Step 1 - Writing a List

41 4 2
                                    


Schreibe eine Liste mit Dingen, die du tun willst, bevor du *hier beliebiges Lebensereignis eintragen* und setze diese Dinge um!

Ich war gerade babysitten, als mir die Idee kam. Marco, der kleine Junge, auf den ich aufpasste, hatte sich vor etwa einer Stunde nach langem, tapferem Kampf endlich dem Schlaf ergeben. Ich hatte ihn hoch in sein Zimmer getragen, noch kurz dabei zugesehen, wie er beim Atmen eine seiner kleinen Löckchen immer wieder aus dem Gesicht pustete, und mich dann mit einem wohligen Gefühl auf die Couch zurückgezogen.

Im Fernsehen lief ein Teeniefilm, den ich schon zigmal gesehen hatte. Einer dieser Filme voller Cheerleader, Jocks, Nerds und Geeks. Voller Klischees. Voller Erfahrungen, die angeblich zum Teenieleben dazugehörten. Erfahrungen, die ich noch nicht gemacht hatte, obwohl meine Schulzeit bereits in etwas mehr als einem Jahr vorbei sein würde. Meine Gedanken begannen zu rasen, während ich der schüchternen Protagonistin dabei zusah, wie sie sich durch neue Kleider vom hässlichen Entlein in einen wunderschönen Schwan verwandelte. Auch wenn ich mit mir ganz zufrieden war und deshalb auf ein Makeover gut verzichten könnte, so hatte ich trotzdem das plötzliche Bedürfnis, ebenfalls in eine neue Rolle zu schlüpfen. Etwas zu tun, was ich nie zuvor getan hatte. Wenn ich daran dachte, wie vernünftig ich mich immer verhielt und wie bemüht ich war, alle Menschen um mich herum glücklich zu machen, hätte ich am liebsten vor Wut geheult. War die Pubertät nicht genau für das Gegenteil gemacht? Es musste sich etwas ändern! Jetzt. Sofort.

Wie von selbst wanderten meine Hände zu meiner Tasche und wühlten darin nach einem Stift. Als ich einen Kuli hervorgekramt hatte, zog ich meine Serviette näher zu mir heran und begann mit der Liste, die zur Basis meines Projektes werden würde. Darauf standen Dinge wie: ›Ein Kuss im Regen‹, ›Eine Party schmeißen‹, ›Sich Nachsitzen einhandeln‹ ... Die Liste wurde lang. Länger als ich gedacht hatte. Und mir wurde schnell klar, dass es unmöglich sein würde, das alles innerhalb von einem Jahr zu erleben.

Stirnrunzelnd blickte ich auf meine Serviette hinab, während im Fernsehen bereits ein zweiter Film begonnen hatte, dieses Mal einer mit explodierenden Autos.

»Also auf die Erfahrung kann ich verzichten«, murmelte ich, als der Held gerade angeschossen auf die Knie sank, während er sich trotzdem weiter gegen seine Angreifer verteidigen musste. Wieder glitt mein Blick hinab auf meine Liste und meine Gedanken wanderten einen Moment lang zurück zu der kalten Frühlingsnacht im Mai vor knapp zwei Jahren. Es war, als könnte ich das Piepen der Maschinen im Krankenhaus hören, als hätte es sich in mein Hirn gebrannt und mir so seinen Stempel aufgedrückt. Ich schloss die Augen und lehnte mich seufzend auf der Couch zurück. Das was damals geschehen war, hatte mich irgendwie so sehr geprägt, dass es mich auch heute noch ausbremste. Dabei war das Leben voller Chancen. Ich musste bloß beginnen sie zu nutzen, egal wie schwer es sein würde.

Tock, Tock.

Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer und ich richtete mich kerzengerade auf, während ich die Ohren spitzte, falls sich das Geräusch wiederholen sollte. Es hatte geklungen, als hätte da jemand gegen die Scheibe draußen geklopft. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte im stockdusteren Garten etwas zu erkennen, aber ... nichts. Einen Moment lang überlegte ich, das Geräusch einfach zu vergessen und mich wieder dem Fernseher zuzuwenden, aber dann fiel mein Blick auf die Liste. Zwar gab es dort keinen Punkt, der ›Stelle dich einem gefährlichen Angreifer und gehe dabei fast drauf‹ lautete, aber trotzdem durchströmte mich beim Anblick der vollgekritzelten Serviette das Bedürfnis, etwas zu unternehmen.

Leise erhob ich mich, um den potentiellen Einbrecher nicht zu verscheuchen – obwohl das sicher die intelligentere Methode gewesen wäre. Die Tür des Schlafzimmers der Eltern war nur angelehnt und so griff ich vorsichtig um die Ecke nach dem Baseballschläger, den Marcos Vater Erik für Notfälle hier aufbewahrte. Als er mir bei meiner Einstellung davon erzählt hatte, hatte ich mich gefragt, was für ein Mensch ständig einen Baseballschläger parat haben wollte, aber nun war ich sehr dankbar dafür. Leise schlich ich zur Verandatür und atmete tief durch. Fest davon überzeugt, den Verstand verloren zu haben, stieß ich die Tür auf. Den Baseballschläger zum Schlag erhoben, blieb ich auf der Schwelle stehen und blickte hinaus in die Nacht. Der Mond versteckte sich heute hinter dicken, dunklen Wolken, so dass mir nur das Licht blieb, das aus dem Wohnzimmerfenster in den Garten fiel. Für einen Moment glaubte ich hinter der kleinen Rutsche einen Schatten in der Dunkelheit zu erkennen, aber meine Augen konnten mir auch einen Streich gespielt haben.

»Ist da jemand?« Ich versuchte dabei einen Tonfall à la »Yo, Einbrecher, ich dachte, ich check mal die Lage. Wie läuft's denn so?« zustande zu bringen. Leider wurde daraus eher ein »Oh mein Gott, ich werde STERBEN«. Um genau zu sein, klang ich wie eines dieser jungen Mädchen aus Horrorfilmen, die dumm genug waren, die Tür zu öffnen und zu schauen, ob das Geräusch dahinter tatsächlich von einem ... Moment mal, ich hatte ein paar Teenie-Erfahrungen machen wollen, aber ganz sicher wollte ich nicht mit einer riesigen Kettensäge entzweigeschnitten werden!

»Okay, also falls du ein Einbrecher bist, könntest du dann vielleicht nochmal wiederkommen, wenn ich gerade nicht babysitte? Dankeschön.«

Einen Moment lang glaubte ich ein leises Lachen zu hören. Die Vorstellung ließ eine Gänsehaut meine Arme hinaufkriechen. Hastig flüchtete ich mich wieder ins Innere, sperrte die Tür ab und ließ zur Sicherheit direkt noch die Rollläden herunterfahren. So musste ich nicht mehr hinaus in die dunkle Nacht schauen, in der es plötzlich von Schattenwesen, die an den Scheiben entlangglitten, nur so zu wimmeln schien.

Als die Fenster und die Tür endlich gesichert waren, atmete ich tief durch und ließ meine Stirn gegen die Wand sinken. Ich wurde paranoid. Das war die einzige Erklärung. Hier war niemand, der mich angreifen würde. Ich war vollkommen allei-

»Was machst du da?«

Fast wäre ich an einem Herzinfarkt gestorben. Mit einem panischen Quietschen fuhr ich herum und konnte mich erst wieder beruhigen, als ich erkannte, wen ich da vor mir hatte. Der kleine Marco sah mit großen Augen zu mir auf. Für seine fünf Jahre hatte er einen bereits ziemlich ernsten Blick aufgelegt, die Lippen fast schon missbilligend zusammengepresst.

»Warum hast du die Rollos runtergemacht?«

»Ich ...« Nervös begann ich meine Hände zu kneten. »Es war dunkel draußen und naja, da dachte ich, ich lasse sie herunter. Kein Grund zur Sorge.« Ich lächelte, kniete mich zu ihm herunter und strich seinen Pyjama glatt. »Alles ist in Ordnung.«

»Es ist gar nicht in Ordnung«, meinte Marco mit vorgeschobener Lippe, begann dann aber zu gähnen. Dabei entblößte er kleine weiße Zähnchen.

»Doch, ist es. Wollen wir wetten?«, fragte ich neckisch. Marco schüttelte hastig den Kopf. Er hatte in dem halben Jahr, in dem ich regelmäßig auf ihn aufpasste, wenn seine Eltern ausgingen, bereits gelernt, dass es keine gute Idee war, mit mir zu wetten.

Ich schlang die Arme um seinen kleinen Körper, nahm ihn huckepack und trug ihn wieder die Treppe hinauf in sein Zimmer. Marco kicherte, als ich ihn auf dem Bett ablegte. Die Decke zog ich ihm bis zu seiner Brust hoch und strich ihm dann das braune Haar aus der Stirn. Die Farbe hatte er von seinem Vater, denn die Haare seiner Mutter waren fast so hell wie meine.

»Kannst du die Rollos wieder hochmachen?«, fragte er, während seine Lider bereits zufielen. »Sonst kommt er nicht.«

Ich war gerade dabei das Licht auszumachen und hielt in der Bewegung inne. »Wer kommt nicht?«, flüsterte ich leise und kam mir schon wieder vor wie in einem Horrorfilm.

Marcos Atemzüge waren währenddessen bereits gleichmäßiger geworden und ich beschloss, dass es unfair wäre, ihn schon wieder zu wecken. Mein Blick glitt hinüber zum Fenster, das einen Spalt breit offen stand. Als ich in den Garten hinabspähte, glaubte ich erneut zu sehen, wie sich unten etwas bewegte, aber kurz darauf schüttelte ich bloß den Kopf. Da war nichts. Ich bildete mir das bloß ein. Und überhaupt: Ich hatte ein ganzes Teenieleben nachzuholen, da blieb keine Zeit, um in fremden Gärten einem Geist nachzujagen ...

Living the Dream. Liebe kennt keinen PlanWhere stories live. Discover now