In Gedanken bei dir

De Ebonydwarf

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Jill Campbell führt das normale Leben einer Sechzehnjährigen: Sie hat eine Familie, die sie liebt. Zwei b... Mai multe

Kapitel 1 - Jill
Kapitel 2 - Jill
Kapitel 3 - Jill
Kapitel 4 - Jill
Kapitel 5 - Jill
Kapitel 6 - Jill
Kapitel 7 - Jill
Kapitel 8 - Jill
Kapitel 9 - Jill
Kapitel 10 - Jill
Kapitel 11 - Jill
Kapitel 12 - Jill
Kapitel 13 - Jill
Kapitel 14 - Unbekannt
Kapitel 15 - Jill
Kapitel 16 - Jill
Kapitel 17 - Jill
Kapitel 18 - Jill
Kapitel 19 - Jill
Kapitel 20 - Jill
Kapitel 21 - Jill
Kapitel 22 - Jill
Kapitel 23 - Jill's Traum
Kapitel 24 - Jill
Kapitel 25 - Jill's Traum
Kapitel 26 - Jill
Kapitel 27 - Jill
Kapitel 28 - Jill
Kapitel 29 - Jill
Kapitel 30 - Jill's Traum
Kapitel 31 - Jill
Kapitel 32 - Jill
Kapitel 33 - Jill
Kapitel 34 - Jill
Kapitel 35 - Jill
Kapitel 36 - Jill
Kapitel 37 - Jill
Kapitel 38 - Jill
Kapitel 39 - Jill
Kapitel 40 - Jill's Traum
Kapitel 41 - Jill
Kapitel 42 - Jill
Kapitel 43 - Jill's Tagebucheinträge
Kapitel 44 - Jill's Tagebucheinträge
Kapitel 45 - Sam
Kapitel 46 - Jill
Kapitel 47 - Jill
Kapitel 48 - Jill
Kapitel 50 - Jill's Traum
Kapitel 51 - Jill
Kapitel 52 - Jills Traum
Kapitel 53 - Jills Tagebucheinträge
Kapitel 54 - Jill
Kapitel 55 - Fynn
Kapitel 56 - Jills Tagebucheinträge
Kapitel 57 - Fynn
Kapitel 58 - Jill
Kapitel 59 - Jill
Kapitel 60 - Jill
Kapitel 61 - Jill
Kapitel 62 - Fynn
Kapitel 63 - Jills Traum
Kapitel 64 - Jill
Kapitel 65 - Jill
Kapitel 66 - Jill
Kapitel 67 - Jill
Kapitel 68 - Jill
Kapitel 69 - Jill
Kapitel 70 - Jill
Kapitel 71 - Sam
Epilog - Jill

Kapitel 49 - Jill

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De Ebonydwarf

Natürlich antwortete Fynn mir nicht mehr. Auch am Freitag meldete er sich kein einziges Mal zu Wort und nach einem komplett stillen Wochenende machte ich mir langsam Sorgen.

Gab es unsere Verbindung denn überhaupt noch? War es möglich, dass er sich komplett von meinem Kopf getrennt hatte? Allein der Gedanke daran ließ in mir jedes Mal aufs Neue die Magensäure aufsteigen.

Ich hatte versucht, mich damit abzufinden, dass Fynn scheinbar seine Zeit brauchte. Doch wofür genau brauchte er Zeit? Vielleicht war bei ihm zu Hause etwas vorgefallen. Vielleicht hatte er Stress.

Aber was wenn nicht? Wieso sollte er nach unserem Gespräch so abweisend sein, wenn er Sam und mich scheinbar als ein ach so tolles Pärchen sah? Sein Verhalten und seine letzten Worte widersprachen sich durch und durch.

Immer wieder ging ich unser Gespräch noch einmal durch und versuchte den Wendepunkt zu finden, an dem alles nur noch bergab gegangen war. Und jedes Mal kam ich wieder zu dem Schluss, dass es die Erzählung von Sams Kuss war, welche Fynn anschließend verändert hatte.

Oder hatte er Angst gehabt, dass ich ihm erzählen würde, dass ich ihn lieber mochte als Sam? Womöglich hätte er mich in diesem Szenario zurückgewiesen und wollte mir und meinem Herzen dies nur ersparen.

Doch nicht nur Fynns Verhalten besorgte mich die ganzen Tage. Sam traute sich nicht mehr, mit mir zu sprechen und ging mir in der Schule stets aus dem Weg. Chrissy beachtete mich kaum noch und  stolzierte jedes mal auf dem Schulgang an mir vorbei, als würden wir einander nicht kennen. Jenna hingegen warf mir nur traurige Blicke zu, traute sich aber auch nicht, mit mir zu reden. Wahrscheinlich wäre Chrissy sonst der Meinung gewesen, dass wir uns beide gegen sie verschworen hätten, was Jenna scheinbar nicht riskieren wollte.

Die Schultage fühlten sich daher trist und einsam ein. Das Stimmengewirr der anderen Schüler nahm ich kaum noch wahr. Es war beinahe so, als würde ich mich in einer Blase durch die Gänge bewegen. Eine Blase, die mich von allem abschirmte und anderen gegenüber unsichtbar machte.

Nach ganzen vier Tagen der Einsamkeit hielt ich es nicht mehr aus. Es musste doch irgendwie möglich sein, das Drama mit allen Beteiligten zu klären und sich zu versöhnen. Und wie meine Mum immer sagte: Kommunikation war stets das Wichtigste.

Voller Tatendrang setzte ich mich im Schneidersitz auf mein Bett und schloss die Augen. Bisher war es immer Fynn gewesen, welcher die Verbindung zwischen uns kontrollieren konnte. Er konnte seine Gedanken gezielt abstellen, was ich bisher nur schwer schaffte. Aus einem mir unerfindlichen Grund konnte ich dann in solchen Situationen nicht zu ihm durchdringen.

Fynn? Wir müssen reden.

Ein paar Sekunden wartete ich, bis ich es ein weiteres mal versuchte. Konzentriert presste ich meine Augen zusammen und dachte einzig und allein an Fynn. Doch so sehr ich es auch versuchte, es klappte nicht. Fynn blieb nach wie vor stumm.

Enttäuscht öffnete ich meine Augen und stand dann von meinem Bett auf. Wenn er sich nicht meldete, musste ich also erst einmal das Schweigen zwischen Sam und mir beenden. Von meinem Versöhnungsplan überzeugt schnappte ich mir meine Jacke und eilte die Treppen hinunter.

„Mum, ich gehe nochmal kurz zu Sam", rief ich ins Wohnzimmer hinein und war schon dabei, meine Schuhe anzuziehen, als Mum verwundert in den Flur kam.

„So spät noch? Ihr seht euch doch morgen in der Schule", erwiderte sie mit besorgtem Blick aus dem Fenster hinaus. Die Sonne war bereits untergegangen und die schwachen Straßenlaternen ließen die Straße beinahe gruselig aussehen.

„Keine Sorge, ich bin auch bald wieder zurück. Wir müssen nur dringend noch etwas besprechen. Und er kann mich bestimmt mit dem Auto wieder sicher nach Hause bringen."

Mein letzter Satz konnte sie geradeso überzeugen. Nickend stimmte sie zu und gab mir zum Abschied noch einen Kuss auf die Stirn.

Kurze Zeit später stand ich schwer atmend vor Sams Haus. Mein Tatendrang hatte mich derart kräftig in die Pedale treten lassen, dass ich nun völlig außer Puste von meinem Fahrrad abstieg und es im Dunklen an der Hauswand anlehnte. Normalerweise hätte ich mich gefürchtet, wenn ich so alleine in der Dunkelheit unterwegs gewesen wäre. Doch die paranoiden Gedanke, welche durch das Schauen unzähliger Horrorfilme entstanden waren, fanden diesmal keinen Platz in meinem Kopf. All die Zeit konnte ich nur daran denken, meine Freundschaften wieder herzustellen und endlich diese bedrückte Stimmung vertreiben zu können.

In meinem Kopf ploppte ein Bild auf, in dem jemand ein Fenster mit kleinen Steinen beschoss, um die Person im Inneren des Hauses möglichst unauffällig auf sich aufmerksam zu machen. Schon in vielen Filmen hatte ich solche Szenen gesehen, weshalb ich kurzer Hand nach einem kleinen Kieselstein vom Boden griff.

Den Arm bereits zum Wurf nach hinten gebeugt kam ich jedoch zur Besinnung. Das hier war die Realität und keine kitschige Liebesschnulze. Am Ende zerstörte ich noch das Glas des Fensters oder traf womöglich etwas völlig anderes. Meine Zielgenauigkeit war schließlich unterirdisch und brachte mir im Sportunterricht immer wieder schlechte Noten ein. Und wenn ich mich recht besann, war das Zimmer hinter dem erleuchteten Fenster über mir nicht einmal Sams, sondern das Schlafzimmer seiner Eltern.

Von meiner rechtzeitigen Besinnung erleichtert tippte ich schnell eine Nachricht an Sam: „Können wir bitte kurz über alles reden? Ich stehe zufällig draußen vor deinem Haus."

Keine Minute später öffnete sich die Haustür und Sam kam zu mir auf den schlecht beleuchteten Fußweg. Trotz Dunkelheit konnte ich ihm seine Nervosität und die Scham nur zu gut ansehen.

„Wollen wir ein kleines Stück laufen?", fragte ich, bevor das Schweigen zwischen uns noch zur Gewohnheit wurde. Zustimmend nickte er und gemeinsam gingen wir nebeneinander die leere Straße entlang.

„Ich ertrage es nicht mehr, mit keinem meiner Freunde reden zu können", begann ich unser Gespräch. „Ich fühle mich einsam. Chrissy und Jenna reden nicht mehr mit mir. Du gehst mir aus dem Weg. Und Fy..."

Ich stoppte meinen Satz, da mir erst jetzt bewusst wurde, dass Sam noch nichts von Fynn wusste. In den letzten Wochen hatte ich es nie für nötig gehalten beziehungsweise keinen passenden Moment gefunden, um ihm von der Stimme in meinem Kopf zu erzählen.

Die letzten Minuten hatte Sam nur peinlich berührt auf seine Schuhe gestarrt, doch nun schaute er abrupt zu mir auf.

„Wieso reden sie nicht mehr mit dir?", fragte er mich entsetzt.

„Deinetwegen", brachte ich kleinlaut heraus. „Chrissy ist sauer wegen des Ku ... Kusses."

Nun waren wir also direkt bei dem Hauptproblem der momentanen Situation angekommen. Dem Ursprungsort des ganzen Dramas.

„Das tut mir leid. Das ist alles meine Schuld", sagte Sam bestürzt.

„Nein, überhaupt nicht. Also na ja, schon irgendwie. Aber du kannst doch nichts dafür, Sam. Chrissy hätte von Anfang an einsehen sollen, dass du nur ein Freund für sie bist. Und selbst das kann man ihr nicht wirklich übel nehmen. Gefühle kann man nunmal nicht einfach so verdrängen."

Der letzte Satz ließ Sam leicht auflachen, als wüsste er ganz genau, wovon ich redete.

„Jill, es tut mir wirklich leid. Ich wollte dich und deine Freundinnen nicht auseinander bringen. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Mein Kopf hatte sich diese schöne Vorstellung von uns beiden ausgemalt. Doch hatte ich wohl nicht daran gedacht, dass immer zwei Personen dazu gehören. Womöglich hätte ich erst einmal mit dir reden und dir nicht gleich einen Kuss aufzwingen sollen."

Verständnisvoll legte ich ihm sachte meine Hand auf die Schulter.

„Hey, mach dir keine Vorwürfe, okay? Irgendwann müssen die ganzen angestauten Gefühle einfach raus", erklärte ich ihm lächelnd.

„Jill, mein Kopf stellt sich andauernd diese kleine blöde Frage, auch wenn die Antwort eigentlich auf der Hand liegt", fing er zögerlich an und wirkte nun noch nervöser als zuvor. „Du fühlst nichts für mich, oder?"

Mein Herz rutschte kurz ein Stückchen nach unten und bereits jetzt tat es mir in der Seele weh, ihm ehrlich zu antworten und seine Hoffnungen kaputt zu machen.

„Nicht so wie du für mich", antwortete ich und fühlte mich absolut schlecht dabei. Es fühlte sich an, als hätte ich seine Hoffnungen wie eine kleine Heidelbeere mit dem Schuh zertreten.

„Ich mag dich wirklich sehr. Ich schätze dich und unsere Freundschaft. Und in den letzten Tagen war ich mir ehrlich gesagt auch nicht ganz sicher, ob da Gefühle für dich sind oder nicht. Und unter anderen Umständen wären da vielleicht sogar wirklich welche. Doch ich ... ich glaube, ich mag jemand anderes", erzählte ich ihm wahrheitsgemäß und fügte noch schnell hinzu: „Jedoch wird mit ihm sowieso nie eine Beziehung entstehen."

Sams Ausdruck wandelte sich in einen fragenden Blick um. „Jemand anderes?" Ich verstand seine Verwirrung. Wahrscheinlich hatte er niemals damit gerechnet, dass ich eine andere Person mochte. Wie auch, er kannte Fynn nicht und auch sonst hatte ich nie von anderen Freunden außerhalb der Schule erzählt.

„Wer ist es?", fragte er sanft und wirkte dabei kein bisschen eifersüchtig, sondern nur besorgt um mich und meine Gefühle.

„Mister Anderson", antwortete ich und blickte nun dem erschrockensten Gesicht der Weltgeschichte entgegen. Vor sich hin stotternd blickte er mich an und man konnte seine unzähligen und in rasanten Geschwindigkeiten umherschwirrenden Gedanken beinahe um seinen Kopf herum fliegen sehen.

„Das war ein Witz", klärte ich die Situation lachend auf und brachte Sam mit dieser Aussage zum erleichterten Ausatmen.

„Man Jill, ich dachte schon, du wärst nun völlig verrückt geworden", gab er ebenfalls glucksend von sich. Und endlich hatte ich das Gefühl, dass die peinliche Barriere zwischen uns zu Fall gebracht worden war. Mein schlechter Scherz hatte das Eis schmelzen lassen und Sam wieder etwas entspannter werden lassen.

„Jetzt aber wirklich, wer ist es?", fragte er lächelnd, während wir uns nebeneinander auf den Bordstein setzten.

„Deine Beschreibung von eben trifft es schon ganz gut. Es ist verrückt. Und ich hoffe, dass du mir glauben kannst."

„Jill, ich könnte dich niemals für verrückt halten." Liebevoll blickte er mich an und streckte seine Hand nach meiner Wange aus. Doch besann er sich noch rechtzeitig und zog sie hastig wieder zurück.

„Okay, aber bitte lache nicht, ja?", stellte ich noch einmal klar, bevor ich mit meiner Erzählung begann. Das Licht der nächsten Straßenlaterne traf auf Sams Lächeln, welches er mir nickend schenkte.

„Er heißt Fynn und so seltsam es auch klingen mag, aber ich höre ihn in meinem Kopf."
Pure Verwunderung spiegelte sich in Sams Gesicht wieder. Doch wirkte er nicht so, als würde er mir nicht glauben. Viel mehr war es reine Neugier, die seinem Blick entsprang.

„Er ist nicht eingebildet. Seine Stimme ist nicht nur in meinem Kopf. Er existiert wirklich und auf irgendeine seltsame magische, schicksalshafte und absolut absurde Weise können wir die Gedanken des jeweils anderen hören. Ich weiß, es klingt einfach unvorstellbar. Aber er existiert."

Mit großen Augen blickte ich Sam strahlend entgegen. Doch im nächsten Moment dachte ich an unsere aktuelle Funkstille und mein Lächeln erstarb augenblicklich.

„Seit wann hörst du ihn schon? Und wie ist er?", fragte Sam, ohne auch nur eine Sekunde an meinen Worten zu zweifeln.

„Schon viele Wochen. Anfangs hatte ich Angst vor ihm, da ich tatsächlich dachte, ich wäre verrückt geworden. Doch mit der Zeit gewöhnte ich mich an ihn und er bewies seine Existenz, indem er mir Dinge erzählte, die ich niemals alleine gewusst haben hätte können." Und etwas kleinlaut fügte ich noch hinzu: „Er hat mir sogar in der Schule während der Biologie Klausur geholfen."

Lachend schüttelte Sam neben mir den Kopf.
„Und ich habe mich schon gefragt, wie du so gut sein konntest", antwortete er, woraufhin ich ihm einen leichten Knuff gegen die Schulter gab.

„Ey, willst du mir damit indirekt sagen, dass ich schlecht in Biologie bin?", fragte ich lachend.

„Nein, das würde ich mich doch niemals trauen", antwortete er mir mit einem Hauch von Ironie.

„Und deine Frage, wie Fynn so ist, ist leider unheimlich schwer zu beantworten", fuhr ich anschließend wieder ernst fort.

„Er versteht mich, da er wortwörtlich meine Gedanken kennt. Mit ihm kann ich lachen. Er kann mich in den richtigen Momenten auffangen, wenn ich nicht allein sein möchte. Auf der anderen Seite kann er unglaublich verschlossen sein und sein persönliches Leben beschützen wie ein Drache seinen Goldschatz. Ich weiß, dass er Fynn heißt und in Kanada wohnt. Doch ansonsten kenne ich weder seinen Nachnamen, noch sein Aussehen, sein Alter oder sein alltägliches Leben. All dies ist ein riesiges Mysterium, das er mit sich herum trägt, ohne es je preiszugeben. Und dann kommen da noch unsere Träume hinzu. Wenn wir beide schlafen, können wir uns durch die Verbindung unserer Gedanken in unseren Träumen treffen und diese steuern. Manchmal kann ich gar nicht richtig sagen, ob unsere Verbindung nun Fluch oder Segen ist. Kurz gesagt, es ist einfach kompliziert."

Mit gesenktem Blick ließ ich meine Schultern hängen und starrte vor mich auf die kleinen Kieselsteine, welche ich abwesend mit meinem Zeigefinger auf die Straße schnipste.

„Er wird mit Sicherheit seine Gründe haben, weswegen er nicht mehr von sich preisgibt", versuchte Sam mir etwas Mut zu schenken. Nicht wirklich überzeugt von seiner Aussage zuckte ich mit meinen Schultern.

„Aber was denn für Gründe?", fragte ich hoffnungslos. „Vielleicht sitzt er ja im Gefängnis oder ist irgendein achtzigjähriger Opi, der mit mir gerade das Abenteuer seines Lebens erlebt", zählte ich die schlimmsten Ideen auf, welche mir andauernd durch den Kopf spukten.

„Oder er ist einfach schüchtern und zurückhaltend? Vielleicht liegt er im Krankenhaus oder wurde durch einen Unfall äußerlich entstellt. Mensch Jill, es gibt tausende Möglichkeiten. Auch wenn die meisten davon ziemlich unrealistisch sind. Ich denke, du solltest einfach weiter mit ihm reden, ihm Zeit geben. Irgendwann wird er schon mit der Sprache rausrücken. Und wenn nicht, dann suche ich jeden einzelnen Fynn in Kanada durch, um ihn für dich zu finden."

Sams letzter Vorschlag brachte mich zum Auflachen und ließ meine getrübte Stimmung etwas schwinden.

„Das würdest du für mich tun?", fragte ich ihn kichernd.

„Natürlich. Schon vergessen? Ich bin doch dein Schutzengel. Und in der Anleitung für einen guten Schutzengel steht an oberster Stelle, dass die zu beschützende Person stets glücklich sein muss", erklärte er mir wichtigtuerisch, als würde es wirklich eine derartige Anleitung geben.

„Na wenn du das sagst", erwiderte ich kopfschüttelnd und mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Auf einmal zog Sam mich zu sich hinüber und drückte meinen Kopf bestimmt und dennoch sanft an seine Brust.

„Ich meine das ernst, Jill", hörte ich ihn gedämpft in meine Haare flüstern. „Ich will nur, dass du glücklich bist." Einen kurzen Moment hielten wir so inne, bis Sam mich wieder freigab. Gerührt von seinen liebevollen Gesten und Worten, welche er mir jedes mal aufs Neue schenkte, strich ich mir verlegen eine Haarsträhne hinters Ohr.

„Nun erzähl, weshalb gehst du davon aus, dass da niemals eine Beziehung zwischen euch entstehen könnte?"

„Bist du sicher, dass ich davon erzählen soll? Ich meine, was ist mit dir und deinen Gefühlen? Verkraftest du das?", fragte ich besorgt, da ich ihn keinesfalls weiter verletzen wollte.

„Natürlich. In jeder guten Liebeskomödie gibt es doch den netten besten Freund, der damit klar kommen muss, dass er das Mädchen am Ende nicht bekommt.  Und das heißt schließlich nicht, dass ich nie mein Glück finden werde. Jetzt ist einfach noch nicht der richtige Zeitpunkt für mich gekommen. Im Moment bin ich liebend gern nur die Nebenfigur, welche dir zu deiner großen Liebe verhilft", erklärte er lächelnd.

Doch hatte ich das Gefühl, unter der Fassade einen traurigen Ausdruck zu erkennen. Mir war klar, dass er seine Gefühle für mich nicht von jetzt auf gleich abstellen konnte und es sich wohl eher um einen langsamen und schleichenden Prozess der Akzeptanz handeln würde.

„Nun gut. Ich kann Fynn einfach unfassbar schwer einschätzen. Manchmal sagt er Dinge zu mir oder verhält sich auf eine bestimmte Art und Weise, die einem das Gefühl gibt, dass er verliebt in mich ist. Doch dann ist er wieder so abweisend und sagt mir, dass du und ich ein perfektes Pärchen abgeben würden. Er hat sogar versucht, mir einzureden, dass ich Gefühle für dich habe. Seine Worte und sein Handeln widersprechen sich andauernd und lassen mich an meiner Menschenkenntnis zweifeln. Ich verstehe ihn einfach nicht und weiß bei ihm nicht, woran ich bin. Und außerdem halten sich meine Gefühle für ihn eh noch in Grenzen. Ich sollte also gut und schnell darüber hinweg kommen."

Der letzte Satz hörte sich selbst für mich dermaßen falsch und gelogen an, dass ich ihn am liebsten wieder zurückgenommen hätte.

„Jill, ich denke, dir ist genauso klar wie mir, dass deine Gefühle für ihn nicht nur kurzweilig sind und sich nach einer Nacht nicht einfach in Luft aufgelöst haben. Wieso bestreitest du es? Sei bitte ehrlich zu dir selber, sonst bereitet dir das Lügengespinst nur noch mehr Herzschmerz."

Sams Worte brachten mich dazu, einmal schwer zu schlucken. Er hatte vollkommen Recht. Ich konnte nicht länger leugnen, dass ich verliebt war. Als hätte sich der dichte Nebel in meinem Kopf plötzlich gelichtet, konnte ich mir selbst eingestehen, dass ich mich wahnsinnig von Fynn angezogen fühlte. Und dieses Gefühl würde nicht einfach so verschwinden, wenn ich es ignorierte und in meinem Kopf einsperrte.

„Ich habe Angst", lieferte ich Sam flüsternd den Grund für meine innere Zerrissenheit. „Ich möchte nicht verletzt werden, habe Angst, dass er mich zurückweist und sich unsere schöne Verbindung somit in eine peinliche Erinnerung umwandelt. Und hinzu kommt die Angst, einem fremden Menschen absolutes Vertrauen zu schenken, obwohl ich ihn nicht einmal richtig kenne."

Beruhigend legte Sam seine Hand auf meine, welche dadurch endlich aufhörte, nervös zu zittern.

„Bei jedem Geständnis gibt es das Risiko der Zurückweisung. Aber auf der anderen Seite besteht die Chance, geliebt zu werden und allein das sollte doch Grund genug sein, das Risiko einzugehen und sich der Sache zu stellen. Und ist Gewissheit nicht besser als die ständige Gedankenmacherei und die Frage was wäre wenn? Jill, ich weiß, ich kann das nicht für dich entscheiden. Aber du solltest wirklich mit ihm reden, deine Gefühle gestehen und all deine Gedanken preisgeben. Und wenn ich mich nicht täusche, dann ist er einfach nur eifersüchtig, weil ich hier an deiner Seite sein kann und er nicht. Nur weil er dir sagt, dass wir beide ein gutes Paar abgeben würde, heißt das noch lange nicht, dass er es auch genauso meint. Meiner Meinung nach kamen diese Worte nicht aus seinem Herzen. Stattdessen hat er seinen Kopf sprechen lassen."

Sams Worte sorgten dafür, dass sich meine Augen auf der Stelle mit Tränen füllten. Er hatte mit jedem einzelnen Satz Recht und doch konnte ich nicht verstehen, wie sein Herz es nur aushalten konnte, mir diese Ratschläge zu geben. Es beeindruckte mich, wie selbstlos er war und sich kein bisschen um sein gebrochenes Herz, sondern nur um mich und meine Gefühle kümmerte.

Dankbar für seine Unterstützung und seine Freundschaft umarmte ich ihn stürmisch und drückte ihn mehrere Sekunden fest an mich.

„Danke", brachte ich schniefend hervor und löste mich dann wieder verlegen von ihm. „Du hast vollkommen Recht. Ich sollte mit ihm sprechen."

Eine Welle der Energie durchströmte mich und ließ mich regelrecht vom Bordstein aufspringen.

„Ich sollte jetzt nach Hause und es direkt hinter mich bringen", sagte ich aufgeregt, was Sam mit einem Nicken bestätigte.

„Ich fahre dich noch schnell zurück", sagte er und stand ebenfalls auf. Die Rückfahrt fühlte sich wie Stunden für mich an, sodass ich ungeduldig auf dem Beifahrersitz saß und nicht aufhören konnte, mit meinen Beinen herumzuzappeln.

Sam hatte das Auto vor meinem Haus noch nicht einmal richtig zum Stehen gebracht, da war ich schon abgeschnallt und umarmte Sam kurz zum Abschied.

„Vielen Dank für deine Worte. Wir sehen uns dann morgen", sagte ich hastig und hüpfte im nächsten Atemzug aus dem Auto. Sams trauriges Lächeln, mit welchem er mir nachblickte, bemerkte ich in all der Eile nicht mehr.

Als wäre ich ein kleines Kind, das schnell seine Weihnachtsgeschenke öffnen wollte, rannte ich geradezu zur Haustür und stürmte anschließend in mein Zimmer hinauf. Ohne mir vorher einen Schlafanzug anzuziehen, warf ich mich augenblicklich aufs Bett, presste meine Augen aufeinander und versuchte meinem Körper zu sagen, dass er nun schnell einschlafen sollte.

Fynn, ich komme.

Mit einem Lächeln im Gesicht schlief ich kurze Zeit später tatsächlich ein.

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