für den Unterricht heraus.

Ehe ich mich versah setzte sich jemand auf den freien Platz neben mir. Was zum Teufel? Ich saß doch immer alleine?

Verwirrt wand ich meinen Kopf zur der Person links von mir.

"Hey yo, Chelsea!", begrüßte mich das Mädchen als wären wir die besten Freunde.

"Hi, Bandit?", murmelte ich skeptisch. Was wollte sie denn von mir? Hatte sie eine Wette verloren?

Nun, bevor ihr euch fragt warum ich so dachte, lasst mich es erklären: Bandit war an dieser Schule wohlbekannt. Nicht als Cheerleaderin, nicht als Außenseiter, nicht als Streber, sondern als das einzig wahre Bad Girl. Sie sagte was sie wollte, tat was sie wollte und brach Regeln, als gäbe es kein Morgen. Sie galt zwar nicht als beliebt aber jeder hatte Respekt vor ihr, da es schon einige Geschichten gab, indem dieses zierliche Lebewesen, Schülern, welche es wagten sich mit ihr an zu legen, die Hölle brennend heiß machte. Ob mit Worten oder ihren eigenen Fäusten. Noch dazu hatte zwei beste Freunde mit dem gleichen Ruf. Mark und Jack. Mark war einwenig mysteriös, relativ breit und besaß offensichtlich asiatische Wurzeln. Was ihn jedoch in den Augen von frustrierten Teenagern ausmachte, war seine Stimme. Tiefer als der Ozean und weicher als Butter. Jack dagegen war laut, idiotisch und bei seinem Akzent konnte man nur zu gut heraushören, dass er aus Irland stammte. Seine Sprüche waren episch und sein Sarkasmus tat weh, auf guter Weise natürlich. Jeder Schüler und Lehrer wusste, dass diese drei Troublemaker schlecht hin waren.

Könnt ihr meinen Gedankengang jetzt nachvollziehen?

"Du klingst nicht sehr erfreut mich wieder zu sehen.", sagte Bandit dann.

Ich verstand gar Nichts mehr: "Warum sollte ich?"

"Oho Bandit wird von Chelsea auseinander genommen!", kam es von dem Tisch hinter uns.

Bandit zischte, ohne sich umzudrehen: "Halt deinen Mund Jack oder ich klau dir deinen Topf voll Gold!"

Ich schmunzelte und sah zu dem Jungen hinter uns.

Er schnaubte und fuhr sich durch seine hellgrünen Haare: "Deine Witze werden immer unorigineller Schätzchen!"

"Whatever Leprechaun.", gab Bandit gelassen zurück und nahm meine Federmappe in ihre Hände.

Ja, was sich liebt das neckt sich.

Bevor Jack nun vollkommen ausrasten konnte, flüsterte Mark, welcher neben ihm saß, etwas in sein Ohr.

Ich ignorierte die Beiden und blickte zurück zu Bandit, die gerade meinen Füller aus dem Mäppchen fischte: "Warum sitzt du hier und nicht bei denen?"

Sie lächelte mich an. Es war ein schönes Lächeln. Ein Lächeln, was mein Herz dazu brachte einen Schlag auszusetzen. Ein Lächeln, was mich dazu brachte sie anzustarren. Rosa Lippen, blaue Augen, schwarze,wellige Haare mit bunten Spitzen und ein Piercing hing an ihrem linken Nasenloch. Sie war hübsch, sehr sogar.

Ich im Vergleich war langweilig. Braune Haare, braune Augen. Nichts Besonderes.

"Ich sitze bei dir, weil ich dich besser kennen lernen will.", erklang ihre klare Stimme, "Du wirkst immer so trüb und grau."

"War das etwa eine Beleidigung?", ich war immer noch so verwirrt, wie am Anfang.

"Vielleicht.", kicherte sie.

Dieses Mädchen erlaubt sich wohl so Einiges.

"Chelsea, es steckt mehr in dir. Ich weis es einfach!", sie sah mich mit einem intensiven Blick an, "Wir müssen es nur finden."

Langsam wurde ich sauer: "Was wenn ich es nicht finden will?"

Bandit wollte gerade darauf antworten, doch die Lehrerin betrat den Raum und fing mit dem Unterricht an.

Ich hörte aufmerksam zu, bis jemand bestimmtes meine Hand nahm und flach auf den Tisch legte.

Die Hälfte der Klasse war schon im Halbschlaf, weswegen es eindeutig zu leise war, um zu fragen was sie vorhatte.

Bandit öffnete die Kappe des Füllers und malte einen Strich auf meine Hand. Dieses Mädchen war verwirrender als das Labyrinth, welches ich als kleines Kind mit meinen Eltern besucht hatte. Für Stunden wanderten wir dort herum und schlussendlich nahm mein Vater mich auf seine Schultern, damit ich den Weg weisen konnte.

Ich musterte Bandits Hände, als sie weiter auf meinem Handrücken malte. Sie hatten bunte Flecken drauf. Von wo kamen die?

Meine neue Sitznachbarin stoppte, machte den Füller wieder zu und richtete sich auf, sodass ich das Bild betrachten konnte.

Aus dem einfachen Tintenstrich, hatte Bandit eine wunderschöne Blume gestaltet.

Und diese Blume hatte mehr Bedeutung, als ich mir in diesem Moment hätte erdenken können.




Graffiti || girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt