II.5 Das Echo aus der Tiefe - An Bord der MS Mørk

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Weitere Zwischenfälle ereigneten sich nicht. Die Durchführung des Plans verlief reibungslos. Der Wachoffizier am Eingangstor des Luftwaffenstützpunkts zeigte sofort Vertrauen in das militärische Kennzeichen meines Gefährts und widmete dem leicht modifiziert Ausweis meiner Person nur einen flüchtigen Blick. Ich musste etwas nachhelfen, um meinen Fahrgast in einen Fluggast zu verwandeln, aber der zweite Flachmann, den ich ihn sachte in die Hand drückte, brach jeglichen Widerstand, sodass wir uns schnell in die Lüfte erhoben. Erleichterung ergriff mich und mit Sehnsucht blickte ich auf die sich unter uns ausbreitende Wassermasse. Nach etwa zwanzig Flugminuten konnten wir das Bergungsschiff sehen. Die MS Mørk stellte ein kleines Prunkstück in der norwegischen Seeflotte dar und ging speziell für die Rettung in Seenot geratener U-Boote vom Stapel. Die Schiffsform beruhte auf der technischen Konstruktion eines Katamarans. Gleich einer monströsen Krake thronte obenauf die massive Stahlkonstruktion des Krandecks, dessen unzähligen Greifarme die beiden parallel angeordneten Rümpfe fest zusammenhielten. Die Hebekräne des Decks vermochten über 5000 Tonnen empor zu ziehen. Zwischen den Doppelrümpfen konnte das gehobene U-Boot aufgelagert und bis zum Hafen in Bergen abtransportiert werden. Über ein vergleichbares Schiff verfügte keine der Streitmächte auf der Welt. Ein Fadenkreuz kennzeichnete auf dem platt gedrückten Kopf der Krake unseren Landeplatz. Sturzartig sank der Helikopter hinab und ich bemerkte wie die Übelkeit unseren U-Boot-Experten übermannte. Ich half ihm schnell mit einem Sodatenhelm als Auffangbehälter aus, den ich glücklicherweise unter meinem Sitz vorfand.

Bereits als wir mit einem Satz den Boden der MS Mørk erreichten, flackerte das Geräusch der Rotoren wieder auf und der Helikopter begab sich wieder auf den Weg gen Horizont. Ich wagte noch nicht mich umzudrehen.

„Herr von Helmstedt, wir sind sehr froh, dass die deutsche Marine Sie entbehren kann. Es ist ein sagenhafter Fund, der Geschichte schreiben wird.“

Der U-Bootexperte mit den scheuen Kaninchenaugen lachte verlegen.

„Danke, Herr Admiral. Es ist mir eine Ehre, hier sein zu dürfen.“

Nun benötigte ich selbst einen Soldatenhelm als Auffangbehälter. Ich entschloss mich jedoch lieber dazu, die einträchtige Zweisamkeit zwischen den beiden Herren zu stören und drehte mich zum Geschehen um. Unerwartet trafen meine Augen auf Nils, der neben seinem Vater stand. Sein Lächeln verwirrte meinen Verstand und jede meiner bösen Absichten verfiel in Bedeutungslosigkeit. Was wollte ich nur noch? Gleichgültig! Lieber betrachtete ich Nils‘ Gesicht in all seinen hübschen Details.

„Was hat der hier zu suchen?! Diese Kadettenuniform! Er hat sich hier herein geschmuggelt. Dieser Hochstapler, dieser Betrüger…“

Der Admiral tobte, aber Nils warf sich zwischen uns.

„Beruhige Dich, Vater. Nicht vor der Mannschaft.“

Auch der Admiral ließ sich von Nils besänftigen und schnaufte kräftig durch. Herr von Helmstedt sah mich mit einer derart tiefgehenden Enttäuschung an, dass befremdliche Schuldgefühle sich meiner bemächtigten. Ich hielt ihn doch nur für einen komischen Kauz, aber der kleine U-Bootexperte schien wohl mit seinen Kaninchenaugen mehr in mir gesehen zu haben. Sein Blick bedrückte mich ein wenig. Ich wich ihm aus und ging auf Nils zu. Behutsam gab ich meinem Angebeteten einen Kuss auf die Stirn, und bedankte mich auf diese Weise für die errungene Waffenruhe zwischen ihm und seinem Vater. Diese Geste blieb weder vom Admiral noch vom U-Bootexperten unbemerkt.

Die Bergungsaktion erlangte schnell wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Beteiligten. Ein Team von 40 Marinetauchern bemühte sich unter dem Einsatz ihrer gesamten Kräfte unzählige Seile in die Tiefe von etwa 250 Meter zu schaffen. Um ein Zerbrechen des etwa 2000 Tonnen schweren Bootskörpers zu verhindern, platzierten die Taucher vier Hebeballons, die sich über einen Schlauch zur MS Mørk mit Pressluft füllen ließen. Bereits am Mittag konnte die U-2511 mit Hilfe der Ballons um einige Meter vom Meeresboden angehoben werden. So verließ das Boot nach 70 Jahren sein Ruhebett und erwachte. Die Taucher beklagten sich im zunehmenden Maße über die unzureichende Sichtweite in der Tiefe. Wie schwarze Tinte in einem Wasserglas verteilte sich ein schleierhafter Dunst um die Bergungsstelle. Nach einigen Berichten zu urteilen, sonderte der Bootskörper selbst eine dunkle Farbe ab, die sich in gewaltigen Schlieren in die Höhe wand, um schließlich in einer undurchdringlichen Wolke wieder abzusinken. Ein Abbruch der Aktion kam jedoch nicht in Betracht. Unter diesen erschwerten Bedingungen gelang erst zum späten Nachmittag das vollkommene Einschnüren des zylindrischen Rumpfes mit den Rettungsseilen. Sämtliche Seile führten zum Krandeck der MS Mørk – dem Kopf der Krake.

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