~ 2 ~

3 0 0
                                    

Boston, Massachusetts

Mai 1862

"Ich habe keine solchen Bedenken, Mrs. Montgomery. Wir werden während ihrer Anwesenheit gut für sie sorgen.", berichtete der Bote, den der Baron von Salisbury nach Amerika übersandte. Er wollte also doch seine Enkelin kennenlernen. Triumphierend klatschte Victoria ihre Hände zusammen. "Daran zweifle ich nicht", erwiderte sie mit einem kurzen Lachen, "aber ich schätze, es wird höchste Zeit, dass sie aufhört, wie eine Vagabundin herumzustreifen, und anfängt, einen Exkurs in die Gesellschaft zu machen." Der Bote unterdrückte sich sein Lachen. "Die Baroness Campbell wird das mit großem Enthusiasmus arrangieren. Es gibt mehrere Familien in der Gegend, durch die das Kind absolut einwandfrei gesellschaftliche Kontakte knüpfen kann, so lange sie nichts Unschickliches unternimmt." "Ich werde dies mit aller gebotenen Eile umsetzen." Victoria lachte. "Aber ich denke doch, Claire hat trotz ihrer Kindlichkeit eine geistige Reife und Kultiviertheit an sich, die es ihr nicht erlauben wird, dem fragwürdigen Charme irgendeines unreifen Jüngling zum Opfer zu fallen."

Als Claire früh am Morgen das Frühstückszimmer betrat, fand sie nur ihre Mutter vor. Sie ahnte nichts davon, dass dies auf ihre Bitte hin so arrangiert worden war, sie las wie jeden Morgen die Zeitung. Doch diesmal war etwas anders. Claire spürte den nachdenklichen Blick ihrer Mutter auf sich und setzte ein freundliches Lächeln auf. "Guten Morgen, Ma!", lief zu Victoria und küsste ihr auf die Wange. "Guten Morgen, mein Schatz! Ich hoffe du hast gut geschlafen. Ich hörte, James war gestern zu Besuch?" "Ja, Mum, das war er. Du wirst es nicht glauben, aber er versucht mich immer noch zu überreden nach England zu gehen." Claire lachte, als sie jedoch den ernsten Blick ihrer Mutter sah, verstummte sie. "Claire, ich habe beschlossen, dass es für dich das Beste wäre, wenn du deine Großeltern kennenlernen würdest und für eine gewisse Zeit nach England gehst. " Claire funkelte sie in wortloser Wut an, dann machte sie auf dem Absatz kehrt, stürmte aus dem Zimmer und knallte laut die schwere Tür hinter sich zu. Sie war noch keine drei Schritte den Korridor entlanggegangen, als die Tür wieder aufgerissen wurde und Victorias plötzlich gefährlich leise Stimme aufhielt. "Claire Montgomery, komm sofort wieder zurück und schließ die Tür, wie es sich gehört!" Claire biss sich frustriert auf die Lippen, zögerte jedoch nur eine Sekunde, bevor sie sich umdrehte, um zu gehorchen. Victoria war wieder in den Raum zurückgegangen, geradezu beleidigend überzeugt davon, dass sie sich fügen würde, und hatte die Tür weit offengelassen. Claire schloss sie leise, dann eilte sie zur Haustür und hinaus in die kühle Morgendämmerung.

"Ich finde diese ganze Sache überhaupt nicht angenehm, Linton." Es war der Morgen nach ihrer Exkursion nach London und Linton blickte von seiner einsamen Mahlzeit im Frühstückszimmer auf und musterte seine Ehefrau fragend. Sie war ein entzückender Anblick, als sie ins Zimmer kam - ihr Samthausmantel so strahlend weiß, ihr Haar eine offen auf ihre Schultern herabwallende Lockenmähne. Ihre Füße waren nackt, wie er bemerkte, aber Charlotte richtete sich nur selten nach den gesellschaftlichen Gepflogenheiten und folglich waren ihre Gäste stets sorgfältig ausgewählt. Bisher war noch keiner an diesem Freitagmorgen aus seinem Schlafzimmer herausgekommen, aber es war auch noch nicht einmal neun Uhr. Nachdem Linton vergeblich versucht hatte, eine schläfrige Charlotte dazu zu überreden, ihm Gesellschaft zu leisten, hatte er einen frühmorgendlichen Ausritt unternommen und widmete sich jetzt seinem Frühstück. "Welche Sache, mein Schatz?", fragte er, als sie keine Neigung zeigte, ihre Bemerkung weiter auszuführen. "Diese Sache mit unserer Enkelin Claire", erwiderte sie und hielt ihre nackten Zehen an das knisternde Kaminfeuer. "Charles hat mir erzählt, dass du während ihrer Anwesenheit hier sein wirst. Ich meine, seit wann möchtest du unsere Enkelin kennenlernen? Du bist doch ein grimmiger, alter Mann, der Kinder über alles hasst?" "Was hast du gesagt?" Der Baron verschluckte sich fast an einem Mundvoll Rührei und nahm Zuflucht zu seinem Alehumpen. "Bei Gott! Ich meinehältst du das für klug?" , sagte sie, während sie ihren anderen Fuß wärmte. "Ich freue mich wahnsinnig unsere Claire kennenzulernen, aber du " "Komm her." Er schob seinen Stuhl zurück und klopfte gebieterisch auf sein Knie. Charlotte setzte sich auf seinen Schoß und griff nach einem Stück Brot und Butter auf dem Tisch. "Manchmal hilft es", informiert er sie, als sie herzhaft in das Butterbrot biss. "wenn man nachgibt und seine Fehler einsteht. Zwischen mir und Victoria ist vieles vorgefallen, jedoch sollte unsere Enkelin nicht auch darunter leiden findest du nicht auch?" "Wir werden ja sehen." Sie küsste ihn auf die Nasenspitze. "Ich wollte dich nicht so abscheulich foppen, Linton, aber .." "Aber du konntest einfach nicht anders", beendete er schmunzelnd den Satz für sie. "Ich frage mich, ob du jemals irgendetwas anderes als ein unmöglicher kleiner Schlingel sein wirst." "Möchtest du das denn?" Sie blickte ihm forschend ins Gesicht. "Nein." Er schüttelte den Kopf. "Und ich kann nur hoffen, dass unsere Enkelin nach ihrer Großmutter schlägt." Sagte er sanft und küsste sie zärtlich auf den Mund.

Has llegado al final de las partes publicadas.

⏰ Última actualización: Jun 09, 2019 ⏰

¡Añade esta historia a tu biblioteca para recibir notificaciones sobre nuevas partes!

Unterdrückte LeidenschaftDonde viven las historias. Descúbrelo ahora