Kapitel 1 - Teil 1

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Der perfekte Moment. Er würde ihn erwischen. Auf der Straße vor ihm strebten sie bereits hin und her, in gleichmäßigem Tempo, und wenn er die Augen schloss, konnte er hören, dass keiner von ihnen einen Schritt außer Takt lief. In einer Stunde schon würde es hier von Fußgängern wimmeln, aber auch dann würden sie im Gleichschritt gehen, scheinbar mühelos den Rhythmus der anderen einhaltend.

Zacharias warf einen kurzen Blick auf seine Uhr:

Fünf Uhr dreißig und achtzehn Sekunden, neunzehn, zwanzig ...

In diesem Moment trat Mr Trent von nebenan pünktlich auf den Fußweg. Aufregung erfasste Zacharias, denn zwischen Mr Trent und dem nächsten Nachbarn, Mr Gardener, der gleich das Haus verlassen würde, gab es eine Lücke von einundzwanzig Sekunden – ideal für jemanden wie ihn, der seinen eigenen Platz erst noch finden musste.

Um exakt fünf Uhr dreißig und dreißig Sekunden setzte Zacharias seinen Fuß auf den Gehweg und richtete den Blick nach vorn auf Mr Trent, um wie immer den Abstand zu ihm zu erfassen und seine Schrittlänge auf ihn auszurichten.

Als er sich der Hauptstraße näherte, warf er einen Blick auf die Uhr. Fünf Uhr zweiunddreißig und fünfundvierzig Sekunden. Er lag wunderbar in der Zeit. Exakt zehn Sekunden hinter Mr Trent und elf Sekunden vor Mr Gardener. Zacharias beherrschte sich, denn ein stolzes Lächeln wollte sich auf seinem Gesicht ausbreiten, aber nein! Noch hatte er es nicht geschafft. Mit neutraler Miene schritt er weiter, näherte sich einer Hausecke. Enge Kurven waren von Grund auf tückisch, denn sie verleiteten dazu, das Schritttempo zu ändern, man geriet leicht außer Takt. Gut, nicht jeder, aber ihm selbst war das schon mehrfach passiert, während andere mühelos und fehlerfrei weiterstrebten, als müssten sie sich dabei gar nicht konzentrieren. Aber nach seinem fulminanten Start hatte er nicht vor, beim ersten kleinen Hindernis zu versagen.

Zacharias behielt seinen Rhythmus bei, rollte die Sohlen ab, zählte innerlich den Takt, auch wenn die Vögel aus den gepflegten Vorgärten um ihn herum ihm hineinzwitscherten und es ihm zusätzlich schwermachten.

Zacharias nahm die Kurve im richtigen Schwung und er hätte vielleicht noch ausweichen können, aber in seinem Kopf war noch dieser Befehl, im Takt zu bleiben.

Es knallte, als sie mit den Schultern und Armen zusammenstießen. Die Kraft des Zusammenpralls trieb Zacharias die Tränen in die Augen und er taumelte, bemüht, sein Gleichgewicht wiederzufinden. Der Gedanke, versagt zu haben, jagte durch seinen Kopf, als er rückwärts fiel und mit einem schmerzvollen Ächzen auf dem Gehweg landete, direkt auf seinem Steißbein, das weitere heiße Wellen der Pein durch seinen gesamten Körper schießen und ihn feucht blinzeln ließ.

Etwas flog durch die Luft, Zacharias konnte es nicht erkennen, bevor es irgendwo neben oder auf ihm landete, dann gab es einen dumpfen Schlag und jemand fluchte. Anscheinend war sein Kontrahent ebenfalls gestürzt.

»Können Sie nicht aufpassen, wenn Sie um die Ecke rennen?«, schimpfte jener, als wäre der ganze Vorfall Zacharias' Schuld.

Und das Schlimmste war: Der Mann hatte wahrscheinlich auch noch recht. Fehler, Fehler! Die Geschichte seines Lebens.

»Es tut mir schrecklich leid.« Es klang wie eine Phrase. Er wäre gerne aufgesprungen und hätte die Worte des Bedauerns nochmals direkt in das Gesicht seines Gegenübers gesprochen, doch als er sich auf den linken Ellenbogen stemmte und seinen Oberkörper aufrichten wollte, entdeckte er etwas, das ihn erstarren ließ. Ein Ding aus seinen Albträumen.

Dann bewegte es sich direkt auf sein Gesicht zu.

»Aargh!«

Er fuhr hoch, wischte sich mit der rechten Hand über das Hemd, seine Finger streiften die widerliche Haut des Geschöpfs und er erschauerte vor Entsetzen und Ekel, während das Ding durch die Luft und in Richtung Straße flog. Der Schmerz war für den Moment vergessen, als er aufsprang und sich dann staksend umdrehte – mit Storchenschritten, wie seine Mutter die steifen und unbeholfenen Bewegungen immer missbilligend genannt hatte –, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und das Ding zu bringen.

"Prophezeiungen für Jedermann" (Leseprobe)Where stories live. Discover now