Ich hätte auf meine Eltern hören sollen

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Ich werde mitten in der Nacht wach, weil der Regen gegen mein Fenster prasselt. Er ist sehr laut. Ich reibe mir den Rest Schlafsand aus den Augen und steige aus meinem Bett. Als ich wieder aus meinem Fenster schaue, sehe ich einen Blitz. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben. Nun der Donner. Ich öffne das Fenster und der Wind schlägt mir entgegen. Mit meiner gesamten Kraft schließe ich das Fenster. Noch nie war ich bei einem Gewitter draußen. In den zehn Jahren meines Lebens haben mich meine Eltern bei jedem Donner ins Haus geholt. Mein Vater sagt immer》Bleib im Haus, Junge. Es ist zu gefährlich dort draußen. Denk doch nur daran was passieren könnte...《 Jedes mal bin ich schweigend ins Haus gegangen und habe darüber nachgedacht, was passieren könnte. Mein Vater hat Recht. Es könnte passieren.

Aber wieso sollte es ausgerechnet mir passieren? Ich ziehe meine Stiefel und meine Regenjacke an. Bei so einem Wind denke ich nicht einmal daran, einen Schirm mitzunehmen. Auf Zehenspitzen schleiche ich mich am Zimmer meiner Eltern vorbei. Vor der Tür bleibe ich stehen und lausche. Ich höre das Schnarchen meines Vaters. Gut. Sie schlafen noch. Leise gehe ich weiter bis zur Haustür. Ich schlüpfe hinaus und schließe sie schnell wieder. Ich habe es geschafft. Mein erstes Gewitter. Ich renne in den Regen und drehe mich im Kreis. Den schwarzen Nachthimmel und die vielen Wolken ignoriere ich. Ich bin viel zu glücklich und aufgeregt. Zwar bin ich jetzt schon nass bis auf die Haut, aber es ist mir egal. Auch wenn ich mich erkälte, war dieses Gewitter den Tribut wert. Ich renne durch die Straßen und hüpfe durch die Pfützen. Ich bin voller Euphorie. Ich höre den Donner und fühle den Wind in meinen Haaren. Das Gefühl ist unglaublich. Ich merke nicht, wie weit ich von zu Hause weg bin, bis ich am Meer bin. Da fällt mir plötzlich die andere Warnung meines Vaters ein》Halte dich vom Meer fern. Es ist unberechenbar《 Auch diese Warnung vergesse ich schnell wieder. Ich höre das Tosen der Wellen und das Klatschen, wenn sie aufschlagen. Ich will sie auch sehen. Schritt für Schritt nähere ich mich der dunklen Masse. Nun stehe ich am Ende des Stegs. Etwas so Atemberaubendes habe ich noch nie zuvor gesehen. Riesige Wellen türmen sich auf. Sie werden immer größer. Solange, bis sie in sich zusammenfallen und im weißen Schaum begraben werden. Die Fahne am Mast, die den Surfern die Windrichtung zeigt, flattert wie wild im Wind. Das Gefühl hier zu sein war unfassbar, aber langsam wird mir mulmig. Was wäre, wenn ein Wind aufkommen würde und mich ins Wasser wirft? Ich hätte auf meine Eltern hören sollen...

》Was machst du hier, Junge?《 Mein Vater. Ich habe nicht mit jemandem bei diesem Wetter gerechnet. Ich erschrecke mich und verliere den Halt. Ich falle. Das Letzte was ich sehe ist ein sprudelndes Schwarz...

Ich hätte auf meine Eltern hören sollenحيث تعيش القصص. اكتشف الآن