37. Ein perfekter Tag - Phillip

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Als ich nach einer weiteren unruhigen Nacht wach wurde, fühlte ich mich nicht wirklich besser. Immer noch nagten die Zweifel an mir.
Elias vertraute mir.
Aber war ich das überhaupt wert?
Er hatte mir soviel anvertraut, aber was wusste er schon über mich?
Wenn er mich kennen würde, wirklich kennen, würde er mich dann noch wollen?

Wenn er wüsste, wie verängstigt ich in Wirklichkeit war.
Wie unerfahren.
Wie schwach.
Wie kaputt.
Würde er dann noch mit mir zusammen sein wollen?
Ich lag in meinem großen Bett und grübelte bis meine Mutter irgendwann rief, dass ich zum Frühstück kommen solle, wenn ich noch was abhaben wollte.
Seufzend stieg ich aus dem Bett und ging runter, nach einem kurzen Besuch im Bad.
Das Frühstück war wie immer angespannt. Paps wusste noch nichts von der schlechten Note in Geschichte, und ich hatte nicht vor, irgendetwas daran zu ändern.
Meine Eltern, das wurde mir klar, wussten sehr vieles nicht.
Sie wissen nichts von Elias.
Ich fragte mich, wie sie reagieren würden?
Würde Paps aufhören mit mir zu reden? Nicht, dass wir jetzt viel reden würden…
Und würde Mama weinen? Sie würde sich ganz bestimmt Sorgen machen. Und ich hatte schon genug eigene Sorgen.
Das Ping meines Handys riss mich aus meinen Gedanken. Paps warf mir einen missbilligenden Blick zu, sagte aber nichts, als ich es rausholte.
Elias.
Unvermittelt wurde ich etwas nervös.
‚Lern heut mit den Mädels bei mir, magst vorbeikommen 😊?‘
Oh.
War das überhaupt eine gute Idee? Ich war mir nicht sicher, dass ich etwas lernen konnte, wenn Elias neben mir saß.
Andrerseits waren ja die Zwillinge da. Es war immer noch seltsam, in zwei identische Gesichter zu gucken, aber die beiden waren so unterschiedlich, dass machte es weniger gruselig.
Und Bana war eigentlich ganz nett.
Vor allem aber könnte ich Elias wieder sehen.
„Ähm, ein paar Leute aus meiner Klasse treffen sich zum Lernen.“ , sagte ich leise.
Zwei überraschte Gesichter wandten sich mir zu.
„Oh.“ Meine Mutter blinzelte.
„Nur zum Lernen?“ , fragte mein Vater gleichzeitig mit zusammengezogenen Augenbrauen.
„Lars, lass ihn.“ , sagte meine Mutter, während sie eine Hand auf Papas Arm legte.
„Nun gut.“ Mehr sagte er nicht.
Mein Herz raste.
Wenn sie wüssten…
Ich unterdrückte mein Grinsen bis ich aus der Küche war, dann raste ich in mein Zimmer.
Aber kaum allein, fing ich wieder an nachzudenken.
Wenn Elias wüsste…
Warum konnte ich nicht mutiger sein?
Oder stärker?
Ehrlich, ich bewunderte Elias. Ich glaubte nicht, dass ich so etwas wie er überstehen konnte. Und es hatte mich echt überrascht, dass er befürchtete, ich würde schlechter von ihm denken.
Ich verdrängte die Gedanken, als ich sah, dass der nächste Bus in kaum einer halben Stunde kam. Also packte schnell meine Schulsachen zusammen, machte mich fertig und rannte zur Haltestelle.
Vorfreude machte sich in mir breit, während der Zweifel weiter in mir brodelte.
Ich lief zu Elias Wohnung, kaum dass ich aus dem Bus war. Und ich nahm zwei Stufen auf einmal.
Elias wartete lässig an den Türrahmen gelehnt und strahlte mich an. Und allein sein Anblick genügte, um meine Laune zu heben.
Sobald ich nah genug dran war, riss er mich an sich, so heftig, dass unsere Lippen schmerzhaft zusammenstießen. Sofort ließ er wieder los, doch mein Gesicht brannte bereits.
„Autsch.“ , rutschte es mir raus.
Elias Wangen nahmen einen ungewöhnlich rosigen Teint an.
„Entschuldige. Ich hab dich halt vermisst.“
Ist er grad rot geworden?
Mein Hirn versuchte noch das zu verarbeiten, als ich plötzlich wieder durch die Wohnung der Müllers gezogen wurde. Das wurde langsam zur Gewohnheit.
Ich sah mich verstohlen um.
Sein kleines Zimmer war voll. Am Schreibtisch saß Dari, vor sich dutzende Blätter verteilt, und bemerkte mich nicht mal, was mich tatsächlich etwas erleichterte.
Auf dem Boden waren vier kleine Kissen in einem Halbkreis vor dem Bett verteilt, die rechten zwei von Bana und einem schlaksigen Lockenkopf belegt. Überall lagen Notizen und Bücher herum, sogar auf dem Bett.
Aber als die beiden meine Anwesenheit bemerkten, senkte ich den Blick.
„Hallo.“ , sagte Bana freundlich. „Das ist Tommy, mein Freund.“
Ich konnte ein „Hi.“ hören.
Irgendwie fühlte ich mich fehl am Platz, aber ich wollte meinen Freund nicht enttäuschen. Unwillkürlich klammerte ich mich fester an seine Hand, und als er den Druck erwiderte, wich meine Anspannung etwas.
„H-hallo.“ , brachte ich raus und wäre mich am liebsten im Boden versunken.
Aber Elias zerrte mich gleich weiter, breit grinsend, und schubste mich sanft auf das Kissen neben Bana, dann ließ er sich auf meiner anderen Seite nieder.
Mit einem schelmischen Grinsen hielt er das Geschichtsbuch in den Händen.
Meint er das ernst?
Immer noch grinsend zuckte er die Achseln und sagte:
„Wir sind zum Lernen hier.“
„Ich mag Geschichte nicht.“, antwortete ich.
Elias ließ sich nicht beirren.
„Komm schon. Vielleicht kann ich helfen?“
Er meint es ernst, oder?
Sein Enthusiasmus war irgendwie süß, also gab ich mich geschlagen. Er fragte, was wir gerade durchnahmen, und schlug das Buch auf. Während wir gemeinsam das Kapitel lasen, rückte er näher, so dass sein Oberschenkel gegen meinen drückte. Von dieser Stelle aus breitete sich langsam Wärme in meinem ganzen Körper aus, und es machte das Lernen nicht einfacher. Aber gleichzeitige war es genau diese Wärme, die direkt von Elias kam, die die Nervosität vertrieb. Mein Puls war immer noch zu schnell, aber ich fing an, mich wohler zu fühlen.
Ab und zu stellte jemand eine Frage, die sofort beantwortet wurde, aber zuweilen zu längeren Gesprächen führte. Ich sprach nicht viel, aber niemand schien sich daran zu stören. Und Elias grinste mich die ganze Zeit an, was noch mehr Wärme produzierte.
Ich schwebte auf einer Wolke aus Wärme.
Ein schriller Schrei brachte mich schlagartig auf den Boden zurück.
Dari schaute mich mit großen Augen an.
Ich versuchte verzweifelt, mein Herz daran zu hindern aus meiner Brust zu springen.
„Scheiße, Phil, seit wann bist du denn hier?!“
Für einem Moment rührte sich keiner.
Dann sagte Tommy „Alter!“ und fing an zu lachen. Neben mir kicherte Bana, und als Dari auch anfing zu lachen, konnte selbst ich nicht anders. Mit einem Mal löste sich die restliche Anspannung in mir.
Nur kurz wurde ich wieder unruhig, als Elias Mutter mit Pizza und Zitronenlimo kam, aber beim Essen verging das wieder.
Der Nachmittag verflog viel zu schnell, aber ich hatte tatsächlich das Gefühl, Geschichte besser zu verstehen. Elias hatte eine ruhige Art, die Dinge zu erklären, vor allem all die Zusammenhänge, die ich irgendwie im Unterricht verpasst hatte.
Er brachte mich zur Tür, als ich gehen musste. Am liebsten wäre ich länger geblieben, aber ich wollte mir Ärger mit meinen Eltern ersparen.
„Ich werd dich vermissen.“ , sagte Elias leise, als ich mich angezogen hatte. Dann legte er seine warmen Hände an meine Wangen und zog mich an sich. Unsere Lippen trafen sich, und sofort wurde der aus der Wärme Hitze. Seine Zunge drängte sich in meinen Mund und mir wurde flau.
Ich fühlte mich, als wäre ich in Flammen aufgegangen.
Genauso abrupt, wie der Kuss begann, endete er auch.
Elias grinste mich an, während ich noch um Fassung rang.
„Ich werd dich auch vermissen.“ , flüsterte ich.
Noch einmal legte er seine Hand an meine Wange, dann öffnete er die Tür.
Zögernd verließ ich die Wohnung und Elias schaute mir nach. Selbst als ich unten ankam und die Haustür öffnete, hatte ich noch nicht das Zuschlagen der Wohnungstür gehört.
Dieses kleine Detail verhinderte, dass die Wärme in mir ganz verschwand. Stattdessen fühlte ich mich seltsam wohl bei dem Gedanken, dass er nicht die Tür hinter mir zumachen wollte.
Das trug mich durch den Abend.
Aber allein in meinem Zimmer fing die Wärme an zu schwinden. Ich fing wieder an, mir Gedanken zu machen, doch eine kurze Nachricht von Elias genügte, um mich da rauszureißen.
‚Ich habs gewusst, ich vermisse dich😢. Kanns kaum erwarten, dich morgen zu sehen❤.‘
Das wohlig-warme Gefühl kehrte zurück.
‚Vermiss dich auch.❤‘
‚❤❤❤‘
Als ich das sah, fing ich an zu lächeln.
Diese Nacht schlief ich gut.


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Sind die beiden nicht herzallerliebst?
Nun, wird Zeit für ein bischen Drama.

Bye
DaGi

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⏰ Last updated: Nov 19, 2020 ⏰

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Elias und PhillipWhere stories live. Discover now