58 Kilo

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58 kg

„Carina, was ist los?“, frage ich meine Freundin. „Nix“, sie guckt mich irritiert an. „Und warum guckst du dann so komisch? Wir haben noch 10 Minuten Unterricht, also was ist los?“, ich schaue sie fragend an. Mein Deutschlehrer bekommt ehe nie was mit. Wir könnten alle Musik hören und ihn würde es nicht stören. „Ach nix ist“, sagt sie und verzieht ihr Gesicht noch mehr. „Willst du raus?“, frage ich. „Nee, alles okay“, flüstert sie wieder. „Was ist los?“, nerve ich sie weiter. „Wenn du es so genau wissen willst. Ich muss mal dringend aufs Klo“, sagt sie und verzieht schon wieder ihr Gesicht.

Ich merke wie ich mich melde. „Entschuldigung, kann ich kurz mit Carina raus gehen, sie hat Kopfschmerzen.“ „Klar, aber kommt gleich wieder“, sagt er. Ich schnappe mir Carina und ziehe sie mit raus. „Danke“, ruft sie mir zu und rennt zum Klo auf unserer Etage. Ich gehe ihr langsam nach. „Wieder alles okay?“, frage ich in die Kabine als ich ankomme. „Jep, danke noch mal.“ „Kein Problem. Lass und gleich, aber noch einen Moment raus gehen, sonst kommt das komisch. Wir können ja meiner Schwester beim Sportunterricht zugucken. Der hat ehe schon vergessen das wir gegangen sind.“ „Stimmt hat er. Wir können ja noch fünf Minuten runter gehen und dann gehen wir wieder hoch“, sagt sie und kommt aus der Kabine raus. Okay können wir machen“, sage ich und wir laufen runter.

Kurz vorm Ende der zweiten Treppe halte ich Carina fest. Sie schaut mich verwirrt an, ich gebe ihr ein Zeichen leise zu sein.

Meine Schwester steht unten an der Tür mit Fabio. Ihre Augen sind ganz groß. „Hast du angenommen, Sina?“, fragt er sie. Sie schaut ihn einfach nur an. „Du siehst ja auf einmal sagenhaft schlank aus. Das war mir noch gar nicht aufgefallen“, sagt er. Ich glaube sie denkt nach. Sie guckt in der Luft herum. Ihm hätte auch echt nix besseres einfallen können als das sie schlank geworden ist, oder? Klar das man das in Sportsachen die eng am Körper sitzen besser sehen kann als in normalen Sachen. Er ist an manchen Stellen schon sehr unterentwickelt und ich denke mal total oberflächlich. Hat er Sina vorher schon mal mit einem Auge angeguckt? Nur weil sie jetzt acht Kilo weniger wiegt? Ich glaube nicht, dass sie das Wert ist. Sie hat was besseres als so eine oberflächlichen Typen verdient. Ich will zu ihr laufen und mit ihr reden, lasse es aber doch und bleibe im Hintergrund bei Carina stehen. „Du siehst echt gut aus. Wirklich eine richtig tolle Figur hast du bekommen“, sülzt er weiter. Sie fängt an zu lächeln sagt aber trotzdem nix. „In der Innenstadt hat eine neue Disko aufgemacht. Ich wollte immer schon mal hin, nur alleine komme ich mir etwas komisch vor. Aber mit dir zusammen könnte es mir Spaß machen, glaube ich. Hast du Lust, am nächsten Samstagabend vielleicht?“ Er hält ihre Hand fest. Ich bin kurz davor auf ihn drauf zu springen. Wie kann er meine Schwester nur so verarschen? Sie fängt an mehr zu grinsen. Doch dann ruft sie auf einmal: „Vergiss es. Ich hasse Diskotheken“, dann rennt sie die Treppe hoch an der wir stehen. Sie rennt an mir und Carina vorbei. Sie hat uns nicht gesehen. Fabio steht immer noch unten und schaut ihr ein bisschen verwirrt nach. Hat er verdient. Carina und ich kommen aus unserem Versteck hervor. „Wie lange seit ihr schon da?“, fragt auf einmal eine Stimme von unten. Ich drehe mich um es war Fabio natürlich. Ich hatte ganz vergessen zu gucken, dass er uns nicht sieht. „Lange genug“, sage ich. „Oh Gott ist das peinlich“, sagt er wieder. Ich verstehe nicht wirklich was so peinlich ist wenn ein Mädchen mitbekommt wie er eine Abfuhr bekommt, aber bitte. „Warum verarscht du meine Schwester so?“, höre ich mich ihn fragen. „Was, wenn verarsche ich?“ „Meine Schwester.“ Er schaut zu Carina. „Nee, ich bin nicht ihre Schwester“, sagt sie schnell. Dann schaut er mich fragend an. „Sina“, sage ich  kurz. „Du.... du bist ihre Schwester? Das wusste ich gar nicht“, stammelt er. „Aber ihr seit so unterschiedlich“, redet er weiter. „Wunderer dich später warum wir Geschwister sind und beantworte mir meine Frage“, sage ich, so langsam fange ich an sauer zu werden. „Ich verarsche sie doch gar nicht“, sagt er wieder. „Stimmt. Jetzt wo sie abgenommen hat ist sie auf einmal interessant und davor hast du sie nicht mal mit einem Auge nur gewürdigt. Sie war dir total egal, aber jetzt, jetzt ist sie ja hübsch, jetzt ist sie gut genug für dich.“ „Was kann ich den jetzt dazu, dass sie abgenommen hat?“, fragt er mich. Ist er so doof oder tut er nur so? „Nix hast du damit zu tun. Nur würde sie 20 Kilo mehr wiegen würdest du nix mit ihr zu tun haben wollen, aber da sie ja jetzt dünn wird und es sowieso schon ist, ist sie interessant.“ „Ach und das sagst du. Wie viel wiegst du 30kg? Wenn sie 20 Kilo mehr wiegen würde, würdest du sie auch nicht mit dem Auge würdigen. Was kann ich dazu das ich halt auf dünne stehe? Muss ja nicht jeder 80 Kilo wiegen oder?“ „Nee ich wiege mehr als 30 Kilo außerdem geht dich das gar nix an. Sie ist meine Schwester ich würde immer hinter ihr stehen, aber du bist ein Oberflächiger Macho.“ Ich ziehe Carina hinter mir her. „Wir müssen zurück in die Klasse“, sage ich zu ihr.

„Mum, ich kann auch mal kochen“, höre ich es aus der Küche. „Ach, lass schon ich mach nur schnell die Fenster fertig, dann mach ich das.“ „Ich muss das doch auch mal lernen“, wirft Sina dazwischen. „Hallo, ich bin da“, unterbreche ich deren Gespräch. „Hallo Schatz“, ruft meine Mum. „Hey, hilf mir mal“, ruft Sina. Ich gehe zu ihnen in die Küche. „Was ist los?“, frage ich und schaue beide fragend an. „Mum will nicht, dass ich koche.“ „Ich kann ihr ja helfen oder mich einfach nur hier hinsetzen und du machst die Fenster fertig, okay?“, frage ich sie und schaue sie ernst an. Sie nickt und verlässt die Küche. Ich schließe die Tür.

„Alles okay, bei dir?“, frage ich Sina. Sie fängt an die Kartoffel im Wasser zu schrubben. „Ja, alles okay“, sagt sie und schrubbt die Kartoffel noch fester. „Die Kartoffel hat dir nix getan“, sage ich und sie muss grinsen. „Stimmt, hat sie nicht“, sagt sie und wird leiser. „Was war da los mit dir und Fabio?“, frage ich. Sie dreht sich mit so einem Schwung um und macht meine Gesicht erst mal nass. „Du warst da?“, fragt sie und schaut mich erschrocken an. „Carina musste aufs Klo also haben wir gesagt, sie hätte Kopfschmerzen und wollten danach eigentlich runter, aber da ich dich und Fabio an der Treppe gesehen habe sind wir oben geblieben und haben gewartet bis euer Gespräch zuende war.“ „Hab ich das richtige gemacht?“, sie schaut mich fragend und eine Mischung aus traurig und glücklich an. „Ja du hast das richtige gemacht und das sage ich nicht, weil du meine Schwester bist, sondern weil es stimmt. Nur weil du abgenommen hast bist du gut genug für ihn, er soll sich mal angucken und dann noch mal sagen, was er verdient hat.“ „Aber ich war wirklich dick und bin es immer noch ein bisschen. Kein Wunder das er mich nie angeguckt hat“, sagt sie. „Ach das stimmt doch überhaupt nicht, du warst nie dick und bist es jetzt auch auf keine Fall. Außerdem er soll dich so mögen wie du bist. Du nimmst ja hoffentlich nicht für ihn ab oder?“, frage ich sie. „Nein, ich nehme für mich und vielleicht ein ganz klein wenig für ihn ab“, sagt sie. „Och Sina. Bitte verändere dich nicht für ihn.“

„Mira, hallo willst du heute nicht mit essen?“, meine Mutter streckt den Kopf durch die Tür. „Doch, sorry hab es nicht gehört“, sage ich und stehe von meinem Bett auf und gehe mit ihr in die Küche. Meine Geschwister sitzen schon am Tisch. Ich nehme mir sofort drei Kartoffeln und etwas von dem Quark. Ich liebe das essen. Sina stochert in ihrem nur rum. „Warum isst du nichts?, fragt meine Mutter sie. „Ich habe eben beim kochen schon so viel gegessen, dass ich jetzt kaum noch Hunger habe“, sagt sie.

Ich stelle auf Durchzug und esse meine Kartoffeln auf. Wenn die nix essen wollen sollen sie es halt lasse, aber ich lass mir meine Stimmung nicht kaputt machen, wegen so ein paar Kartoffeln.

Plötzlich steht Sina neben mir auf. Ich schaue sie verwirrt an. „Ich esse in meinem Zimmer weiter. Wenn mich alle anstarren kann ich ehe nix essen. Mira ich lege dir die List gleich in dein Zimmer“, sagt sie und geht. Meine Mutter schaut mich fragend an, aber ich reagiere nicht.

Auf meinem Bett liegt die Liste. Ich schaue sie mir an.

58 kg

Morgens: 2 Scheiben Toast, etwas Butter, 2 Teelöffel Marmelade, eine Tasse ungesüßten Tee

Vormittags: 1 Apfel (Granny Smith)

Mittags: 2 Esslöffel Magerquark mit Kräutern (nicht den denn ihr gegessen habt, hatte eine ohne Sahne), zwei mittelgroße Pellkartoffeln, ein Glas Mineralwasser

Nachmittags: 1 Glas Mineralswasser, 1 Butterkeks

Abends: nichts

Ich seufze, lege die Liste zu den anderen in meine Schublade und lasse mich auf mein Bett fallen. Hoffentlich hört sie bald damit auf. 

Dann bin ich eben Weg (FF) Geschichte einer Magersucht LANGSAMES UPDATENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt