Kapitel 48 - Dorian

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Seufzend folgte Louis nicht wirklich dem Unterricht. Ehrlich gesagt tangierten ihn die linearen Gleichungssysteme gerade nur peripher. Anders ausgedrückt fand er das so dermaßen schnarchig, dass er es nur schaffte nicht einzuschlafen, weil er wusste, dass Mathe die letzte Stunde am Freitag war. Er würde gleich in sein wohlverdientes Wochenende starten. Mit dem Dresscode: Bettdecke.
Es lagen immerhin auch schon drei sehr... Graue Wochen hinter ihm. Ohne Maura hätte er die nie geschafft. Die tauchte einfach immer mit Getränken auf. Mal mit Heißgetränken, mal mit Cola und dann war sie da. Oft fragte sie gar nicht so viel. Sie war einfach bereit zuzuhören. Das war schön.
Was passiert war hatte sie Louis eh nicht fragen müssen. Das hatte sie ihm an der Nasenspitze angesehen.
Und statt irgendwas zu sagen, hatte sie ihn nur in den Arm genommen. Um sie herum hatten einige gejohlt, die das natürlich grandios falsch verstanden hatten. Aber das spielte keine Rolle.

"Ich hab keine Ahnung, wie man sowas überlebt...", hatte Louis irgendwann gemurmelt.
Maura hatte ihn angesehen und demonatrativ tief ein und aus geatmet.
Ja, dachte Louis seither. Genau so überlebte man wohl irgendwie alles. Man atmete, weil das keine bewusste Handlung war. Der Körper machte einfach weiter. Egal was passierte. Man lebte weiter. Egal, ob man sich zerriss, egal wie oft man nachts heulte und egal wie oft man tief versunken all die kleinen "was wäre wenn's" durchging. Man sah es jemandem nicht an. Harry war unbestreitbar Louis' erste Liebe. Würde es bei anderen weniger Schlimm sein? Ansonsten würde er auf den Mist doch lieber verzichten. Es tat scheiße weh. Bei einer Wunde, die man sah nahmen zudem alle Rücksicht und hatten Verständnis. Aber bei dieser Art Schmerz... Nicht. Das eiterte fröhlich aus dem Herzen heraus und niemand nahm es auch nur zur Kenntnis. Außer Maura. Ja gut und Stan. Aber trotz ihres Gesprächs an der Bushaltestelle war der eben ein bekennender Harry-Gegner. Man merkte einfach, dass er froh war, dass die ganze Sache hinter Louis lag.

Maura war... Sie war irgendwie unabhängig von ihrer eigenen Einstellung Harry gegenüber, einfach für Louis da. Und das tat gut. Aber... Es konnte den Schmerz eben nicht lindern. So oft hatte er doch den Chat geöffnet... Bis er ihn dann gelöscht hatte. Und die Nummer auch. Er konnte sie auswendig. Aber er war ja nicht so gut mit Zahlen. Vielleicht würde er sie eines Tages nicht mehr auf die Reihe bekommen und dann wäre er über ihn hinweg? Gut, sein Herz würde Harry kaum so schnell vergessen können, wie sein Hirn eine Zahlenkombination. Aber trotzdem. Man musste klein anfangen.
Soweit konnte er aktuell aber ohnehin noch lange nicht denken. Vermutlich war die Gesamtsituation mit ihm gerade auch sehr unzufrieden, weil er sich das ja alles gewissermaßen selbst eingebrockt hatte. Wäre er damals lieb und artig nicht mit dem halbnackten Typen mitgegangen, der ihn angeblich hatte massieren wollen, wäre er jetzt nicht in dieser Situation. Und er hatte jegliche "Massage" von Harry ja auch sehr genossen. Nur die Art, wie der an seinem Herzen herum gekratzt hatte, wie Metallbesteck in beschichteten Pfannen, das war nicht schön gewesen. Aber gut. Er hatte gewusst, worauf er sich einließ. Deswegen wollte er auch nicht zu viel jammern ...

"- ouis? Wirds heute noch was?", fragte Mr Archtee, als hätte er ihn nicht zum ersten Mal abgesprochen.

"Äh... Tschuldigung... Ich hab gerade nicht aufgepasst.", nuschelte Louis mit roten Bäckchen.
"Ich weiß ja, dass Mathe bei dir, wie bei einigen anderen natürlich auch, als zweite Fremdsprache zählen könnte, aber versucht doch bitte euch noch ein wenig zu konzentrieren.", flehte Mr Archtee und erklärte was an einer kompliziert aussehenden Zeichnung an der Tafel. Was das wohl war? Und wann man das wohl brauchte?

"Stan, wie sieht's mit dir aus? Kommst du weiter?", fragte Mr Archtee.
"Neee. Aber... Wenn man die Funktion
x²+(y-3√x²)²=1 aufmalt, dann erhält man ein Herz."
"Ähm..."
"Sagt Google."
"Toll. Wir waren aber bei linearen Gleichungen und-"
"Können wir nicht einfach das Herz malen?", fragte irgendwer von hinten genervt.
"Ist das überhaupt klausurrelevant?"
"Die Römer hatten es viel leichter. Da war x einfach immer 10."
"Leute, bitte! Wir haben gerade gesagt, das n eine beliebige natürliche Zahl ist und -"
"Ah! Deswegen geht man n Bier trinken... Jetzt ergibt das Sinn!", freute sich Benjamin.
"Leute -"
"Es sind eh nur noch zehn Minuten."
"Dann malt halt das Herz..."

-

"Na, Pläne fürs Wochenende?", fragte Maura und stieß leicht gegen Louis' Arm.
"Nein.. Schlafen.", seufzte Louis. Er vermisste auch Niall, Liam und Zayn. Aber.. allein die Vorstellung das Haus zu betreten, oder dass jemand über ihn reden würde... Glücklicherweise verstanden die drei das und nahmen es ihm nicht übel. Aber...die Wochenenden waren eben... Naja, er hatte viel Zeit zum Schlafen...

"Louis.."
"Hm?"
"Du musst unter Leute.", stellte Maura fest.
"Ich kann mich Abends hintern Tresen -"
"Das meine ich nicht."
"Sondern?"
"Lass uns ausgehen. Nicht in London. In Cambridge. Ins High Five. Bitte."
"Ich weiß nicht... Ich kann mich nicht so schnell neu verlieben..."
"Das erwarte ich auch nicht. Alles, was ich will ist, dass deine sexy Klamotten nicht in Schrank versauern und wir Spaß haben. Okay?"
"Okay.", seufzte Louis geschlagen.

Er nahm sich vor, den Abend mit Maura als Abend mit Freunden zu genießen. Ohne Absichten oder Hintergedanken. Dazu fühlte er sich ohnehin noch gar nicht bereit.

Aber manchmal passierten genau die Dinge, bei denen man sich vornahm, dass sie nicht passierten.
Das High Five war ein LGBTQ+-Nachtclub und Louis fand sich schneller auf der Tanzfläche wieder, als er gucken konnte. Und so lernte er Dorian kennen. Zwei Jahre älter als Louis, Stupsnase, blonde Locken und grüne Augen. Er studierte Betriebswirtschaft und Louis und er verstanden sich auf Anhieb gut. Es war plötzlich alles so leicht. Mit Dorian konnte Louis lachen und als der ihn irgendwann an sich zog und küsste, war Louis zwar überfordern, aber entschied sich, dass er den Sprung ins kalte Wasser jetzt einfach wagen würde und erwiderte. Spürte Arme um sich, die ihn hielten und ein Gegenüber, welches sich für ihn interessierte. Vielleicht... Vielleicht wird alles bald viel leichter, dachte er sich und entschied, dass er Dorian eine Chance gehen würden

Na, ich hoffe, ihr mögt Dorian. Louis will es also durchziehen und hat sogar Harrys Nummer gelöscht. Wer hätte da gedacht?
Bis dann.
Viele Grüße ^⁠_⁠^



Innocent - Wird fortgeführt auf StorybanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt