Liebeszeiten

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Siebtes Kapitel

„Die Entstehung einer Beziehung ist unberechenbar!" So denken nur schlichte Gemüter. Aus dem Ereignis von Ursache und Wirkung entsteht Wirkung und Abhängigkeit.  

Paul van Cre 

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Damals, in der ersten Zeit mit Sina habe ich noch an die ganz große und ewige Liebe geglaubt, an gehauchte Treueschwüre und an gestöhntes Liebesgeflüster.  

Die Sünde, also Sina wurde schnell zu einer mein Leben bestimmenden Gewohnheit, die ich nicht mehr missen wollte. Ich war verliebt und ich war ihr bedingungslos treu. Aber das Gefühl des verliebten Herzschlags löste bei mir noch keine Überlegungen über die Ursachen und Folgen aus. Zwar hatte ich instinktiv und sofort geahnt, dass die junge und unverbrauchte Sina Sidonius purer Sprengstoff war, aber ich wollte trotz der Gefahren, die solche Dinge nun mal als wesentliche Eigenschaft besitzen, behutsam und dauerhaft damit umgehen.  

Trotz und in aller Liebe setzte mein nüchterner Verstand nicht vollkommen aus. Aus vielerlei Gründen erschien es mir besser, wenn Sina zwar nach Bedarf verfügbar, gleichzeitig unter vorsichtig-abhängiger Kontrolle, und zwar so, dass sie es nicht als solche empfand, aber sich in sicherer Entfernung vom heimischen Heilbronn aufhielt. Dieser Zustand war zwar für den Normalbürger nur schwer herzustellen, doch durch die langen Jahre als Unternehmer erfahren, wusste ich was zu tun war. Jetzt war mein Alter kein Nachteil mehr. Aber ich durfte mir nichts vormachen. Mit zunehmendem Alter sind größere, aber wohlüberlegte Investitionen um der Konkurrenzfähigkeit Willen nun mal notwendig. Hotels waren, und das ahnte ich intuitiv, für unsere Vorlieben sowohl aus Reinlichkeits- wie auch aus Geräusch- und eigentlich auch aus finanziellen Gründen ungeeignet. Sina hatte mir mit dem Hinweis auf äußerste Diskretion zu verstehen gegeben, dass sie glücklich und äußerst ehrsam mit einem honorigen Mann aus der besten Heilbronner Gesellschaft verheiratet und eigentlich nicht so sei, wie es vielleicht den Anschein hätte.  

Nach wenigen Wochen war ich zu der schnellen Entscheidung gekommen, dass wieder einmal der richtige Zeitpunkt für eine steuermindernde Investition gekommen wäre. Das Appartement in der oberen Sindelfinger Innenstadt mit einer großen und nicht einsehbaren Terrasse und dem Blick über den Ort und gleichzeitig auf die ehemalige Hauswirtschaftsschule, in der brave Mädchen ehemals mit Zucht zur Ordnung angehalten wurden, das mir von einem ihm verpflichteten Stuttgarter Bauunternehmer angeboten worden war, erschien mir, um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, für die beabsichtigten Zwecke am geeignetsten. 

Sina Siodonius liebte besondere Spiele und ich bewunderte ihren Einfallsreichtum, der meiner Phantasie nicht nur nahe kam, sondern ohne langes drum herum zu diskutieren, weit übertraf. Die Regeln waren von Anfang an klar definiert. Sina Sidonius war die alleinige Hausherrin und der Autor das kleine Würstchen im Naturdarm, das als Putzsklave und Nutzobjekt zum Kochen und für den Abwasch bestimmt war, und sonst ein Nichts. Wenn sie mir mit ihrer glockenhellen Stimme ins Ohr flüsterte: „Darf's ein bisschen mehr sein", war es für mich wie eine göttliche Offenbarung und das Paradies. Aber ich war nicht so einfältig, nur wegen einer Frau den Verstand und noch mehr zu verlieren. Dennoch konnte ich es nicht leugnen. Schon nach wenigen Wochen begann Sina mein Leben in ungeahntem Ausmaß zu beeinflussen.

Eigentlich hätte ich es ja wissen müssen und vielleicht ahnst du es schon. Es war der Anfang einer zeitlich ziemlich beschränkten, einer überirdischen und unendlichen Liebe für eine ziemlich kurze Zeit. Das ist aus meiner heutigen Sicht und mit etwas Abstand betrachtet, an sich kein weltbewegendes Ereignis. Solche Dinge passieren täglich an jeder Ecke. Jeder liebt Irgendwas und irgendwie irgendwann, hin und wieder und dann und wann für was auch immer. Jeder Fast-Verhungerte wird alles dran setzen, Dinge zu bekommen, die seinen Hunger stillen, und wenn es nur Fast-Food ist, und für Verdurstende sind sogar schlammige Wasserlöcher Zeichen des Himmels. Heute sehe ich das natürlich anders. Verliebtheit ist ganz offensichtlich nicht eine besondere Art der Kurzsichtigkeit, sondern ein Problem der Nahsicht. Wahrscheinlich hätte mir damals eine stärkere Brille genügt, um mich zu heilen, aber die hatte ich aus verständlichen Gründen nicht auf der Nase. Eigentlich war es nur ein triviales Spiel, das von unzähligen Frauen und Männern so oder so ähnlich jeden Tag gespielt wird. 

In diesem moralischen Zwiespalt gab es für mich mehrere Alternativen. Die erste Alternative war, die Sicherheit meiner Ehe zu wählen und auf jede wertvolle Erfahrung zu verzichten. Mein Gehirn und mein wacher Verstand hätten mir ja sagen können: „Tu es. Das ist gut und vernünftig!", aber die waren zum damaligen Zeitpunkt neutralisiert. Ich habe meine über alles geliebte Sina gesehen, ihr verträumtes Lächeln und ich las in ihren blitzenden Augen: „Was kann es da noch helfen? Du verstehst nun einmal nichts anderes - so sei denn wenigstens mein Hund", wie Nietzsche in einer ähnlichen Situation einmal gesagt haben soll. Sie hielt mir ihre Finger zum ablecken hin und ich wusste genau wo sie vorher waren. Welcher gestandene Mann mit wachem Verstand kann da noch zur Normalität zurückkehren.  

Du kannst noch nicht so richtig verstehen, warum ich mich so hingegeben hatte? Ich werde es für dich, lieber verständnisvoller, männlicher Leser in ähnlicher Situation, und für meine verständnislosen Leserinnen etwas einfacher in geraffter Form erklären. Es war der freie Wille eines mündigen Bürgers der wählen musste. Der eine bewusste Entscheidung für den Himmel mit Sina und gegen seine (meine) Ehe-Hölle getroffen hatte. Selbst ein dreiköpfiger Höllenhund hätte mich nicht von meiner Unbeugsamkeit abbringen können. 

Aber die Episode mit Sina war nicht nur der Himmel, sondern auch das voraussehbare Ende meiner sicheren Ehe und meines Wohlstands. Was soll ich mich beschweren. Vom ersten Moment an kannte ich das Risiko der riskanten Investition in meinen Gefühlshaushalt. Es war schon immer so: Je größer die erhofften Gewinne, umso höher das Risiko des Totalverlustes. Nur Feiglinge investieren in ein konservatives Sparbuch mit Mickerzinsen. 

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