Kapitel 3

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Nachdem er sich eine gefühlte Ewigkeit durch geschützte und relativ gut instand gehaltene Gegenden gequält hatte, erreichte er eine Kraterstadt. Kraterstädte waren Städte, die während der Invasion oder den Kriegen so sehr angegriffen und vor allem bombadiert worden waren, dass alles, was von ihnen übrig war, eine Fläche voller tiefer Löcher war, in denen hier und da wenige Überreste alter Infrastruktren zu sehen waren. Sie sahen so weltenfern aus, dass er, als er das erste Mal in einer solchen Gegend gewesen ist, gar nicht glauben konnte, dass er sich immer noch auf der Erde befand. Es schien so, als hätte man sich bei dieser überhaupt gar nicht erst die Mühe gemacht, die Löcher mit den übrigen Resten der Gebäude und Maschinen zu füllen, wie man es einst getan hatte, um die Löcher etwas zu füllen, ehe man die wertvolle Erde darauf kippte und diese Gegenden wieder bewohnbar machen konnte. Nur ein Feld aus Kratern in der Öde. Er sah sich etwas um und erkannte in der Ferne ein vergleichsweise kleines Loch, das zwischen den Kratern lag. Die untergehende Sonne ließ nur wenig Licht in die Krater, sodass nicht wirklich zu erkennen war, was sich in den Gruben befand. Nur einige Platten oder eine Art Abdeckung war zu erkennen. Dies erinnerte ihn an etwas: Kurz nachdem die globale Erwärmung ihren tödlichen Lauf genommen und in dieser Gegend alles Wasser schneller zu verdunsten begonnen hatte, hat man über die fast leeren Flussbetten tonnenweise Stahl und Erde gelegt, sodass sich der Fluss unterirdisch erholen konnte. Als einige Jahre später der erste Wasserkrieg ausbrach, der Fluss sich jedoch immer noch nicht erholt hatte, nutzte man das fast ausgetrocknete Flussbett als Geheimstraße, um die Leute entweder zu evakuieren oder ausrücken zu lassen. Fast niemand, der nicht in dieser Gegend wohnte, wusste von diesem Tunnel, er selbst wusste es auch nur dank des Überlebenstrainings. Das Überlebenstraining. Vor zwei Monaten, als er in Alteuropa ankam, wurde er dort eingeteilt. Dug hatte gesagt, für den Fall, dass die Mission scheitern sollte, wäre es ganz nützlich, etwas über die Region zu wissen. Nun, Missionserfolg sah anders aus. Jetzt war er froh, das Training absolviert zu haben. Er stieg von dem Sailing-Board ab, setzte sich in eine schattige Stelle eines Kraters und dachte nach, sich etwas ausruhend. Während er etwas grübelte, kam ihm ein komplett neuer Gedanke: Was, wenn Dug gewusst hatte, dass die Mission scheitern würde? Was, wenn es von Anfang an geplant war, dass Eric hier strandete? Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Warum hätte man ihn hier unten stranden lassen? Er wollte den Gedanken verwerfen, doch es ging ihm nicht aus dem Kopf, wie inständig man ihm nahegelegt hatte, das Überlebenstraining zu absolvieren. In Erics Augen wäre der einzige Grund, ihn hier runter zu schicken, der, ihn zu beschützen. Doch vor was? Diese Frage beschäftigte ihn weiter, als er mit etwas erfrischter Kraft auf das kleine Loch zuging, das ihn an das Tunnelsystem erinnerte, bis er vor dem Loch stand und einfach nur überlegte. Er ging in seinem Kopf nochmal alles durch, was Dug ihm erzählt hatte: Die Pläne, seine Gegner, der Aufbau des Gesamten, Hind. Was hatte er über Hind gesagt? Ein unberechenbarer, wobei das schon lange klar war, ein schlauer, ebenfalls nichts Neues ... aber auch einer, der alles plante. Eric überlegte, was er für diese Schlacht geplant haben konnte. Der Kampf an sich war nicht außergewöhnlich gewesen. Gewiss war er tückisch gewesen, doch auch die Rebellen an Erics Seite waren es gewesen. An sich ein ausgeglichener Kampf; dies wurde durch die hohen Verluste bestätigt. Es war nicht das erste Mal, dass sie gegen Hinds Armeen standhaft geblieben sind, doch dies war eigentlich nur dann der Fall gewesen, wenn Eric, Dug oder andere Hinds Tücken erkannt und entschärft hatten. Jetzt, wo Eric das erste Mal mit recht klarem Kopf darüber nachdachte, kam er sich dumm vor, dass er nicht zuvor daran gedacht hatte: Hinds Tücke war noch nicht gespielt, oder zumindest nicht für ihn sichtbar. Vielleicht passierte dort oben, wo er nicht hinblicken konnte, etwas Großes, was er vielleicht gar nicht mitbekommen sollte.
Egal, dachte er. Sich darüber den Kopf zerbrechen brachte nichts, auch wenn er es noch die ganze Reise tun würde. Er musste sich selbst einen Ruck geben, ehe er sich von der getrockneten Erde erhob. Stapfend näherte er sich dem vermeintlichen Eingang ins Tunnelsystem. Als er ankam, fand er eine große Eisenabdeckung vor, in der ein riesiges Loch klaffte; groß genug, um hineinzuklettern. Unwohl war ihm schon, denn im Tunnel - das sah er gut - herrschte absolute Dunkelheit. Sowohl sein Helm, als auch die Waffe hatten ein Licht. Hoffentlich reichen die Batterien aus, dachte er noch, bevor er durch die aufgesprengte Eisendecke in die Tiefe stieg. Den letzten Meter sprang er und landete mit einem dumpfen Geräusch auf seinen Füßen. Er schaute sich um, doch er hatte keinen Schimmer, wo er lang musste, und sein Kompass half ihm auch nicht weiter, da die Tunnel nach Westen und Osten verliefen, er aber nach Süden musste. Schnell entschied er sich, loszuschweben, auch wenn sein Körper sich mit Hereinbrechen der Nacht immer mehr nach einer Auszeit oder wenigstens etwas Wasser sehnte. Welch großes Glück, als er schon wenig später vor sich etwas schimmern sah: Ein kleines Rinnsal reflektierte das Licht seiner Lampe! Sofort stieg er ab, zog seine Flasche aus dem Gurt an seinem Bein, füllte sie und warf eine Tablette hinein. Ausgelaugt lehnte er sich gegen die kühle Wand des Tunnels, aufrecht sitzend, und wartete, bis das Wasser trinkbar wurde. Draußen war es wohl schon dunkel, doch bestimmt nicht so dunkel wie in diesem Tunnel, in dem Eric sich nicht unsicherer fühlen könnte. Ihn überkam die Angst, dass er nicht der einzige war, den diese Wasserquelle angezogen hatte. Man hatte ihm zwar gesagt, Tiere treffe man kaum welche hier unten (abgesehen von ein paar Ratten vielleicht), doch wenn, dann sehr hungrige, sehr aggressive. Es gab Sprays, die vor allerlei Tieren schützten, doch war er nicht gerade gut vorbereitet auf so ein Abenteuer, so hatte  er keinerlei Sprays dabei. Gerne hätte er die Stadt noch etwas erkundet, aber diese widerlichen Deserteure hatten das unmöglich gemacht... Nachdem er ausgetrunken hatte, stand er wieder auf; hier wollte er nicht einschlafen. Er wusste, dass es hier und da Türen zu den Notauagängen gab, hinter denen sich Räume befanden, die ihm Zuflucht bieten würden. So schwebte er weiter, fast lautlos, durch das Dunkel. Tropfen alten Wassers klatschten hier und da auf den kalten Boden. Ratten schlichen durch die Schlammschicht auf dem Boden in dreckige Nischen, als der Lichtpegel des Boards sie aufschreckte. Er musste daran denken, dass die Ratten, die hier besonders groß waren, sich nur von anderen Ratten ernährten. Und tatsächlich lagen vereinzelt Reste ihrer Skelette. Unheimlich. Definitiv wollte er auf diesem Boden nicht einschlafen. Dann auf einmal reflektierte etwas Rotes in nicht allzu weiter Entfernung! Ein „Exit"-Schild, das zwar keinen Strom hatte, doch durch sein Licht schimmerte. Kraftlos sprang er ab, nahm das Board in die Hand und legte es beiseite. Leise griff er nach seiner Waffe und machte das Licht an, ehe er mit einem Ruck die rote Tür aufstieß. Stille. Nachdem er kurz gewartet hatte, ging er rasch hinein, zielte in alle Ecken und musterte den Raum: Er war recht geräumig, auch noch gut erhalten. Im Vordergrund stand natürlich die große Tür auf der anderen Seite, die wohl in einer Treppe nach oben führte. Ansonsten viele Kojen über- und nebeneinander, alle bezogen mit Bettwäsche. Auch ein Tisch, daran viele Stühle. Ein Bildschirm, Steckdosen. Eine weitere schmälere Tür neben der großen. Diese öffnete er auf gleiche Weise wie die erste, nachdem er sein Board hieingeholt und sie geschlossen hatte. Hinter ihr befand sich ein kleiner Abstellraum mit Vorräten, und ein Generator. Gespannt drehte er an dem Schlüssel des Generators: Nichts passierte. Er untersuchte das alte Gerät, fand ein loses Kabel und steckte es wieder hinein. Außerdem klappte er noch einen Kippschalter um. Dann plötzlich startete der Generator, recht laut, ehe er leiser wurde. Sofort zersprangen einige Glühbirnen, dass er sich erschrak und ducken musste, als einige Scherben auf seinen Kopf fielen. Eine war nicht kaputt gegangen, sie schien von dem großen Raum in die Kammer. Noch immer war es etwas düster hier, doch als er die Kammer verschlossen und die noch funktionstüchtige Schreibtischlampe auf dem Tisch angeschaltet hatte, wurde es tatsächlich etwas bequemer. Jetzt, da Strom floss, ließen sich die beiden Haupttüren sicher verriegeln. Er war zu müde, um sich durch den Proviant zu wühlen, der in der Kamer lagerte, oder andere Fächer nach etwas Brauchbarem zu durchsuchen. So untersuchte er eines der Betten auf Ungeziefer oder ähnlichem, fand überraschenderweise jedoch nichts. Mit letzter Kraft zog er das Gröbste seiner Rüstung ab und ließ sich in die Koje fallen. Nicht eine Minute verging und er war dem Schlaf verfallen.
In derselben Nacht hatte er einen ungewöhnlichen Traum: Er lief durch das Kriegsschiff Desi. Der Traum begann an dem letzten Tag, an dem er Dug das letzte Mal gesehen hatte. Dieser kam in Erics Zimmer und erzählte ihm von ihrem Plan: Sie wollten mit ihren Jägern die Stadt Kulton einnehmen und sich hinter den Mauern verstecken. Doch als er losflog, flog er direkt zu Hind und dann stand er plötzlich in Hinds Palast. In seinem Traum wirkte er gar mittelalterlich. Er nahm ein Maschienengewehr, das ihm viel zu groß vorkam, und schoss auf Hind, ohne dass ihm die Kugeln ausgingen. Doch Hind starb nicht. Als er dem Verrückten das erste Mal in die Augen schaute, da fiel er plötzlich durch den Boden und landete in dem New York, wie es von seiner Kindheit her kannte. Er schwebte durch eine Gasse und dann in sein altes Haus, doch da stand Hind in der Küche, ganz gelassen. Eric wollte rennen, wollte weg, so schnell wie möglich, doch er konnte sich nicht bewegen. Blut war plötzlich an seinen Händen, kam aus seinem Bauch. Dann spürte er eine enorme Hitze, wie an dem Tag, als brannte er, und dann —
Panisch wachte er auf, wischte sich den Schweiß von dr Sirn. Er blickte sich um. Von irgendwo kam Licht.

Hind's Legacy - Der endlose KriegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt