Patroclos

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Als ich bereits über 300 Sonnenaufgänge in der Schule verbracht hatte - ich zählte sie zwar nicht, aber nach jedem Sonnenaufgang machte ein Schüler einen Strich an die Wand - und ich immer noch Probleme mit Pfeil und Bogen hatte, liess mich Péristeris zu sich rufen. Die Sonne war gerade erst aufgegangen, und ich war noch am Aufwachen, trotzdem schritt ich zügig Richtung Péristeris, der am Tore stand und den orange-roten Himmel beim Verfärben beobachtete. Ich blieb ein wenig hinter ihm stehen, und ohne sich umzudrehen musste er bemerkt haben, dass ich dicht hinter ihm war. Er schaute noch eine Weile der Sonne und den spärlichen Wolken beim Vorbeiziehen zu, dann sprach er:

„Elios, ich habe zu Ohren bekommen, du würdest keine Fortschritte mit dem Bogen machen. Ich weiss, dass das stimmt, denn selber konnte ich dich auch schon beim vergeblichen Üben beobachten."

Er hielt inne, während die Sonne ganz aufging. Das Rot verging, lediglich am Horizont konnte man noch einen schmalen Streifen des Orange sehen. Ich schaute zu Boden, da ich wusste, dass es sich anders nicht gehörte. In der Gegenwart meines Vaters oder jeglicher anderer Person hätte ich mein Versagen sofort gerechtfertigt oder verneint, aber ich wusste nur zu gut, dass ich hier keinen Erfolg hätte, auch wenn ich mit den stichhaltigsten Argumenten kommen würde. Péristeris hatte eine unglaubliche Geduld, seine Worte richteten sich erst wieder an mich, als der letzte Streifen Morgen am Himmel verschwunden war.

„Wenn die Nacht vergeht und die Sonne ihre Fühler über den Horizont wirft, dann vergehen auch die Sterne. Sie sind Geschöpfe der Nacht, die vergeblich versuchen, ihr Dasein auch am Tage zu beweisen. Ich würde unnötig fragen, wieso du nicht besser wirst. Das würde ich. Deine Geduld und dein Fleiss im Training sind zwar enorm, doch ist es trotzdem ungewöhnlich, dass du dich nach so vielem Üben immer noch nicht verbessert hast. Du scheinst nicht präzise genug zu sein."

Er schielte über seine Schulter hinten auf den Boden, genau da, wo sich meine Füsse befanden. Dann drehte er sich um, seine Rüstung klimperte, und seine türkisblauen Augen schauten mir ins Gesicht. Ein tiefer Ausdruck von Unzufriedenheit, aber auch von Besorgnis durchzog sie.

„Elios, ich will ehrlich zu dir sein. Du hast gute Fortschritte mit dem Speer gemacht, und auch im Schwertkampf wirst du immer besser. Aber um ein richtiger Krieger zu werden musst du alle Kampfgeräte beherrschen. Sonst wärst du wohl im Kampf verloren. Ausserdem ist auch Kraft ein wichtiges Element des Krieges, und auch dies scheinst du nicht ausreichend zu besitzen. Sowohl im Faustkampf wie auch beim Bogenschiessen könntest du dich nicht durchsetzten, und es gibt keine schonende Art, dir das nahezubringen. Du scheinst einfach nicht die Fertigkeiten zu besitzen, die alle Krieger brauchen, und wärst somit im Krieg sehr benachteiligt."

Währenddem sich sein Gesicht verzog und zu einer strengen Maske wurde, schaute ich wieder zu Boden. Ach, um der Götter Willen, wie ich solche Predigten hasste. Ganz besonders, wenn ich wusste, dass sie wahr waren.

„Elios", fügte Péristeris noch hinzu, bevor er sich mir abwand und zurück in den Hof marschierte, „ du weisst, dass ich dir jede erdenkliche Möglichkeit hier gebe, aber vielleicht ist meine Schule wirklich nicht das Richtige für dich. Wie die Sterne am Tage vergehen, vergeht auch meine Geduld mit jedem neuen Sonnenaufgang. Und wie es die Sterne in dieser Welt nie werden bewerkstelligen können, sich am Tage zu zeigen, so ist es vielleicht auch unmöglich, dass du, Elios, die Künste des Bogenschiessens je ganz erlernen wirst. Versuche es, lerne besser. Nach dreissig Sonnenaufgängen wirst du wieder hierherkommen und mir dein Können zeigen müssen. Enttäusche mich nicht."

Nach diesen Worten startete in mir ein innerlicher Aufruhr. Ich war zwar noch nicht ganz weggeschickt worden, aber so gut wie. Ich konnte es einfach nicht glauben. Nach beinahe einem Jahr in dieser Schule war ich wirklich nicht im Stande, einen ordentlichen Pfeil abzuschiessen und dabei auch noch gezielt zu treffen. Denn nicht nur Péristeris' Worte wühlten mich auf, sondern auch, dass ich wohl wirklich nicht im Stande war, mit Pfeil und Bogen umzugehen. Es konnte doch unmöglich so schwierig sein, einen riesigen Strohballen zu treffen, wenn es doch alle anderen auch konnten. Auch konnte es nicht sein, dass meine Haltung - unseren Lehrern zufolge - eigentlich gut war, ich aber mein Ziel trotzdem immer verfehlte.

Die letzte KriegerinWhere stories live. Discover now