82.: Brandt×Havertz

650 37 6
                                    

~If you know you know~


Es war dunkel. Dunkler als Dunkel. Regen peitschte geräuschvoll gegen das geschlossene Fenster und graue Wolken schoben vor den eigentlich so hell scheinenden Mond.
Das Wetter passte gut zu Kais Stimmung. In ihm war es mindestens genauso dunkel und regnerisch wie draußen auf der Straße.
In Kais Seele herrschte auch gerade eiserne Dunkelheit; wenn nicht sogar Finsternis.
Seit gestern Mittag; eigentlich schon seit gestern morgen, aber gestern Mittag war der Höhepunkt der ganzen Misere gewesen.
Er hatte alles kaputt gemacht; er war schuld an allem. An der angespannten Situation zwischen ihm und Jule. Er war an allem Schuld.
Wenn er nicht mit Marco über ihn gesprochen hätte, wäre jetzt vielleicht noch alles in Ordnung.
Aber er hatte einfach jemanden zum Reden gebraucht. Jemanden, der täglich mit Jule zu tun hatte.
Er war einfach heillos überfordert gewesen mit Julians Nachricht.
Und er fragte sich, ob es Jule nicht so gegangen wäre, wenn Kai ihm eine ellenlange Nachricht geschrieben hatte, in der er Kai erklärte, dass ihre Beziehung zueinander komisch geworden war und er das Gefühl hatte, dass Kai sich durch die Entfernung von ihm abgewandt hatte.
Kai war überfordert, geschockt, keine Ahnung was noch.
Er hatte das alles ganz anders wahrgenommen.
Ja, natürlich war ihm aufgefallen, dass ihr Kontakt weniger geworden war und ja, es hatte ihn beschäftigt, aber Kai war kein Mensch, der gerne über sowas redete, denn er wollte nichts kaputt machen. Er hatte Angst, Jule sonst zu kränken oder zu enttäuschen.
Deswegen hatte Kai dem Ganzen eine nicht so große Bedeutung zugeschrieben. Jule hatte viel zu tun, das wusste er und wenn er frei hatte, wollte er sich etwas mit Nico, seinem besten Freund in Dortmund, machen.
Und Kai wollte ihnen nichts verderben und er gönnte es ihnen ja auch, aber er konnte nicht verhindern, dass ein Stich von Eifersucht durch sein Herz fuhr, wenn er Fotos von den beiden mit glücklichen Gesichtern sah. Er konnte es einfach nicht verhindern; egal wie sehr er es auch versuchte.
Mit Nico konnte er nicht darüber reden; er würde ihn wahrscheinlich auslachen, wenn nicht sogar sauer werden und mit Jule? Nein, das ging auf gar keinen Fall.
Also hatte der Jüngere Marco angerufen und ihn gefragt. Er hatte ihm geschildert, was Jule in seinen Nachrichten geschrieben hatte, wie Kai sich fühlte, wie er es wahrgenommen hatte. Er wollte nur einen Rat von Marco haben, aber er hatte es gut gemeint, wie immer und hatte Jule drauf angesprochen. Er konnte Marco keinen Vorwurf machen und das tat er auch nicht. Wenn er an seiner Stelle gewesen wäre, hätte er genauso gehandelt, da war er sich sicher.
Im Gegensatz; er machte sich Selbstvorwürfe.
Was wenn er jetzt nicht nur alles zwischen ihm und Jule sondern auch zwischen Jule und Marco zerstört hatte?
Am liebsten hätte er sich selbst geohrfeigt. Verdient hätte er es auf jeden Fall...
Aber Jule hatte das Ganze nicht so toll gefunden, hatte sich hintergangen gefühlt und Kai eine erneuten Nachricht klar gemacht, dass er erstmal Zeit bräuchte. Zeit. Was war schon Zeit? Was war die Definition von 'etwas Zeit um über alles nachzudenken'? Stunden, Tage, Wochen, Monate? Kai wusste es nicht.
Er wusste nur, dass er es gut gemeint hatte.
Er hatte Jule nicht hintergehen oder ihn wütend machen wollen; er hatte eine Lösung für sie beide finden wollen; mehr nicht.
Aber Jule schien das nicht so zu sehen.
Jule war sauer auf ihn und das Schlimmste war, dass Kai es verstehen konnte.
Kai konnte verstehen, dass das was er mit Marco getan hatte, vielleicht nicht ganz in Ordnung gewesen war.
Aber Jule schien nicht zu verstehen, dass er ihm nur hatte helfen wollen. Dass Kai ihm und sich selbst hatte helfen wollen; ihnen als Paar.
Aber Jule schien das egal zu sein. Oder er checkte es nicht. Eins von beidem oder beides zusammen.
Wie war das nochmal gewesen?
Kai hatte nicht viel aus der Schule mitgenommen und schon gar nicht aus Deutsch, aber eine Einheit ploppte gerade unweigerlich in seinem Kopf auf, als er über Jule und sich nachdachte.

Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willem zum allgemeinen Naturgesetz werden sollte.

Eine Handlung ist genau dann gut, wenn der dahinterstehende Wille gut ist...

Eigentlich fand Kai das immer irgendwie schlüssig, denn man konnte sich über die Handlung an sich streiten, aber ein guter Wille gab keine Grund zum Diskutieren.
Aber jetzt gerade konnte er den Worten des so weise geltenden und berühmten Philosophen nicht so ganz glauben.
Wenn der Wille wirklich nur das wichtige war, warum war es dann so geendet?
Er hatte es doch nur gut gemeint...
Er wollte niemanden verletzen oder die Beziehung zwischen Jule und Marco kaputt machen und doch trug er die Schuld für beides auf seinen Schultern.
Und da war es auch egal, wie oft Marco ihm versicherte, dass dem nicht so war.
Kai wusste, dass er das nur sagte, um ihn zu beruhigen; es war immer so.
Schon zum fünften Mal in den letzten Minuten schwebte Kais Finger über Julians Kontakt; er war wieder kurz davor, ihn anzurufen.
Aber er wusste, dass das nichts brachte.
Er wusste, dass er jetzt nicht mehr an der Reihe war sondern dass es an Jule war, jetzt einen Schritt auf ihn zuzugehen oder ihm zumindest zu sagen, was Kai noch tun sollte, damit wieder alles normal wurde.
Leise seufzend schloss er den Kontakt wieder und legte sein Handy zur Seite.
Sein Blick ging zu seinem Nachttisch. Zu der Plastikverpackung, die dort lag.
Schlaftabletten. Schon in der letzten Nacht hatte er überlegt, eine zu nehmen, denn er wusste, dass er sonst kein Auge zubekommen würde.
Aber er wollte doch nicht.
Er wollte nicht riskieren, zu fest zu schlafen, sodass er sein Handy nicht hören würde, wenn Jule sich meldete. Also hatte er die ganze Nacht wach gelegen auf einen Anruf oder eine Nachricht gewartet aber es kam nichts.
Sollte er heute eine nehmen?
Aber was, wenn Jule sich jetzt meldete?
In dieser Nacht?
Auf der anderen Seite; warum sollte er?
Mitten in der Nacht?
Kai wusste nicht, was er noch tun sollte.
Was sollte er noch tun, als sich zu entschuldigen; ehrlich und aufrichtig.
Und ja, er meinte die Entschuldigung wirklich, weil er wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte.
Was sollte er noch machen, außer seine Beweggründe, die ihn zu jenem Fehler gezogen hatten, zu erklären?
Was sollte er mehr tun, als Jule zu erklären, dass er das für ihn, für sie, getan hatte?
Was sollte er noch machen? Was?
Kai versuchte, optimistisch zu bleiben.
Er versuchte es wirklich; mit jeder Zelle seines Körpers.
Er versuchte es.
Er versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, dass sich bald alles klären würde und alles gut werden würde, aber mit jeder Sekunde, in der der Blonde sich nicht meldete, wurde sein Optimismus zu Pessimismus und ihn beschlich das Gefühl, dass es nie mehr so wie früher werden würde.
Nie, nie wieder.
Dass sie, wenn sie sich das nächste Mal sahen, vielleicht schon gar nicht mehr zusammen waren. Dass das hier der Anfang vom Ende war.
Der Anfang vom Ende für das Kapitel Bravertz.
Er hoffte es nicht, aber irgendwie war dieses Gefühl immer präsent. Immer.
Egal ob beim Essen, beim Training, das er monoton durchzog, oder beim Duschen.
Es war immer da und er stellte sich die Frage:
Was muss er noch machen, um den Anfang vom Ende zu verhindern?

Fußball Oneshots boyxboy  Pt. ||Where stories live. Discover now