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Lichtstrahlen zerreißen die graue Wolkendecke. Immer mehr erobert sich die Sonne zurück, was ihr gehört. Augenblicklich spüre ich die wohlige Wärme die mich durchströmt, als ich aus dem Schatten des Gebäudes trete. Es fühlt sich an wie der erste Frühlingstag nach einem harten Winter. Der erste Urlaubstag nach monatelangem Schuften. Das Wiedertreffen mit einem lang vermissten Freund. Oder wie der erste Schuss nach einem Entzug.

Der Pullover, der mir in die Hand gedrückt wurde, ist kratzig und viel zu groß, während die ausgewaschene Jeans an den wichtigsten Stellen zu eng ist. Doch auch das kann mein Glück nicht trüben. Nichts kann das heute.

Ich schultere meinen überschaubaren Rucksack, und blicke auf das eiserne Tor vor mir. Es soll das letzte Mal sein, dass ich es sehe. Ein Abschied, der nicht schwer fällt.

Nicht schnell genug können mich meine Beine über den asphaltierten Boden tragen, zwischen die großen Pfeilern hindurch und auf die andere Seite. Bevor ich die Aussicht vor mir genieße, drehe ich mich ein letztes Mal um.

Es ist ungewohnt, dieses mächtige Gebäude nicht mehr als mein zu Hause sehen zu müssen. Meine Augen wandern von dem meterhohen Mauern hoch bis zu einem kleinen Fenster, eines von vielen. Zwischen den Eisenstäben winkt eine Hand mir zu. Ein kurzes, halb freudiges- halb trauriges Lächeln huscht über mein Gesicht, als ich die Geste erwidere. TJ nicht mehr zu sehen, ist wohl das einzig Schlechte an alle dem.

Als ich mich umdrehe, kann ich mich gar nicht entscheiden wo ich zuerst hinsehen soll. Ein Kiosk, an dem sich eine Gruppe Kinder gerade Eis holt. Eine Mutter die ihre Tochter auf die andere Straßenseite zieht, als sie mich erblickt. Männer in billigen Anzügen die geschäftig umher rennen und Teenager die auf Parkbänken rumlungern. Anscheinend hat sich in fünf Jahren doch nicht so viel geändert.

Noch eine ganze Weile bleibe ich stehen und beobachte die Welt um mich herum und genieße alles ohne Zäune, Stäbe oder Mauern um mich herum zu sehen. Doch nach einigen Minuten fühle ich mich wie bestellt und nicht abgeholt. Allerdings wurde ich weder bestellt, noch war es je geplant, dass mich jemand abholt.

Seufzend laufe ich los. Ich weiß nicht wohin. Wenn ich ehrlich bin habe ich mir nie Gedanken darum gemacht. Dieser Tag wirkte immer so weit entfernt und irreal. Selbst gestern dachte ich mir noch, dass es nie dazu kommen würde. Dass ich eine Haftverlängerung kriegen würde, es Fehler in den Formularen gab oder sonst was. Im Gefängnis zu sein ist einfach so sehr zu meinem Leben geworden, dass ich nichts anderes mehr zu kennen scheine.

Das Knurren meines Magens führt mich zu einer kleinen Bäckerei, ein paar Blocks weiter. Bevor ich eintrete suche ich zwischen meinen wenigen Habseligkeiten nach dem zerfetzten Lederportmonee, indem ich noch 34,56$ entdecke. Mehr als ich gedacht hatte, weniger als ich gebrauchen könnte. Wenigstens reicht es für den ersten Hunger. Vielleicht finde ich ja auch neue Kleidung. Irgendetwas das weniger nach Gefängnis schreit, als diese Sachen, die man netterweise vom Staat zur Entlassung geschenkt bekommt. Zwar habe ich noch ein T-Shirt und eine Hose in meinem Rucksack, da beides allerdings nach Kotze, Rauch und Alkohol stinkt bin ich froh, wenn ich nichts von alledem tragen muss.

Bei der alten Frau hinter der Theke bezahle ich mein Schokobrötchen und den Donut, den ich einfach haben musste. Zufrieden summend verlasse ich den kleinen Laden. Noch bevor ich mit entscheiden kann, ob ich mein Brötchen langsam esse und genieße, oder in mich hinein schlinge, ist das meiste bereits weg. Den mit Schokolade gefüllten und mit Streuseln überzogenen Donut hebe ich mir für später auf.

Da es so langsam dunkel wird, sollte ich mir eine Unterkunft für die Nacht suchen. Allerdings kann ich zu Niemanden gehen und heute mein ganzes Geld für ein billiges Motel ausgeben will ich auch nicht. Ziellos laufe ich also weiter. Meine mittlerweile wieder kinnlangen Haare binde ich mir mit einem pinken Haargummi, dass ich zuvor auf dem Boden gefunden habe, zusammen. Besser als Nichts.

Bevor ich es merke, stehe ich an dem Punkt, von dem aus ich los bin. Da wo alles geendet und alles begonnen hat.

Ironisch lache ich auf und setzte mich auf die Bordsteinkante.

Erschöpft und verzweifelt stütze ich meinen Kopf in meine Hände. Alle erzählen sie einem, wie toll es draußen wird. Was man alles aus seinem Leben machen kann. Dass nichts verloren ist und wir eine Chance für einen Neuanfang bekommen.

Lassen uns dann aber mit Nichts auf der Straße versauern.

„Ich wusste ja, dass es dich wieder hier her zurück schlagen wird. Aber so früh schon?" Erschrocken drehe ich mich zu der bekannten Stimme. Henrikson, einer der wenigen Wärter die ganz okay sind, sieht mich sowohl mitleidig, als auch amüsiert an.

„Ich kann nirgendwo hin", gebe ich ehrlich zu, während ich mich erhebe.

Verständnisvoll nickt er. „Drei Blocks weiter, an der Johnson Avenue, da ist so ein Obdachlosenheim. Die geben dir sicher eine Matratze für die Nacht."

Ohne weiter höfliche Floskeln auszutauschen steigt der bullige Mann, der so bedrohlich wirken könnte aber doch herzensgut ist, in sein Auto.

Ein Obdachlosenheim.

Was ein toller Start in ein neues Leben.

ParoleeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt