I.

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Ein Rauschen der Autos war zu hören, es war zwar schon Nacht, doch eine so große Stadt schlief nie. Ein Knall, sie war gefallen und hatte mit ihrer Tasche etwas in der dunklen Wohnung umgestoßen. Sie wusste nicht, wo sie war und würde sich auch morgen an nichts mehr erinnern können.

Denn sie hatte wieder getrunken. Viel zu viel, um glücklich zu sein. So oft wachte sie nach One-Night-Stands auf, ohne zu wissen, wo sie war, oder was passiert war. Ihr hätte so viel zustoßen können, doch da war niemand, der sich um sie kümmerte, der sah, wie nah sie dem Abgrund schon gekommen war und der Fels schon so lange bröckelte. Der winzigste Windstoß würde sie hinabtreiben.

Sie versuchte, sich vom Boden aufzurichten, doch der Alkohol in ihr kämpfte dagegen an. Sie torkelte und fand halt an einer Kommode. Zur Tür war es nicht weit, doch so betrunken und in hohen Schuhen war es für sie nicht leicht. Eigentlich war nichts für sie leicht. Sie war jung und lebte von dem Geld, das ihre Eltern ihr zahlten. Diese waren vor einigen Jahren fortgegangen in ein anderes Land, um dort den Sinn des Lebens und sich selbst zu finden.

Sie wollte dort nicht hin. Sie hatte nicht die Kraft, in ein Land zu gehen, in dem sie keinen kannte, die Sprache nicht sprach und das nur, weil ihre Eltern sich dies in den Kopf gesetzt hatten. Sie stritten fürchterlich, bis sie sie schließlich allein zurückließen. In ihrem kleinen Haus, am Rande der Stadt. Sie zahlten ihr jeden Monat ein wenig Geld, doch gehört voneinander, das hatten sie lange nicht mehr.

Sie hangelte sich am Treppengeländer hinunter und frische Luft strömte ihr entgegen. Sie wurde ein wenig wacher, doch wirklich zu gebrauchen, war sie trotzdem nicht. Ihr wurde übel und sie übergab sich an der Hausecke. Sie fühlte sich mies. Mies und allein gelassen, dreckig und kaputt. Doch das Leben ging weiter, und einfach gehen, das wollte sie dann doch irgendwie nicht.

Irgendwie fand sie den Weg zur S-Bahnstation und ließ sich auf der Bank nieder. Ihr war kalt, doch wirklich fühlen tat sie nichts. Gefühlskalt schritt sie durch ihr Leben, monoton und eisig. An ein wirklich echtes Gefühl konnte sie sich nicht mehr wirklich erinnern.

Sie stieg in die S-Bahn und ließ sich auf einen der hundert leeren Sitze fallen. Zwei Reihen weiter saß ein junger Mann vertieft in ein Buch. Er hatte seine Kapuze übergezogen und Kopfhörer auf. Sie begann ihn anzustarren. Grundlos. Doch irgendetwas in ihr hielt sie davon auf wegzuschauen, bis er ihren Blick erwidern würde.

Kurz schaute er auf und sie sah in seine klaren, blauen Augen. Er senkte seinen Kopf wieder und las weiter. Das brachte sie dazu, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Langsam wurden ihre Augen feucht und sie spürte, dass bald eine erste Träne ihre Wange hinunter laufen würde. Nach nur kurzer Zeit rannten die Tränen ihr Gesicht hinunter, doch sie schluchzte nicht. Es liefen nur Tränen. Sie fühlte auch nichts. Nichts, außer den Drang, das Messer in ihrer Tasche zu berühren.

Wie in Trance öffnete sie die vorderste Tasche und kramte nach dem Messer. Ein kurzer Augenblick und sie hatte es gefunden. Sie hielt ihren Arm vor sich und sah die vielen, kleinen weißen Linien entlang ihres Arms, über die sie langsam mit ihren Fingern glitt. Es würden immer mehr, dachte sie und schnitt einmal mehr in ihren Arm. Und noch einmal.

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