Kampftraining

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Ich lebte mich schnell in meiner neuen Heimat ein. Allerdings vergass ich nie, dass ich mich in ständiger Gefahr befand. Denn alle es schon mitverfolgen konnte, war ich kaum dazu fähig, mich zu beschützen. Nicht im Zirkel von fünfzig jungen, starken, entschlossenen Kriegslehrlingen.

Doch diese Angst war kaum präsent. Ich genoss mein Dasein sehr. Und obwohl mich von Zeit zu Zeit ein kleiner Anflug von Heimweh übermannte, war ich stets sehr glücklich und stolz, ein Teil dieser angesehenen Schule zu sein.

Wie mir Péristeris bereits vorausgesagt hatte, wurde keinerlei Rücksichten auf mein Geschlecht oder meine Erfahrung im Kampf genommen. Ich war wirklich zum Jungen geworden. Jedenfalls was das Kriegstechnische anging. Jeder sah mich als Krieger. Nur mein Haar und meine schmale Taille zeugten von der Weiblichkeit, die mich durchfloss. Und dies konnte lediglich mein Zimmergenosse Serafim betrachten. Wie verwundert, aber auch unendlich froh, war ich doch gewesen, als ich von meinem neuen Zimmergenossen erfuhr. Der herzensgute Junge war etwas jünger und naiver als ich, trotzdem war er schon ein paar Mondzyklen vor mir in Péristeris' Schule gekommen. Und obwohl er zwar teils länger trainierte und trotzdem schlechter kämpfte als andere, war Serafim nie neidisch oder enttäuscht von sich selbst.

Auch wenn mein eigenes Selbstbewusstsein nicht gering war, konnte ich noch viel von Serafim's Beherrschung und von seinem Selbstvertrauen lernen. Zwar war es mir in der ersten Nacht etwas unangenehm, alleine mit einem Mann in einem Raum zu nächtigen, aber es stellte sich heraus, dass ich mir weder Sorgen machen musste, noch dass ich dieses ungute Gefühl eine weitere Nacht haben musste. Ich kann wohl sagen, dass Serafim und seine ständige Hilfe ein wichtiger Grund für meine gute Anpassung an der Schule war. Später in meinem Leben gab es selten eine Freundschaft so tief, wie ich sie mit ihm teilte.

Zweifellos mochte ich ihn sehr, er war wohl der Bruder, den ich schon lange ersehnte. Und so fiel es mir bald nicht mehr schwer, mich in seiner Anwesenheit umzuziehen. Serafim schien ebenfalls sehr anpassungsfähig zu sein, so dass er sich nie über irgendwelche Umstände aufregte. Ich war ihm sehr dankbar dafür, was er alles für mich getan hatte, und manchmal erinnere ich mich schweren Herzens daran, ihm nie angemessen gedankt zu haben.

Serafim war auch sehr loyal, und auch wenn ich ihn oft mit anderen Kriegern plaudern sah, war ich mir immer sicher, dass er nie schlecht von mir sprach. Und ich wusste, obwohl mich manche Krieger etwas abschätzig behandelten, keiner von ihnen konnte leugnen, dass sie mein rätselhaftes Dasein interessierte. Doch Serafim hielt dicht, und die Männer fingen an, sich selbst Geschichten über meine Vergangenheit auszudenken. Einige von diesen drangen bis zu mir vor:

Einmal war ich eine in Untreue geratene Ehefrau, die flüchten musste. In anderen Geschichten war ich einfach nur ein Bauernmädchen, das so unglücklich war, dass es seinen Tod schon vor seinem ersten Kinde ersehnte. Über manche Gerüchte konnten Serafim - welcher der Einzige war, der meine Vergangenheit wirklich kannte - und ich herzlichst lachen, wenn wir uns abends noch austauschten.

Eines Abends fragte mich Serafim:

„Elios, wieso willst du eigentlich nicht, dass die Krieger deine Vergangenheit kennen? Nicht dass es mich etwas angeht. Aber ich kann nicht leugnen und behaupten, dass es mich nicht interessiert."

Es war eine gute Frage, und ich war nicht im Stande, sie auf Anhieb zu beantworten. Nein, Serafim bekam seine Antwort erst Tage später, als wir wieder einmal ein kurioses Gerücht über meine - anscheinend von Geistern heimgesuchte - Familie aufschnappten und uns die Bäuche vor Lachen halten mussten.

Ja, bevor Serafim mir die Frage gestellt hatte, war ich überhaupt nicht auf den Gedanken gekommen, es den Anderen möglicherweise irgend einmal zu erzählen. Ich glaubte damals, dass es sie einfach nichts anginge. Als ich dann aber gründlicher darüber nachdachte, wurde mir bewusst, dass ich es mochte, ein Wesen voller Geheimnissen zu sein. Ich lebte im Wissen, dass ich ein wandelndes Fragezeichen war, und das machte mich auf eigenartige Weise stolz. Und es gab mir eine völlig neue Möglichkeit, von der ich nie zu träumen gewagt hätte: Ich konnte mich selber noch einmal kennen lernen.

Die letzte KriegerinΌπου ζουν οι ιστορίες. Ανακάλυψε τώρα