Graustufen

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Ein einzelner Tropfen. Langsam nähert er sich dem Boden und hinterlässt eine leicht nasse Spur. Um ihn herum weitere Tropfen. Wie Pilger auf dem Weg nach Mekka bewegen sie sich alle gemeinsam in dieselbe Richtung.

„Hol mir en Bier!".

Unten angekommen verbinden sie sich zu einer riesigen Lache. Wie die Pilger, welche sich um die Kaaba versammeln. Egal von wo sie beginnen. Sie enden alle am selben Ort. Am Ende landen sie alle am Boden, egal auf welchem Weg.

Ein dumpfes Geräusch reißt mich aus meinem Tagtraum. Etwas Kleines schießt in mein Gesicht und schneidet meine Wange auf. Ein stechender Schmerz breitet sich aus. Innerlich schreie ich vor Schmerz aber nach außen... Nun ja ich verspüre nicht den Drang meinen Schmerz zu zeigen. Ich schaue auf und da sitzt er. Wie beschreibt man ihn am besten? Er ist der typische Alkoholiker. Sitzt im Unterhemd im Sessel und schaut fern. Das einzige, was fehlt ist die Bierflasche in der Hand. Ich merke nun, dass Blut über meine Wange fließt. Diesmal ist es nicht so schlimm wie sonst. Ich stehe auf und schaue mich um. Grauer Boden, graue Wände, graue Decke. Alles in ein kaltes Licht getaucht. Ich weiß nicht mal mehr wie es früher aussah. Vielleicht war es früher bunter. Vielleicht ist es immer noch bunt nur sehe ich die Farben nicht mehr. Nicht nur unsere Wohnung ist dunkler geworden. Die Welt um mich herum scheint nur noch in Graustufen zu existieren.

„Beeil dich, oder soll ich aufstehen?!?"'

Er droht mir. Mal wieder. Vielleicht sollte ich ihm sein Bier holen. Aber es ist derselbe Weg. Derselbe monotone Weg den ich jeden Tag so oft gehen darf. Wohnzimmer, Flur, Küche, Flur, Wohnzimmer. Immer und immer wieder. Vielleicht bringe ich ihm dieses mal kein Bier. Es langweilt mich jeden Tag diesen monotonen Weg zu gehen. Aber ich würde es bereuen. Ich weiß, dass ich gehen werde. Also bewege ich mich langsam vor. Ich verlasse das Wohnzimmer und komme in den Flur. Er ist kahl. Die alten Bilder wurden abgehangen und nun sieht man nur noch die Umrisse der Stellen, an welchen sie hangen. Und selbst diese verblassen mit der Zeit, genau wie die Erinnerung. Wie das Wohnzimmer ist der Flur von einer einzelnen schwachen Glühbirne erleuchtet, welche die grauen Wände noch uninteressanter wirken lässt. Nun betrete ich die Küche. Kälte verbreitet sich in mir. Dieser Ort, welcher früher so viel Wärme ausstrahlte, ist nun tot.

„Ist nicht schlimm, wenn's schnell geht!"

Innerlich erscheint es mir wie ein einzelner Laut. Die kahlen Wände werfen den Schrei zurück und er dröhnt meinen mehrfach durch meinen Kopf. Ich schaue auf den Kühlschrank. Es ist dieser versiffte Kühlschrank. Das weiß ist schon vergilbt und der Griff ist abgebrochen. Meine Finger gleiten hinter die Tür und ich zieh sie an mich. Ich fühle keinen Unterschied der Temperatur, als ich nach der Bierflasche greife. Ich schließe die Tür und drehe mich um. Mein Blick gleitet über die Wände welche die Kälte des Kühlschrankes haben. Kalt und Grau. Kalt und Grau...

„Soll ich kommen??"

Ich gehe wieder in den Flur. Es ist wieder derselbe Weg. Wie vorhin. Wie gestern. Wie vorgestern. Wie fast jeden Tag seit fast einem Jahr. Im Wohnzimmer angekommen gebe ich ihm die Flasche. Er nimmt einen Schluck und stellt sie neben sich. Sofort bilden sich wieder die Tropfen, welche langsam zum Boden gleiten.

„Wegen Mum..."

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⏰ Last updated: Dec 14, 2017 ⏰

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