14. Flucht

1.5K 44 0
                                    

„Ich muss raus! Ich muss weg hier, sofort!"
Ich hatte das Gefühl, ein bleierner Gurt läge um meine Brust und zöge sich mit jedem Atemzug mehr zusammen. Panisch schnappte ich nach Luft, während ich durch den Flur rannte, so schnell ich konnte. So schnell wie möglich weg von Mark, weg von den anderen Männern und letztlich auch weg von den niederschmetternden Gedanken, aus denen mich Stefan gerissen hatte. Das schlimmste war, dass ich die frustrierenden Tatsachen nichtmal auf die Entführung schieben konnte. Das war auch schon vorher so, das war mein Leben, mein kaputtes Leben. Diese Tatsache war mir irgendwie schon immer bewusst gewesen aber noch nie hatte sie mich so hart getroffen wie vorhin.
Ich eilte weiter, meine nackten Füße klatschten auf den Marmorboden, doch ich merkte es kaum.
„Luft! Ich brauche Luft!" Schoss es mir durch den Kopf und als ich an einer Schiebetür vorbeiraste, die einen Spalt geöffnet war, bremste ich abrupt ab und zwängte mich ohne große Überlegungen hinaus ins Freie. Einen kurzen Moment blieb ich stehen und atmete tief durch. Der unsichtbare Gurt, der mir die Luft zum atmen raubte, lockerte sich ein wenig aber die Panik blieb. „Niemand wird mir helfen! Ich muss hier weg!" entschlossen rannte ich wieder los, wohin wusste ich nicht.
Ich schlug einen Weg nach rechts ein. „Ich bin draußen! Und bisher scheint es noch niemand bemerkt zu haben, du musst nur noch vom Gelände runter." die neu gewonnene Hoffnung trieb mich an und meine Beine trugen mich noch schneller. Ich hatte lange Leichtathletik als Leistungssport betrieben, das kam mir nun zugute. Nach vielleicht 70 Metern machte ich jedoch einen Zaun vor mir aus. „Scheiße! Der ist viel zu hoch!" stellte ich entsetzt fest. Zudem befanden sich oben auf dicke Rollen an Stacheldraht. Kurz klammerte ich mich an den Zaun als ich diesen erreichte, als könne ich einfach durch ihn hindurch diffundieren. „Kämpf, Samia! Lauf weiter, du musst es schaffen!" rief ich mir selber zu. Also lief ich an Zaun nach rechts weiter. „Endet dieser Zaun denn nie?" Fragte ich mich gerade als ich etwas erblickte. Der Zaun ging in eine ebenso hohe Mauer über mündete in einem gigantischen Tor ca dreißig Meter entfernt von mir. Entsetzt blieb ich stehen. „Das darf doch nicht wahr sein!" dann fiel mein Blick auf die beiden Männer, die wie Statuen vor dem geschlossenen Tor standen. Sie waren schwarz gekleidet und hatten beide je eine große Waffe quer vor der Brust. Schockiert quietschte ich unkontrolliert auf. Die Köpfe der Männer schnellten zu mir und ihre eisigen Blicke fixierten mich. Mir rutschte das Herz in die Hose und wie in Zeitlupe ging ich rückwärts. „Werden sie mich jetzt erschießen? Scheiße wie blöd bist du eigentlich zu denken, dass du hier raus kommst?!" rügte ich mich innerlich.
Als einer der Männer eine Hand hob, legten sich alle Schalter in mir um. Panisch drehte ich mich um und als ich losrennen wollte, fiel ich beinahe über meine eigenen Beine, konnte mich allerdings im letzten Moment wieder fangen und hechtete los. Wieder Erwarten fielen keine Schüsse und ich verspürte nicht den erwarteten Schmerz einer Schusswunde. Nichts geschah, deshalb drehte ich mich im Laufen nochmals um und erkannte im Augenwinkel, dass die Männer mir nichtmal folgten. Sie hatten sich keinen Meter bewegt aber der eine schien zu telefonieren. „nein! Er ruft sicherlich Mark an oder die anderen." Wenn die Türsteher mich nicht umbringen, dann werden die anderen es tun, da war ich mir sicher.
Wenig später war ich wieder an dem Punkt angelangt, an dem mein kläglicher Fluchtversuch gestartet war. Ich ging jedoch nicht wieder ins Haus sondern nachdem mein Blick auf eine große Trauerweide am Seeufer gefallen war, ging ich kurzentschlossen dort hinüber. Da vermutlich eh die letzten Minuten meines Lebens begonnen hatten, wollte ich diese lieber draußen verbringen. Schwer atmend, ließ ich mich mit dem Rücken am Stamm des Baumes nach unten gleiten, zog dann meine Beine an mich und umschlang diese mit meinen zitternden Armen. Erstaunlicherweise standen meine Gedanken plötzlich still und ich starrte stumm auf die idyllische Landschaft vor mir. Unter anderen Umständen würde ich diesen Ort womöglich zu meinem Lieblingsort erklären, jedoch erreichte mich die Schönheit der Natur unter den schrecklichen Gegebenheiten nicht. Ich war wie in einem Tunnel gefangen, konnte nichtmal weinen. Mein Verstand war wie ausgeschaltet.
Ich weiß nicht, wie lange ich dort gesessen hatte, doch plötzlich vernahm ich Bewegung neben mir. Was mich vermutlich unter normalen Umständen hätte zusammenfahren lassen, entlockte mir zum jetzigen Zeitpunkt keine noch so kleine Reaktion.
Erst ein leises räuspern ließ mich meinen Kopf beinahe mechanisch zur Seite drehen.
Ich erkannte den Mann, der mir in der Küche das Glas angereicht hatte. Ansonsten erinnerte ich mich bisher nicht an ihn. Ich kannte noch nichtmal seinen Namen.
Kurz musterte er mich, doch seine Miene war unergründlich, jedoch nicht so kalt wie ich es erwartet hatte.
„Ich bin Damian, falls Mark mich noch nicht namentlich vorgestellt hat." zwinkerte er mir zu und ich vernahm ein minimales Zucken meines linken Mundwinkels.
„Bitte was?! Hast du gerade gelächelt?"
Völlig durch den Wind war mir plötzlich alles egal. Ich würde hier eh nicht mehr rauskommen, den Männern nicht entfliehen können.
„Was machst du hier draußen?" schob Damian hinter als keine Antwort von mir kam.
Erschöpft lehnte ich meinen Kopf an die Rinde hinter mich.
„Ich musste an die frische Luft." gab ich wahrheitsgemäß an. „Da stand eine Tür offen und ich habe gar nicht drüber nachgedacht ob ich das Gebäude hätte verlassen dürfen oder nicht." schob ich hinterher, ließ meinen gescheiterten Fluchtversuch allerdings unerwähnt. Sie wissen es schließlich eh alle.
„Der Konflikt mit Stefan und Mark." Stellte Damian laut als Ursache meiner Luftnot fest.
„Ich verstehe das hier alles einfach nicht. Gestern war ich noch eine stinknormale Studentin, bin gerade in mein kleines Apartment gezogen und war das erste Mal an dem Punkt, dass ich mein Leben ganz alleine gestalten konnte, mich nach niemandem richten musste. Naja und jetzt? Jetzt bin ich hier gefangen und muss jeden Moment damit rechnen, dass ihr mit mir das selbe macht wie offensichtlich mit dem Mann im Wald! Ich weiß nicht was richtig und was falsch ist, was ich tun darf, was nicht, warum ich überhaupt hier bin. Es macht mir hier alles einfach wahnsinnige Angst und ich möchte nur heim!" beendete ich meinen Ausbruch und ärgerte mich über mich selbst, dass sich schon wieder Tränen ihren Weg über meine Wangen bahnten.
Damian seufzte. „Das verstehe ich alles aber es ist das beste wenn du dich möglichst bald damit abfindest wie es jetzt ist. Es macht es dir nur schwerer wenn du dich hier gegen, gegen uns wehrst und dagegen ankämpfst. Ich muss das jetzt leider so sagen aber den Kampf wirst du nicht gewinnen, auch nicht gegen jeden einzelnen von uns. Das ist dir hoffentlich bewusst. Mach dir also besser keine Illusionen, dass du was gegen uns ausrichtet kannst. Das bereitet dir nur Probleme und wenn es schlecht läuft auch Schmerzen und das willst du nicht. Tu was wir sagen und starte keine lebensmüden Aktionen, dann hast du es hier definitiv leichter." warnte Damian mich ausdrücklich.
Ich schluckte hart. Meine „mir ist alles egal-Einstellung" war wie weg geblasen und meine Angst bekam wieder die Überhand. Betreten senkte ich meinen Kopf und knetete nervös meine Hände.
„Ich verspreche es zu versuchen aber wenn ich Angst habe, mache ich manchmal ganz dumme Sachen.." rechtfertigte ich mich schonmal im Vorraus.
„Wir werden dich dann schon zur Ordnung rufen wenn du Mist baust aber versuch es nach Möglichkeit zu vermeiden."
Nach einer kurzen unangenehmen Pause beichtete ich schließlich was mir auf dem Herzen brannte.
„Ich habe versucht wegzulaufen." flüsterte ich beinahe.
Das Lachen von Damian ließ mich Aufsehen. Er sah so freundlich aus und dennoch waren seine Worte mehr als einschüchternd.
„Das wissen wir."
Ich nickte nur als Antwort aber war froh es los zu sein. Mir war schließlich außerdem bewusst gewesen, dass meine Entführer schon alle Bescheid wissen mussten, schließlich hatten die Wachen sie angerufen.
„Und wir haben schon drauf gewartet." fügte er hinzu.
„Wiebitte?" Fragte ich ungläubig.
„Naja es wäre schon ein bisschen ungewöhnlich wenn du es nicht ein einziges Mal versuchen würdest oder? Ich glaube kaum, dass du dich hier so wohl fühlst." lachte er.
Wieder nickte ich, viel zu verwirrt um etwas anderes zu tun.
„So hast du jetzt dein Fazit aus deinem gescheiterten Versuch uns zu entkommen, ziehen können. Das hilft uns und auch dir. Du hast gemerkt, dass du hier eh nicht wegkommst und wir müssen nicht ständig hinter dir herlaufen."
Entsetzt blickte ich ihn an bis es Klick machte.
„Das war alles von euch geplant? Mark hat mich extra provoziert und die Tür war auch nicht zufälligerweise auf?!"
„Schlaues Mädchen." lobte der Mann.
„Und ich bin auch noch voll drauf reingefallen." nuschelte ich bedrückt.
„Du bist einfach zu durchschauen und ganz schön blauäugig. Ich meine hast du wirklich gedacht, dass es so einfach sein würde uns zu entkommen? Naja warum frage ich eigentlich? Natürlich hast du das gedacht." der Mann schien sich herrlich zu amüsieren während ich einfach nur schockiert war. „Ich bin denen voll ins Netz gegangen und habe es schon wieder nicht gesehen, dass ich nie eine Chance hatte." ratterten meine Gedanken.
„Hey Kleine sieh es positiv, du kannst hier einiges lernen. Vielleicht lesen wir dich dann irgendwann nichtmehr auf den ersten sondern erst auf den zweiten Blick wie ein offenes Buch Du wirst sicherlich auch noch ein wenig stärker und weißt dich dann mal zumindest ein wenig zu wehren. Aber glaub jetzt trotzdem nicht, dass du den Hauch einer Chance bekommen würdest. Wir werden dich immer mit nur einem Arm kontrollieren können und nebenbei noch gemütlich zu Abend essen während du all deine Kräfte aufbringst um mit dem Arm fertig zu werden. Aber wenn du dich dann ganz dolle anstrengst, wird's vielleicht mal etwas spannend für uns. Dann spannen wir vielleicht auch mal einen Muskel an und halten dich nicht nur durch das Eigengewicht des Arms am Boden." wieder lachte der Mann herzlich.
Entsetzt keuchte ich auf, sprang auf und wich an den Baum gedrückt, von Damian weg. Wie konnte er nur so mit mir sprechen? Ich hatte niemandem etwas getan! Oder war das die Bestrafung für meinen Fluchtversuch?
Meinte er das ernst? Sahen die Männer mich wirklich so oder wollte er mich durch seine Worte einfach verunsichern und verletzen? Ruhig stand der Mann ebenfalls auf und kam auf mich zu. Wie ferngesteuert wich ich weiter zurück und starrte ihn an.
„Bleib stehen!" fuhr er mich an was mich zusammenzucken ließ. Am liebsten wäre ich wieder losgerannt aber mein Verstand zwang mich zum Gehorsam.
Bei mir angelangt, blickte der Mann mich einen Moment abschätzig an und packte mich dann grob am Oberarm.
„So, der Kindergartenausflug ist beendet, also rein mit dir."
Ohne Gegenwehr ließ ich mich von dem Mann abführen.
Wieder hatte ich mich in einem von meinen Entführern arg getäuscht! Und ich dachte er könnte nicht ganz so schlimm sein wie die anderen.
Unerbittlich zog der Mann mich mit sich. Mein Oberarm schmerzte, doch ich hielt die Tränen zurück, denn den Triumph wollte ich ihm nicht auch noch gönnen.
„Was wird jetzt mit mir geschehen? Wie wütend sind die anderen? Habe ich mir den verhältnismäßig schonenden Umgang jetzt versaut?" schossen mir tausend Fragen im Kopf herum.
Zurück im Wohnzimmer angekommen, schubste der Mann mich Richtung Sofa, jedoch konnte ich den harten Stoß nicht abfangen und fiel unsanft hin. Wie mein Knie auf den Fliesen aufschlug, bemerkte ich kaum, da ich mich sofort umdrehte um einen möglichen weiteren Angriff kommen zu sehen. Jedoch kam keiner.
Stattdessen sah ich aus dem Augenwinkel wie Damian hart gegen die Wand hinter ihm gestoßen wurde und ich ein wutentbranntes Knurren vernahm.

ENTFÜHRTWhere stories live. Discover now