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Es war ein paar Wochen her, seit Elsa den ewigen Winter beendet hatte.

  Ein neues Leben hatte an jenem Tag begonnen, als Anna dankbar in die Arme ihrer Schwester gefallen war, nachdem Elsa die Freiheit gespürt hatte, den ewigen Winter in den Himmel zu entlassen.

Seither hatten sie viele ruhige und entspannte Momente geteilt, Erinnerungen an ihre Kindheit ausgetauscht, wo noch sie getrennt waren. Das sollte jetzt enden, und die Schwestern hatten einander versprochen, für einander da zu sein und einander zu helfen, wo immer es nötig war, und ihre Gedanken und Träume zu teilen.

Dann holten sie auch lustige Zeiten nach, in Kinderspielen, die sie so viele Jahre verpasst hatten. Familienabende mit Olaf, Kristoff und Sven waren zur Gewohnheit geworden.
  Anna war glücklich.

************

Heute war aber alles anders.

Es war ein ruhiger Spätsommermorgen. Der Herbst war auf dem Weg, klopfte an die Tür der Natur mit frühmorgendlichem Nebel über dem Hafen und der Unterstadt.

Anna saß in ihrem Zimmer und beendete das Flechten ihrer Haare. Sie wollte sich nicht beeilen, aber dann war das, was sie zu tun hatte, zu einer jährlichen Pflicht geworden. Es war nicht so, dass sie nicht gerne ein paar Spaziergänge zu den Klippen mit Blick auf Arendelles Stadt getan hätte, aber die Erinnerung an diesen Tag lauerte wie ein düsterer Schrecken über ihrem Herzen.

Elsa hatte sich ihr noch nie für diese Aufgabe angeschlossen.
  Natürlich nicht. Eingesperrt in ihrem Zimmer, hatte ihre Schwester verzweifelt versucht, ihre Kräfte zu verbergen. Selbst an jenem schrecklichen Tag, vor drei Jahren, war Elsa nicht in der Lage gewesen, mit ihr Seite an Seite zu den Klippen zu gehen, wo die Grabsteine für ihre Eltern aufgestellt worden waren.

Heute würde Elsa mitkommen.
  Anna fühlte sich auf seltsame Weise glücklich. Natürlich war es keine fröhliche Angelegenheit. Aber sie würden zusammen hingehen. Anna war sich sicher, ihre Eltern würden sich freuen, ihre Töchter so zusammen zu sehen. Elsa konnte sich nun frei bewegen; konnte ohne Angst mit ihren magischen Kräften umgehen. Sie konnten zusammen sein und das tröstende Familienleben erkunden. In ihren Herzen wären auch Mama und Papa dabei.

Anna seufzte und stand auf.
  Sie griff nach ihrem schwarzen Mantel und wollte gerade den Raum verlassen, als Elsa die Tür öffnete und auf der Schwelle stehenblieb.

"Elsa, du bists schon bereit?" Anna war immer noch fasziniert über das Aussehen ihrer Schwester in ihrem Eis-Kleid. Elsa hatte dieses in schwarz gezaubert, ein eisiger Umhang, der ihren Rücken entlang hinterglitt und hinter ihr hertanzte.

Gemeinsam verliessen die beiden Schwestern das Schloss.

An der frischen Luft gingen sie über den Hof und in Richtung Hafen und zum Blumenstand.
  Anna hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, dort ihre Blumen zu kaufen. Die Besitzerin des Blumenstandes, Halima, war eine nette Frau, mittleren Alters und mit einem freundlichen Lächeln. Halima hatte ein gutes Gespür für wunderbare Sträuße und Blumenarrangements.

Zu diesem Anlass hatte sie zwei anmutige Sträuße mit Krokus, Efeu und weißen Rosen gebunden.

Anna und Elsa machten sich auf den Weg zur grossen Plattform überhalb des Fjordes und hielten jeweils ein Blumenarrangement in ihren Händen.

Die Menschen standen am Wegesrand und verbeugten sich. Sie wussten wohin Elsa und Anna unterwegs aren und spürten die Aufregung der neuen Situation für beide Töchter.

Als sie am Rande der Plattform ankamen, warteten Kristoff und Sven bereits auf sie.
  Olaf saß auf Svens Rücken und trug selbst eine weiße Rose. Die drei Freunde würden sich der Königin und Der Prinzessin anschließen und ihnen in respektvoller Distanz folgen.
  Sven senkte den Kopf und spürte den traurigen Moment.
  Olafs Augen weiteten sich, als er sich dem Friedhof näherte. Wie wunderbar wäre es doch gewesen, wenn Elsas und Annas Eltern noch am Leben wären. Aber sie waren es nicht und Olaf hatte sich entschieden, der beste Freund zu sein, den die beiden Töchter jemals haben würden.
  Er würde ihnen warme Umarmungen geben, wann immer sie eine brauchen würden!
  Das war es, was er ihnen geben konnte, reichlich.

Kristoff verspürte großen Respekt vor dem, was er sah.
  Anna hatte ihm von der Tradition erzählt, zum Jahrestag dem Grab einen Besuch abzustatten. Sie hatte kein grosses Aufheben darüber gemacht. Sie hatte es ihm einfach im Vertrauen gesagt.
  Als er sie gefragt hatte, ob sie froh um die Begleitung wäre, hatte sie ihn angelächelt und umarmt. Ja, das würde sie sehr. Sie hatte es satt, alles allein zu machen.
  Sie liebte es, ihre Familie und Freunde in ihrer Nähe zu haben.

Elsa stand berührt und bewegt.
  Die Erinnerung an den schrecklichen Tag, als sie in ihrem Zimmer geblieben war, während Anna auf sich gestellt ihrer Pflicht nachgehen musste. Sie hatte sich so hilflos gefühlt, abgenutzt und... leer.
  Wenn ihre Eltern weg waren, wer könnte ihr helfen, mit ihrer Last fertig zu werden? Sie konnte Anna aus Angst nicht nahe kommen, aus Angst, sie zu verletzen...

Aber heute? Heute war alles anders. Elsa spürte, es nützte nichts, über vergangene Zeiten zu brüten, die nicht mehr waren. Sie konnte und musste nach vorne schauen. Sie konzentrierte sich auf die Chancen, die vor ihr lagen.
  Durch einen Impuls griff Elsa nach Annas Hand und drückte sie warm.
  "Du musst das nicht mehr alleine machen, das weißt du. Anna, es tut mir so leid. Aber von diesem Tag an werde ich für dich da sein."

Anna hatte auf die Schriftzüge auf den majestätischen Felsen gestarrt.
  Es war ein trauriger Tag gewesen. Aber dann, wenn ihre Eltern sie heute sehen könnten. Wie glücklich sie doch wären. Es muss so schrecklich für sie gewesen sein, Elsa all die Jahre vor bösen Gerüchten zu schützen. Und dann waren sie aber auch zu Anna liebevoll und fürsorglich gewesen. Sie fragte sich, wie es wäre, Kinder zu haben und dann die Verantwortung zu tragen, immer das Richtige zu tun und sie großzuziehen. Die Angst Fehler zu machen, wäre sicherlich eine Last, aber würden die freudigen Zeiten und glücklichen Momente nicht alles überwiegen?
  Sie war tief in ihren Gedanken, als sie die Berührung spürte. Als sie ihren Blick wendete, traf sie die lächelnden Augen ihrerSchwester.

Anna drückte Elsas Hand.
  "Ja! Und du wirst mich auch immer haben."

**************

Als sie sich auf den Heimweg machten, hatte Elsa eine Idee.

"Weißt du was? Als wir klein waren... Ich meine, vor... Weißt du... Mama und Papa hatten uns oft zu einem Picknick in den Schlossgarten mitgenommen und wir hatten uns vorgestellt, dass wir in einem verzauberten Land wären. Was würdet Ihr alle sagen, wenn wir diese Tradition gerade an diesem Tag beibehalten – in Erinnerung an eine wunderbare Familie?

Und so gingen sie den Weg hinunter. Sven trabte mit Olaf davon, glücklich, dass die Schwestern wieder lächelten.

Anna ging in der Mitte und hielt zu ihren beiden Seiten je eine Hand.

Sie war überzeugt, die Trauer musste nicht gewinnen – die Liebe war stärker!

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