Auf zur Jagd

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Mila war starrsinnig und dickköpfig. Sie liebte ihren Bruder und ihre Mutter, aber seit ihr Vater von einer Reise nie mehr den Weg nach Hause fand, schwanden ihrer Mutter die Sinne.

Die Tage wurden zu Nächten, Tage zu Wochen und Wochen zu Monaten. Milas Mutter nahm keinen Unterschied mehr wahr, sie saß mit ihrer Häkeldecke in dem alten knarzenden Schaukelstuhl und wippte. Meist ging ihre Mutter nicht mal mehr ins Bett.

Mila oder ihr großer Bruder Riku schauten nach, ob ihre Mutter die Augen geschlossen hatte, bevor sie die Decke über sie legten. Denn selbst im Schlaf schaukelte der Stuhl monoton. Sie hatten sich an das Geräusch gewöhnt, wie an das Geräusch des Baches vor ihrem Haus. Nur löst der Bach ein positives Gefühl aus, sobald sie sich dem Rauschen bewusst wurden.

Das Haus, in dem sie lebten, war alt. Regnete es, wechselten die Geschwister sich ab, wer denn die Eimer unter das kaputte Dach stellte, damit das Haus nicht flutete. Riku war eigentlich dafür verantwortlich, dass es nicht durch die Decke tropfte, aber das Haus war fleißiger, als Riku es war. Das kleine Feld neben dem Haus gehörte auch zu Rikus Aufgaben. Mila ging auf die Jagd, sie kochte und sie betrieb Handel auf dem Markt. Sie konnte Felle und Häute der erlegten Tiere bei der Weberin gegen gefertigte Waren eintauschen. In ihrem Dorf gab es kein Geld, es gab Händler und man tauschte untereinander seine Waren oder sein Können ein. Milas Vater war einer der Händler, die das Dorf regelmäßig verließen, um Waren von außerhalb in das Dorf zu bringen. Er brachte ferne Gewürze, Kräuter und Garne, die dann beliebig eingesetzt werden konnte. Ohne die Waren ihres Vaters hatten sie nicht mehr viel zu bieten.

Mila war eine miese Köchin und Riku ein noch schlechterer Handwerker, aber Riku hatte ein Händchen für Gemüse und konnte die Kräuter aus dem Wald bestimmen. Er hatte im Wald eine Knolle gefunden, die nun das ganze Feld bedeckte und solange der Boden nicht gefroren war, war sie essbar. Mit den Knollen, Fellen und dem Fleisch, das Mila schoss, kamen sie über die Runden. Im Winter ging sie auf der Jagd manchmal leer aus, dann verkaufte sie den alten Tant, der das Haus füllte und den niemand mehr nutzte.

Mila musste dringend wieder jagen gehen, die Kräuter und Blätter aus dem Wald gingen zur Neige und Mila kaute schon wieder auf einer rohen Knolle herum. Ihr Volk war tief mit der Natur verbunden, sie nahmen nur das, was sie brauchten, um zu überleben. So sehr sie ihr Leben liebte, wünschte sie sich manchmal mehr. Mehr Essen, mehr Kleidung und mehr Sicherheit. Und weniger Sorgen.

Vor zwei Tagen hatte ihr Bruder ihr mitgeteilt, dass er zu seiner Freundin ziehen wollte. Mila wusste, dass das passieren würde und auch das er nicht sie und ihre Mutter mitnehmen konnte. Sie übernahmen ein neueres Haus in der Mitte des Dorfes und wollten dort bald eine Familie gründen. Der Bauch seiner Freundin war schon so rund, dass es aussah, als hätte sie den Mond gegessen. Ihre Mutter nahm er mit. Er wollte Mila alleine lassen. Was sollte sie dazu sagen? Sie freute sich für ihren Bruder, aber wie sollte sie das alles allein schaffen? Das Haus und vor allem ihre Mutter machte ihr Sorgen. Noch mehr Sorge machte ihr allerdings, dass sie dann allein war. Aber Riku konnte sie nicht beide mitnehmen, dafür reichte der Platz nicht. War es nicht besser, die verwirrte Mutter umsorgt zu wissen? Es war egoistisch von ihr, aber Mila wollte, dass Riku sie mitnahm und ihre Mutter für sich selbst sorgte. Dass das nicht passieren würde, was Mila genauso klar, wie der Sonnenaufgang an jedem Morgen.

»Riku, kommst du mit in den Wald, um zu jagen?«, fragte Mila ihren Bruder. Es waren die ersten Worte, die seit zwei Tagen gesagt wurden. In die Stille hinein, klangen sie lauter, als sie gesprochen wurden.

»Nein Mila, ich packe. Wenn du zurückkommst, sind wir nicht mehr hier. Ich kann dich nicht mitnehmen, wir haben wirklich nicht genug Platz. Such dir doch endlich einen Mann und heirate, dann hast du all diese Probleme nicht mehr«, Riku sprach die Worte mit bedacht, denn er wusste, dass Mila das nicht wollte. Doch wollte er seine kleine Schwester nicht allein´ lassen, ohne ihr nochmals in ihr Gewissen zu reden. Was sollte er machen, auch er hätte lieber Mila mitgenommen, als die senile Alte. Aber Mila wollte sie ja auch nicht ins Heim bringen. Stures junges Ding. Er ging nun, aber er würde in ein paar Wochen nach ihr schauen, falls sie nicht vorher zu ihm kam. Vielleicht brachte er einen netten Jungen aus der Stadt mit, wenn sie sich verliebte, wäre es alles so viel leichter.

»Danke, Riku. Ich wünsche dir alles Liebe und wenn ich Zeit habe, komme ich euch besuchen. Es ist gut, dass du Mutter mitnimmst. Sie bringt uns eben in diese Lage, dass wir so handeln müssen. Ich hege keinen Greul, aber gehe fort, wenn dein Herz dich trägt«, antwortete Mila knapp. Sie sagte zum Vorschlag ihres Bruders, denn sie wollte keinen Streit in den letzten gemeinsamen Minuten. Mila ging zu Riku und nahm ihn noch mal kräftig in die Arme, bevor sie sich umdrehte und in den Wald davon lief. Sie hatten unterschiedliche Wünsche. Riku wollte Sicherheit und Mila wollte Liebe, da sie diese aber in ihrem Dorf nicht finden konnte, wollte sie auch nicht heiraten.

Beim letzten Fest der Gaben wollten viele Jungs mit Mila zu den langsamen Liedern tanzen, aber Mila tanzte allein. Sie drehte sich zur schnellen Musik, bis ihr schwindelig wurde. Sie tanzte mit Jono große Kreise, als die Musik glücklich war und hüpfte mit Elsie, als der Takt sprang. In ihrem Kleid, barfuß und mit Blumen im Haar, trank sie Wein, bis die Sonne aufging und der Wald in rostroten Flammen stand, dann fiel sie glücklich ins Bett. Das war Liebe. Die Erinnerung rollte ihr als Träne die Wange hinunter und sie lachte, als ihre langen schwarzen Haare im Wind peitschten. Die Wangen kirschrot und die Augen leuchtend, drosselte sie ihre Geschwindigkeit, um möglichst kein Wild aufzuscheuchen. Sie hasste ihre Aufgabe als Jägerin. Alles daran war für sie schwer, aber sie war eine der Besten. Ihr Pfeil traf immer und sie erinnerte sich noch an die Zeit, als sie nicht mehr Jagen wollte und ihr Vater es gestattete. Es war Winter und schon nach einer Woche, knurrte ihr Magen immerzu, noch nie litt sie solchen Hunger.

NebelfüchsinWhere stories live. Discover now