Kapitel 1 - Teil 2

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Ein paar Minuten später schlug er die Tür des Bürgertransporters hinter den dreien zu, während der miesepetrige Fahrer misstrauisch nach hinten starrte. Der Mann vom Fahrdienst hatte darauf bestanden, dass die Fahrt zu den Elternhäusern der drei ein paar Straßen weiter das Vierfache kostete – wegen der anschließend notwendigen Reinigung seines Wagens –, und zu allem Überfluss hatte Zacharias die Fahrt bezahlen müssen, weil die drei ihr Taschengeld beim Feiern verprasst hatten. Zusätzlich hatte der Fahrer jedem seiner unwillkommenen Fahrgäste eine Falttüte in die Hände gedrückt, bevor er und Zacharias seine ehemaligen Freunde auf die Rückbank des Fahrzeugs verfrachtet hatten, wo sie nun wie das Elend selbst in die Sitze sanken.

Jetzt startete der Fahrer den Motor und brauste mit Mark, Paul und Stephen davon. Zacharias erinnerte der Anblick daran, dass auch er längst woanders hätte sein müssen. Kurz überlegte er noch, zurück zum öffentlichen Fernsprecher an der Hauptstraße zu eilen, über den er den Fahrdienst bestellt hatte, um zu Hause Bescheid zu geben. Doch dann wäre er noch später dran als ohnehin schon und er müsste Hilde sein Versagen eingestehen, wovor ihm bereits graute.

Nein, lieber nicht.

Er rannte los, schnelle Storchenschritte, aber es kümmerte ihn nicht länger, was die Passanten über ihn dachten. Er war verschwitzt, stank nach Schweiß und nach Alkohol, seine Kleidung war von oben bis unten verdreckt, da war es jetzt auch egal, dass er viel zu schnell unterwegs war.

Er erreichte den Bäcker, ignorierte die Blicke sämtlicher anderen Kunden, kaufte dieselben Brötchen wie immer – er musste nicht einmal mehr sagen, was er haben wollte –, schnappte sich die Tüte und rannte, kaum dass er aus der Tür des Geschäfts war, wieder los. Dieses Mal nach Hause. Seine Sorge wuchs dabei von Sekunde zu Sekunde.

Seit ein paar Monaten wohnte er jetzt bei seiner Freundin Brunhilde und ihren Eltern in Blumenthal. Es war eine schöne Wohngegend, gehobene Mittelklasse, vielleicht sogar Oberklasse, wenn es diese in Terallia gegeben hätte. Doch die Oberklasse bevorzugte einen anderen Vorort ihrer Hauptstadt Morina.

Zacharias kam sich an diesem Morgen im Viertel schrecklich deplatziert vor, mehr als sonst. Er hoffte, dass ihn die Nachbarn nicht sahen, wusste aber, dass die Chancen, dass sich die Gerüchte über seine beiden unerwarteten Begegnungen rasch bis hierher verbreiten würden, hoch waren. Dass er der Klassenbeste in Terallia gewesen und den besten Abschluss seit Jahren gemacht hatte, fleißig arbeitete und nebenbei Geld verdiente, um es später mal weit zu bringen – und um seine Defizite auszugleichen, ein Grund, den er jedoch niemals laut äußerte –, zählte nicht. Zu viele Fettnäpfchen lauerten auf seinem Weg und so sehr er sich auch bemühte, er schien ihnen viel zu selten ausweichen zu können.

Brunhilde und ihre Eltern wussten nichts von seiner Therapievergangenheit. Ihre Familie war erst nach Terallia gezogen, als Zacharias dreizehn gewesen war und die Grundschule und seinen Ruf dort hinter sich gelassen hatte. Doch Zacharias konnte nicht all seine Fehler vor ihnen verbergen oder hoffen, dass sie nicht zählten. Er war zu spät, er wusste noch nicht einmal wie viel. Und womöglich hatte auch Brunhildes Onkel schon angerufen und ihn verpetzt.

Die Siegel auf der mit Eisen beschlagenen Haustür schienen ihn zu verspotten und unheilvoll zu leuchten, als sich Zacharias ihr auf zittrigen Beinen näherte und versuchte, wieder normal zu atmen und nicht vor Schmerzen zusammenzuzucken. Seine Schulter und der linke Arm pochten, vermutlich waren sie inzwischen blau, doch noch schlimmer quälte ihn das geprellte Steißbein, das er jetzt nicht mehr ignorieren konnte. Sobald er drinnen war, würde er sich umziehen und eine Schmerztablette nehmen.

Dennoch zögerte er einen Moment, bevor er seinen Schlüssel hervorholte, ihn ins Schloss steckte, herumdrehte und die andere Hand auf die Tür legte. Brunhildes Familie verließ sich nicht allein auf die Siegel, die nun aufleuchteten und dann verblassten, als sie sein Blut erkannten. Die wenigsten Bürger von Narallia taten das. Das Misstrauen gegenüber aller Form von Magie, selbst gebannter Magie und Siegeln, steckte in jedem von ihnen. Selbst wenn die Siegel jeden unerwünschten Eindringling oder Besucher fernhielten, schlossen sie immer noch ab.

"Prophezeiungen für Jedermann" (Leseprobe)Where stories live. Discover now