4

20.8K 503 33
                                    

●●●
Gedankenverloren sah ich raus in die Landschaft und betrachtete die Natur, das immer schneller an mir vorbeiflitzte, bis man nicht mehr deutlich was erkennen konnte.

Ich saß im Zug.

Einsam.
Verlassen.
Traurig.
Aber froh, es endlich geschafft zu haben.

Was passiert war?
Vor zwei Tagen hatten wir den letzten Schultag hinter uns gebracht. Und gestern hatte ich was mit meinen zwei besten Freunden unternommen.
Und heute war ich um 3 Uhr morgens aufgewacht, um schleunigst das wichtigste einzupacken und dann zu verschwinden.
Natürlich hatte ich mich von Amelia verabschiedet. Okay, sie hatte zwar geschlafen, aber trotzdem.

Und dann war ich ganz leise aus dem Haus gegangen und nun saß ich hier im Zug.
Meine beste Freundin wusste nichts davon und mein bester Freund sowieso nicht.
Und jetzt fühlte ich mich irgendwie schlecht, mich doch nicht persönlich von ihnen verabschiedet zu haben.
Ich hatte mir nämlich vorgenommen gehabt, eine Nachricht zu schreiben und gleich darauf meine Sim Karte verschwinden zu lassen.

Tränenlos war das ganze natürlich nicht abgelaufen.

Ich wischte über meine Wange, die erneut von Tränen benässt wurde.
Ich saß hier wirklich im Zug. Und es war nicht sicher, wann und ob ich meine Freunde wieder sehen könnte.
Und meine kleine Schwester.
Jetzt fing ich an zu schluchzen.
Verdammt noch mal, ich fühlte mich mehr als schlecht, sie ohne eine große Schwester gelassen zu haben.

Tief atmete ich ein, um mich von weiteren Tränen zu schonen, was nicht viel brachte.
Ein Glück, dass es im Zug nicht voll war und ich ganz hinten saß, wo sowieso niemand war.

Wohin ich ging?
Raus aus San Antonio und weiter nach Houston.
Texas zu verlassen hatte ich nicht vor. So weit weg musste ich ja auch nicht gehen. Das gute war, dass ich bis nach Houston nicht umsteigen musste. Und was ich dann machen musste wusste ich auch nicht.

Ich vermisste jetzt schon die zierlichen Hände meiner Schwester und ihre süße Art.
Qualvoll verzog ich das Gesicht. Ich war wirklich eine schlechte Schwester. Und eine schlechte Freundin war ich auch.
Wie konnte ich denn von einem Tag aufs andere einfach verschwinden und den Kontakt abbrechen? Warum hatte ich das gemacht?

Ich seufzte. Zitternd atmete ich ein.
Ich griff in meine Handtasche, um meine Kopfhörer rauszuholen.
Vielleicht könnte ich mich ja mit der Musik frei von den Gedanken bekommen.
Während ich aus dem Fenster blickte lauschte ich also zu der Musik.

Wann würden meine Eltern merken, dass ich nicht da war? Was würden sie dann machen?
Was würde Amelia machen?
Was würde Bella machen?
Und wie würde Liam reagieren?

●●●
Schon seit zwei Stunden saß ich im Zug und so langsam plagte mich die Übelkeit.
Das gleichmäßige Geräusch vom Zug hatte mich irgendwann dazu gebracht, einzuschlafen. Aber jetzt war ich wieder wach.
Ein Glück, dass das WC nicht weit weg von mir war und falls ich mich übergeben sollte,  hoffte ich einfach dass es zur richtigen Zeit auch leer war

Meine Eltern schliefen wahrscheinlich noch.
Warte, Warum dachte ich immernoch an sie, wenn ich wegen ihnen gerade im Zug saß?!
Schnell wischte ich die unnützen Gedanken weg.

Ich hatte das Gefühl, dass sich die Übelkeit stärkte.
Schnell stand ich auf und lief auf das WC zu, das gott sei dank frei war. Sofort schloss ich ab und schon im nächsten Moment beugte ich mich über die Kloschüssel, um mein Magen zu leeren.

Wirklich lecker!

Ich verzog das Gesicht und drückte auf auf Spülung. Dann wusch ich mir die Hände und mein Gesicht, ehe ich die kleine Kabin verließ.

Ich schnappte mir ein Kaugummi aus der Tasche. Ich hatte immer Kaugummi dabei. Und für solche Fälle war es eben sehr nützlich.

Seufzend setzte ich mich wieder hin und überlegte, wie ich die restlichen zwei Stunden vergeuden könnte.
Ich lehnte mein Kopf an die Scheibe. Die Landschaft war immernoch dieselbe. Kahl und langweilig.

Vielleicht hätte ich doch den Flugzeug nehmen sollen. Dann wäre ich schon lange da.
Toll dass das mir erst jetzt einfiel.

Was würde ich in Houston machen?
Ich hatte ja kein Ort zum bleiben. Und jeden Tag konnte ich auch kein Geld für Hotels ausgeben.
Ich musste mir ein neues Leben aufbauen und versuchen, auf eigenen  Beinen zu stehen.
Das würde nicht leicht werden, das wusste ich jetzt schon.
Aber ich wäre ja nicht diesen Weg gegangen, wenn ich das nicht wollte.

Ich würde es schaffen. Da war ich mir mehr als sicher.
Ich hatte vieles im Leben geschafft und das würde ich auch erledigen können.

●●●
Erfolgreich hatte ich die Zugfahrt hinter mich gebracht. Also ich hatte noch eine halbe Stunde vor mir.
Und irgendwie hatte ich ein flattern im Herz. Ich war sehr aufgeregt und angespannt.
Eine Gänsehaut durchfuhr mein Körper. Ich versuchte mich zu beruhigen.

Bald war ich in Houston. Neue Stadt, neues Leben, neuer Anfang. Ganz klar und deutlich.
Und diesmal konnte mich niemand ruinieren und zerstören.
Ich war auf mich selbst gestellt.

Der Zug stoppte und sofort erhob ich mich von meinem Platz, um schnellstmöglich rausgehen.
Ich war in Houston.

Zusammen mit meinem wenigen Gepäck, das nur aus einem Koffer und meiner Handtasche bestand, lief ich aus dem Gebäude.

Die Sonne prallte hinab und es war jetzt schon heiß, obwohl es knapp vor 10 Uhr war. Tief atmete ich die Luft ein.

Ich sah um mich und überlegte kurz, wohin ich gehen sollte.
Ich entschied mich dazu, erstmal aus diesem Ort wegzukommen.
Also lief ich los und verließ das Bahnhof.
Ich lief an einem Parkhaus vorbei.

Plötzlich ertönte ein Schuss.

Gib mir deine SeeleWhere stories live. Discover now