Ein Zittern durchlief ihren Körper und sie machte ein Geräusch. Ich brauchte eine Sekunde, um zu realisieren, dass es ein Schluchzen war.

Wärme spendend hielt ich sie weiter fest, als sie plötzlich erzählte:
„Es war ... schlimmer, als ich erwartet habe. Ich habe es nicht nur gesehen, ich hab es gefühlt."
Sie rang nach Luft.
„Ich hab den Schmerz gespürt. Ich habe seine Hände gespürt."

Sie brach aus der Umarmung, stand ruckartig auf und brachte Abstand zwischen uns. Ich ließ sie widerstandslos gewähren und sah zu wie sie die Arme um sich schlang. Einzelne Tränen liefen noch immer ihre Wange herab.

„Und dann hat dieser Bastard auch noch mehr als zwei Erinnerungen gefordert!"
Ihre Tränen versiegten und Zorn sprach aus ihrem Blick. Augenblicklich wurde auch ihre Miene hart und ich spürte eine Art Energie-Welle von ihr ausgehen. Der Zorn war ein Anker, der sie aus ihren Erinnerungen riss.

Ein tödlicher Blick, um den ich niemanden beneiden würde, schoss zu dem Aschehaufen an der Wand.
„Hättest du es nicht getötet, hätte ich es getan", versprach sie und ich nickte wissend, ehe ich mich ebenfalls erhob.

Ich gab ihr die Zeit, die sie brauchte um sich wieder zu sammeln. Stumm blieb sie so lange mit um den Körper geschlungenen Armen stehen. Ihr Atem ging wieder regelmäßig, doch einige verschwitzte Strähnen klebten ihr an der Stirn. Ihr schwarzes Hemd war etwas verknittert und an der ebenso dunklen Hose klebte der Staub der Tunnel.

Stück für Stück baute sie ihre Mauern wieder auf, wischte sich die Tränen von dem Gesicht und straffte die Schultern. Aber die bodenlose Wut war nicht verschwunden.

Sie hatte viel Wut in sich. Wut auf Allstair, die Kindheit, die sie nie hatte haben können, die Götter, die uns nicht helfen konnten, die ganze Welt, die für sie so grausam war.

Ich schluckte. So sicher ich mir ihrer Loyalität sein konnte, so gefährlich war diese Wut auch. Für alle in ihrer Nähe, sollte der Tag kommen, wo sie endgültig die Fassung verlor.

Schließlich atmete sie aus, kam zu mir, um ihr Schwert zurück in den Gürtel zu stecken. Ihre Bewegungen waren etwas steif, aber sonst war alles wieder beim Alten.

„Ich weiß langsam, wie viel es dich gekostet hat, mich hier rein zu lassen", sagte ich und sie sah überrascht auf, „Und ich bewundere dich für deine Stärke. Dass du trotz König Allstair weiter machst. Und dass du den Mut aufgebracht hast zu fliehen."
Nemesis sah mich eine Weile aus ihren grauen Augen an. Ein Blick, der Männer in die Knie zwingen konnte, wenn sie es drauf anlegte.

„Er hat mich nicht gebrochen", erinnerte sie mich. Wobei es eher klang, als sagte sie es zu sich selbst.

Dann drehte sie sich um und ging auf den Ausgang der Höhle zu. Schnell schloss ich auf, sodass wir nebeneinander liefen.

Schnell erreichten wir den Ausgang und in Gedanken noch immer bei den grausamen Dingen, die Nemesis erlebt haben musste, sah ich zu meinen Freunden.

Chara hatte sich düster auf den Boden gesetzt und den Tunnel beobachtet. Sie spürte das unangenehme Kribbeln, genauso wie ich.
Aramis und Martell standen mit verschränkten Armen in der Mitte. Bereit loszulaufen, sollte doch was schief gelaufen sein.
Und Phyrros lehnte unglücklich an der Wand der Gabelung.

Doch als Nemesis und ich ins Licht der Fackeln traten, hellten sich die Gesichter schlagartig auf.

„Den Göttern sei dank!", rief Phyrros und stieß sich von der Wand ab.
Auch die anderen kamen sichtlich erleichtert zu uns.
„Wir hatten schon darüber diskutiert, rein zu gehen", gestand Chara mit einem Lächeln an uns beide, „Ihr wart bestimmt zwei Stunden da drin."
„Wobei ich hier unten das Zeitgefühl verliere", bemerkte Aramis, „Warten ist Folter."

Nemesis straffte die Schultern. „Es war alles unter Kontrolle"
Ich verkniff mir ein Schnauben und nickte Richtung Ausgang.
„Trotzdem will ich gerne hier raus."
Phyrros konnte es gar nicht abwarten und hatte sich bereits in Bewegung gesetzt.
„Geht mir nicht anders."

Wir folgten ihm und gingen eilig, wenn auch schweigend aus den Tunneln raus und versammelten und wie zuvor in Nemesis' Zimmer. Der Schreibtisch stand in der Mitte, wo Phyrros sich drauf setzte und der Rest verteilte sich auf die Sitzgelegenheiten drum herum. Nur Chara stand lieber und verschränkte wartend die Arme vor der Brust.

Martell nahm sich die Whiskeyflasche, die wir stehen gelassen hatten, schüttete sich ein bisschen ein und setzte sich mit einem Seufzen neben Aramis auf die Chaiselongue.
„Na los raus damit. Lasst uns die ganzen Enthüllungen an einem Abend abhaken", brummte er.

Ich sah zu Nemesis und übergab ihr stumm das Wort. Diese saß in tadelloser Haltung wie immer auf ihrem Stuhl. Bei der Aufforderung verdüsterte sich ihre Miene dennoch.
„Die Magie befindet sich in der Wüste. In einem Tempel."

Kurz herrschte Stille, dann hakte Aramis nach:
„In der Wüste? Da hat niemand gelebt, wieso sollte da ein Tempel sein?"
Nemesis zuckte die Schultern. „Anscheinend hat es dort vor sehr langer Zeit ein Volk gegeben."
„Ah und wie findest du das Ding?", fragte Pyrros schnippisch, „Oder hast du noch mehr Fähigkeiten, die dir dabei helfen können? Noch mehr Geheimnisse?"
Nemesis würdigte ihn keines Blickes, erklärte aber:
„Ein Amulett auf dem Boden des Götterschlunds kann als Kompass verwendet werden."

Die anderen fluchten ähnlich grimmig wie ich.
„Das ist in Leymalien!", bemerkte Chara.
Nemesis nickte bloß.

Kopfschüttelnd hielt die Prinzessin sich die Nase.
„Das ist Selbstmord, selbst für dich."
Nemesis stand mit der üblichen Eleganz und völlig lautlos auf. Selbst dabei lief mir ein Schauer über den Rücken.
Dann ging sie zum Balkonfenster und sah hoch zu den Sternen. Zwar blieb ihre Miene ausdruckslos, aber ich wusste, sie dachte bei dem Anblick der kleinen Lichter an Allstair.

„Der Geist hat mir ein paar Leute verraten, die mir helfen können. Es gibt sowieso keinen anderen Weg."

Als niemand von uns etwas erwiderte, drehte sie sich  zu uns um. Das warme Licht der Kerzen beleuchtete ihre eine Gesichtshälfte, das leichte Schimmern der Sterne und des Mondes ihr andere.
„Morgen reden wir mit dem König und bringen ihn auf den neuesten Stand. Danach werde ich aufbrechen. Es gibt keine Zeit zu verlieren."

Es gefiel mir ganz und gar nicht, dass sie sich alleine auf diese Reise begeben wollte, obwohl ich wusste, dass sie keinen Schutz brauchte.
Trotzdem wollte ich nicht, dass sie ging.

Doch wie die anderen akzeptierte ich, wie die Dinge sich ergeben hatten und nickte. Nacheinander verließen die anderen das Zimmer, bis nur noch wir beide übrig waren.

Schweigen legte sich über uns und ich hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, aber ich wusste nicht was. Zu meiner Überraschung ergriff Nemesis das Wort:
„Irgendwie bin ich froh, dass du meine Vergangenheit zum Teil kennst", gestand sie, „Dann weiß ich, dass wir Freunde sind, weil du es wirklich möchtest, nicht, weil du nur den Teil kennst, der die passt."

Ich neigte lächelnd den Kopf. „Ich bin froh, dass du eingewilligt hast."
Ein seltenes Lächeln legte sich auf ihre Züge, auch wenn es von den vergangenen Erinnerungen überschattet wurde.
„Ich wünsche dir eine gute Nacht, Drystan."
Während ich mich zur Tür wandte sagte ich: „Ich dir auch."

Nemesis - Blut und Schwerter Where stories live. Discover now