1. Aufbruch

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Ich lehne gemütlich am Geländer und genieße den Ausblick. Dresden bei Nacht ist atemberaubend, vor allem in lauen Sommernächten wie dieser. Meine Position, hoch oben auf dem Hausmannsturm des Residenzschlosses, ermöglicht es mir, alle Sehenswürdigkeiten zu betrachten. Manche sind näher, wie die katholische Hofkirche, die direkt ans Schloss gebaut wurde. Etwas weiter entfernt stehen links von mir der Zwinger und die Semperoper, rechts die Kunsthochschule auf der Brühlschen Terrasse sowie die Frauenkirche. Das sind nur einige von den Schätzen, die diese Stadt zu bieten hat.

Es ist zweiundzwanzig Uhr und die Sonne ist endlich hinter dem Horizont verschwunden und damit auch die tödliche Strahlung, die mich tagsüber im Dunkeln gefangen hält. Ich mag den Sommer, aber ich freue mich auf die Zeit, wenn die Nächte wieder länger werden und ich mich freier bewegen kann. Modern formuliert könnte man sagen, dass ich eine Sonnenallergie habe. Als Vampir ist das nichts Ungewöhnliches und doch viel fataler als beim Menschen. Das mit dem Bluttrinken ist leider kein Mythos und altern kann ich auch nicht. Einige würden das bestimmt toll finden, aber es nervt ab und zu schon, dass ich dauernd meinen Ausweis vorzeigen muss, wenn ich mir eine Flasche Wein kaufe. Das Leben als Vampir ist nicht gerade ein Zuckerschlecken, aber ich hätte es wesentlich schlechter treffen können. Immerhin bekomme ich bei Vollmond kein Fell und renne wie ein tollwütiger Hund durch die Gegend.

Ich grinse bei der Vorstellung, was Erika mir wegen dieser Gedanken wohl für eine Standpauke halten würde. An ihrer Stelle wäre ich wahrscheinlich auch beleidigt. Aber alte Feindschaften legt man nur schwer ab. Da ich schon friedlich mit den Wölfen zusammen lebe, darf ich mir wohl die eine oder andere Gemeinheit erlauben.

Mit geschlossenen Augen atme ich die Nachtluft ein. Es ist schon erstaunlich, wie viele verschiedene Aromen ich wahrnehmen kann. Leider sind nicht alle angenehm. Auf den Geruch von Pferdeäpfeln könnte ich gerade gut verzichten. Allerdings sehen die teils historischen Kutschen echt toll aus, wenn sie durch die Altstadt rollen. Außer ihnen fahren noch einige Autos und die Straßenbahnen in schöner Regelmäßigkeit vorbei. Bei diesen Temperaturen ist der Großteil der Leute zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs. Unten an der Elbe liegen die Schaufelraddampfer, die gerade im Sommer die Elbe hoch und runter fahren. Eine Fahrt mit einer der ältesten Dampfschiffflotten der Welt gehört in jedes gute Touristenprogramm.

Eine schnelle Bewegung zu meiner Linken zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich drehe den Kopf und beobachte die kleinen Fledermäuse, welche im Scheinwerferlicht jagen. Insekten, wohlgemerkt. Für das Blutzapfen sind Mücken oder meine Wenigkeit zuständig.

Eine Weile schaue ich diesen knuffigen Tierchen zu, bevor ich meinen Fokus wieder auf die Menschen unter mir richte. Das ganze Jahr über zieht die Stadt, vor allem mit Zwinger, Semperoper und Frauenkirche, Besucher aus aller Welt an. Wenn man so will, dann bin ich auch so ein Zugereister. Nur lebe ich hier schon um einiges länger als so manches Gebäude alt ist. Damit meine ich keinen der Einkaufstempel, die in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen sind. Menschen sind und waren schon immer ein bisschen eigenartig und so schnelllebig. Oftmals schüttele ich den Kopf über so manche Absurdität, die sie sich einfallen lassen. Allerdings wird es selten langweilig. Mit meiner beinahe unsterblichen Existenz habe ich eh gut reden. So doof kann man nicht sein, wenn man es schafft, ein paar hundert Jahre zu überleben. Aber ich vergesse meine Manieren. Ich heiße Fabian und bin der heimliche Bewohner des Hausmannsturms.

Die Einen werden sich jetzt wundern und fragen: „Häh? Hat der keinen Nachnamen?"

Dazu kann ich nur sagen, dass ich einen besitze, den aber völlig unwichtig finde, da ich ihn spätestens aller zehn Jahre wieder ändern muss.

Die anderen, die vielleicht schon meine schöne Stadt besuchten oder das Glück haben, hier zu wohnen, werden sagen:

„Das kann nicht sein! Ich war schon dort und hätte bestimmt einen Vampir zwischen den ganzen Münzen gesehen!"

WG mit Biss - Der etwas andere Vampirroman - LESEPROBEKde žijí příběhy. Začni objevovat