18.

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An einem kalten, grauen Februarmorgen war der Moment des Abschieds gekommen. Es nieselte unangenehm und eine leichte Gänsehaut überzog meinen Körper. Ich fröstelte und hastete aus dem Auto in das Gebäude. Die Abschlusszeremonie war nicht wie von der Polizei, wie man es aus unzähligen Filmen kannte. Es war das gleiche Haus, in dem ich in den vergangenen sieben Monaten gelebt hatte. Meine Uniform und alle anderen Sachen lagen bereits in der Abgabeklappe der Wascherei. Ich trug erstmals hier zivil und fühlte mich wie an meinem ersten Tag - unsicher, unbeholfen und wie ein bunter Vogel unter all den anderen Soldaten. Nicht wenige von meinen ehemaligen Kameraden hatten sich entschlossen, weiterhin in der Bundeswehr zu verbleiben. Ein letztes Mal salutierte ich vor meinen Vorgesetzten, meinen Ausbildern.

"Viel Glück, Kayla!"

Das erste Mal, dass sie mich mit meinem Vornamen angesprochen hatten. Freundlich lächelten sie mich an und reichten mir schließlich das Abschlusszeugnis. Der feste Händedruck war der letzte und der persönlichste Gruß meiner Ausbilder. Ich trat ab und fiel beschwingt in einen leichten Laufschritt, während ich die Treppe hinunter tänzelte.

Ich war frei. Ich konnte tun, was ich tun wollte.

Als ich auf den Innenhof trat, erwarteten mich meine Eltern bereits. Ich sah ihnen ihren Stolz an.

"Komm, ich packe deinen Koffer schon einmal in den Kofferraum!", ohne meine Antwort abzuwarten nahm mir mein Vater ein Gepäck ab und stiefelte Richtung Auto. Meine Mutter legte den Arm um mich und holte tief Luft: "Ich hätte mich das an deiner Stelle in deinem Alter nie getraut, Kayla. Alles, was ich je für dich wollte war, dass du glücklich bist. Und ich habe mir nicht vorstellen können, dass du hier glücklich wirst."

Ich blinzelte meine Tränen weg. Es würde mehr als das brauchen, um all die Jahre,in denen wir uns entfremdet hatten aufzuholen, aber zum ersten Mal überhaupt sah ich einen Hoffnungsschimmer. Auf Veränderungen konnte man wohl doch immer zählen. Ich hatte einen Kloß im Hals und drückte so als Antwort nur einmal fest ihre Hand. Ich bemerkte, wie lange mein Vater brauchte, um alles einzuladen und sah mich suchend um. Er saß bereits im Auto und beobachtete uns. Ich dankte ihm im Stillen für seine schnelle Auffassungsgabe.    Leise Schritte kündigten das Kommen von Leon an. Ich lächelte meiner Mutter zu und hörte, wie sie sich zu meinem Vater gesellte.

"Hey."

"Hey", schmerzlich wurde mir bewusst, dass ich nun Klarheit schaffen musste.

"Ich bin froh, dass du hier glücklich bist, Leon. Weißt du schon in welche Richtung die Ausbildung geht?"

Der lachte nur: "Wärst du sehr entsetzt, wenn ich sagen würde, dass die Bergjäger mich angenommen haben?"

Mir blieb die Spucke weg. "Was? Wie? Du kannst Ski fahren?!"

"Tja. Stille Wasser sind tief.", Leon grinste verlegen und ich besann mich auf meine eigentliche Absicht.

"Leon, was ich eigentlich sagen wollte...", weiter kam ich nicht, denn er nahm meine Hand und bedeutete mir zu schweigen.

"Ich weiß", seine traurigen Augen urplötzlich ernst und tief brachen mir das Herz. Kein anderer hätte mich so verstanden, wie Leon es hier ohne Worte tat. "Ich weiß", wiederholte er erneut, kaum hörbar. Ich umarmte ihn ein letztes Mal, roch seinen Duft.

"Es tut mir Leid!", flüsterte ich ihm ins Ohr. Es gab keinen schlimmeren Satz, den ich hätte sagen können, aber er war besser als nichts. Leons Schultern sackten ein. Seine gesamte Haltung schrie "Ich weiß". Ruckartig stapfte er wieder zurück. Er drehte sich nicht um. Ich floh beinahe in das Auto meiner Eltern, die rücksichtsvoll um die nächste Kurve gefahren waren, der Privatsphäre wegen.

"Danke!", sie fragten nicht, wofür ich mich bedankte, was gut war, denn ich wusste es selber nicht.

Ich schreckte hoch, als eine Hand mein Gesicht berührte. "Shhh, es ist alles gut. Wir sind zuhause."

Dankbar nickte ich meiner Mutter zu und hievte mich aus dem Wagen. Mein Vater war durchgefahren, weshalb wir eine ganze Übernachtung eingespart hatten. Es war dunkel und müde drückte mir mein Vater mein Gepäck in die Hand. "Fahrt vorsichtig."

Meine Mutter war bereits wieder im Wagen. Ich wartete nicht sondern ging einfach in das Haus. Die unheimliche Stille drohte mich zu erdrücken und ich beeilte mich in die Wohnung zu kommen. Der Geräusch des Schlüssels war laut und ließ mich ungewollt zusammenzucken. Vorsichtig trat ich in den Flur und verzichtete darauf das Licht einzuschalten, ich wollte Eric nicht wecken.

Leise machte ich mich bettfertig und wankte gen Schlafzimmer. Ich drückte die Tür auf. Sie knarrte und ich verharrte einen Schreckmoment in der Spalte. Mondlicht fiel durch das Fenster zur Straße und erhellte das Bett. Das war der Moment, in dem meine bis dahin nur angeknackste Welt mit einem Mal zusammenstürzte. Wie in einem Kartenhaus, der man die untersten Karten, die alles hielten, entzog, fand der Verrat von Emilia und Eric seinen Weg in mein Bewusstsein.

Beide schreckten hoch und ich realisierte nur am Rande, dass ich geschrien hatte.

"Raus!"

Ich sah den Schock und die Müdigkeit in ihren Gesichtern. Sie öffneten ihre Münder und versuchten zu erklären, aber ich sah Sterne.

"Raus!", kreischte ich erneut und diesmal kam Bewegung in die beiden. Notdürftig bekleideten sie sich. Eric kam auf mich zu und versuchte mich zu beruhigen, aber der folgende Schlag hielt ihn danach auf Abstand. Meine Handknöchel brannten. Seinem Gesicht würde es nicht besser gehen, was meinen Schmerz etwas linderte.

"Haut ab!"

Und sie gingen, zwei der wichtigsten Menschen in meinem Leben.

Als alles wieder still war, konnte ich kaum atmen, nicht realisieren, was gerade passiert war. Und dann knickten meine Beine ein. Die Dunkelheit umhüllte mich, während ich anfing bitterlich zu weinen. 

7 Monate in der Hölle?Donde viven las historias. Descúbrelo ahora