-(••÷[ Kapitel 1 ]÷••)-

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Oktober, 1896
China
Provinz Jilin
Baihe-Town


Ohrenbetäubender Lärm riss mich schweratmend aus meinen Träumen, gepaart von dem angsterfüllten Geschrei und Geheule meiner neunjährigen Schwester, die neben mir lag

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Ohrenbetäubender Lärm riss mich schweratmend aus meinen Träumen, gepaart von dem angsterfüllten Geschrei und Geheule meiner neunjährigen Schwester, die neben mir lag. Sofort schlang ich meine Arme um sie und drückte sie fest an mich, während mein Blick auf die Wanduhr fiel, die gerade mal zehn Uhr in der Nacht schlug. Lange hatten wir also noch nicht geschlafen.

„Sht ... ich bin ja hier", versuchte ich sie leise zur Ruhe zu bringen, so wie mich selbst, doch das half nicht. Sie schrie und weinte immer weiter, während mein Herz wie wild gegen meine Brust hämmerte. Das gefährlich flackernde Licht und die laute Kulisse machten es nicht gerade einfach sich zu beruhigen, weswegen ich die Baumwolldecke um sie zog und vorsichtig mit ihr auf dem Arm aufstand. Noch einmal presste ich Miga fester an mich, bevor ich langsam auf das Fenster zutrat und es nervös einen kleinen Spalt öffnete. Ich hatte Angst vor dem was mich dort draußen erwartete und doch brauchte ich Gewissheit.

Fest biss ich mir auf die Unterlippe, als ich das Feuer sah, welches das Gebäude gegenüber zu großen Teilen einhüllte und fragte mich zeitgleich, ob es nicht bereits zu spät war. Doch statt mir darüber weitere Gedanken zu machen, drückte ich Migas Gesicht gegen meine Brust, so dass sie nicht sehen konnte, was dort draußen geschah. Es war schlimm genug, dass sie die angsterfüllten Schreie hören konnte, die durch die Nacht hallten und ihre Angst schürten. Ich konnte es deutlich spüren, da sie fest ihre dünnen Ärmchen um mich geklammert hielt und ihre Finger in meinen Rücken bohrte. Sie suchte Halt und fand ihn bei mir – zumindest hoffte ich das inständig, während ich selbst drohte, meinen zu verlieren.

Im Gegensatz zu Miga konnte ich meinen Blick nämlich nicht von dem grauenvollen Geschehen wenden. Auch nicht, als ich noch einen Schritt vom Fenster wegging. Stattdessen zogen mich die schaurigen Gestalten, die draußen unschuldige Menschen abschlachteten, in ihren Bann. Die Angst hielt mich gefangen, während die wild um sich schlagenden Flammen alles um mich herum verschlangen. Sie ließen mich in das Gesicht des Teufels blicken und eine Welt sehen, die dem Untergang geweiht war.

Seit Monaten lebten wir bereits in der Angst, dass sich die Befürchtungen meiner Mutter bewahrheiteten, weswegen wir uns in China versteckt hielten. Doch heute war der Tag gekommen, an dem sie uns gefunden hatten. Vermutlich war meine Mutter bereits ermordet worden. Brutal abgeschlachtet und dann verbrannt. Sie legten alles in Schutt und Asche – vernichteten Spuren und das Feuer zog sich über den ganzen Platz, griff auf andere Gebäude über und entriss wehrlosen Familien ihr Zuhause. Es war grausam und doch musste ich nur an das Flehen meiner Mutter denken, die mich schon seit Wochen darauf vorbereitet hatte, dass wenn sie den Attentätern erlag, ich mich um Miga kümmern, dass ich einen klaren Kopf behalten musste.

Ich hatte bis zum Ende gehofft, dass es niemals so weit kommen würde, doch wir hatten in einer trügerischen Seifenblase gelebt, die in diesem Augenblick platzte, als ein abgetrennter Kopf gegen das halboffene Fenster schlug. Etwas Warmes spritzte mir dabei ins Gesicht und ließ mich erschrocken zurückweichen. Ich stolperte, verlor mein Gleichgewicht und fiel zu Boden, wobei mir ein erschrockener Laut entfloh. Sofort presste ich mir meine Hand über den Mund, starrte auf die Öffnung und betete zu den Göttern, dass mich niemand gehört, dass uns niemand entdeckt hatte. Die Zeit schien stillzustehen und mein Herz schlug wild in meiner Brust.

VERFLUCHTES KATZENHERZ [Yoongi / TaeKook]Where stories live. Discover now