Das Idol des Vorbilds meines Helden

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,,Da war ich gerade neun oder zehn Jahre alt. Meine Schwester und ich mussten immer mit auf den Basar, um die Einkaufstüten heimzutragen. Mama schaffte das nicht alleine und Baba war arbeiten. Wir hatten zwar keine Lust bei 45 Grad diese wahnsinnig schweren Tüten zu tragen aber weil wir die jüngsten sind mussten wir nun mal mit".

So antwortet mein Vater auf die Frage:,,Baba? Wen fandest du als Kind cool? - also richtig cool! - ich meine dein Vorbild oder Held oder sowas!"

Mein Vater ist 58 Jahre alt, hat graue Haare und führt seine eigene Schneiderei. In Syrien aufgewachsen führte er ein bescheidenes Leben. In Deutschland hat er als Schneidermeister Kunden aus dem dem wärmsten Ort Deutschlands - dem Kaiserstuhl. Ein bekannter und vor allem beliebter Mann.

Ohne lange zu überlegen fängt er an mir diese Geschichte zu erzählen, anstatt direkt meine Frage nach einer konkreten Person zu beantworten. So geheimnisvoll kenne ich ihn gar nicht. Also höre ich zu und denke mir, dass er noch zum wichtigen Teil kommen wird: ,,Manchmal war es ganz gut auf den Basar zu gehen. In den Tagen gleich nach dem Ramadan zum Beispiel. Da wird Īd al-Fitr (das Zuckerfest) gefeiert und dort gab es immer die besten Süßwaren. Alles was man sich als Kind nur wünschen kann! Ich hatte es jedes Jahr auf eine ganz besondere Torte abgesehen, die es immer nur dann gab."

Grinsend unterbreche ich ihn:,,Dein Vorbild war ne Torte?"

,,Jaja, haha. Sehr lustig, hör zu du Esel: Also diese Torte gab es nur selten und sie war teuer. Eigentlich zu teuer für uns, aber ich versuchte jedes Jahr meine Mutter davon zu überzeugen eine zu kaufen. Erfolglos. Sie hatte nie genug Geld für so etwas. Wie du ja weißt, habe ich vier Geschwister! Naja, nach einer kurzen Nörgelei hatte ich mich fast schon damit abgefunden, dass es dieses Jahr auch keine Torte geben wird. Und dann, genau in diesem Moment, trat ein Mann an den Stand, kaufte eine dieser Torten und gab sie mir."

Dieser Mann verfolgte das Gespräch zwischen meiner Oma und meinem Vater, woraufhin er die Torte kaufte. Meine Oma wollte diese scheinbar kleine Geste nicht annehmen. Sie kannte ihn und seine Frau. Sie wusste, dass er sechs Kinder hatte und nicht viel mehr als mein Opa verdiente. Sie wusste, dass auch er sich das nicht leisten konnte. Dennoch bestand der Mann darauf mit der Begründung:,,Wir hatten letztes Jahr eine. Ihr hattet wohl länger keine. Außerdem könnt ihr mir erzählen wie sie geschmeckt hat."

Dieser Mann. Er hat nicht nur etwas spendiert. Er verzichtete auf etwas, dass ihm gehörte, um jemandem eine Freude zu bereiten. Keine kleine Geste.

Doch wieso war meine Oma mit ihren Kindern überhaupt auf dem Zuckerfest? Wir sind Christen und feiern das Zuckerfest nicht. Mein Vater erwähnte aber schon oft, dass es in Syrien damals relativ egal war ob du Christ oder Moslem warst. Man feierte eben mit seinen Mitmenschen. Das ganze Land lebte friedlich und die Menschen waren zufrieden.

Und Heute?

Heute wütet in Syrien ein Glaubenskrieg und die dort herrschende Anspannung verbreitet sich mit der Flüchtlingskrise in die ganze Welt. Von dem damals noch so schönen Land sieht man nur noch wenig. Meine Verwandten und Freunde, die nach Europa geflohen sind, erzählten mir von den Veränderungen. Das Land sei düster und grau. Alle seien traurig und ängstlich. Keiner traue dem anderen. Scheint fast so als gäbe es keinen mehr wie dem namenlosen Mann aus der Geschichte. Dabei könnten die Menschen dort einen gebrauchen.

Wie bei vielen jungen Männern ist mein Vater auch mein Vorbild. Ich beobachtete früher schon wie er unsere Cousins und Cousinen mit teuren Telefonen für den Schulweg beschenkte während wir nur kleinere Dinge wie Socken bekamen. Das war als Kind noch nicht nachzuvollziehen. Jetzt schon eher.

Um auf meine anfängliche Frage zurückzukommen: Ist der Mann aus der Geschichte das Idol meines Vaters? Vielleicht. Zumindest hat er ihn beeinflusst, auch wenn sie sich nicht wirklich kannten.

Schade, dass mein Vater seinen Namen nicht mehr weiß. Denn irgendwie hat er auch mich geprägt. Also frage ich noch wie er ihn denn nennen würde: ,,Keine Ahnung. Wie wäre es mit: Das Idol des Vorbilds meines Helden".

Das Idol des Vorbilds meines HeldenWhere stories live. Discover now