Zwei

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Immer mehr Stimmen erheben sich zu einem Gewirr aus Lärm und Geschrei, bei dem mir die Ohren dröhnen. "Schweigt!" belle ich über die Stadtmitte und mit einem Mal verstummen alle, wagen es nicht, auch nur ein weiteres Wort von sich zu geben. Einen Moment lang genieße ich diese herrliche Stille, die in diesen Zeiten zu einer Seltenheit wurden, bevor ich meine Stimme ein weiteres mal bestimmend erklingen lasse. "Ich weiß, dass es ein Wagnis ist, aber, meine Brüder, ich sage euch, es ist nicht unmöglich. Wir werden jeden unserer Krieger entsenden, werden unser gesamtes Heer und all unsere Truppen schicken, um den verhassten Feind zu schlagen, und, meine Brüder, wir werden ihn schlagen, denn auch, wenn uns die Streuneralpakas des Nordstammes zahlenmäßig überlegen sind, haben wir nicht nur unseren Glauben an den großen Preciouse, wir haben unseren Kampfgeist, wir haben fähige Krieger und eines der stärksten Heere der uns bekannten Welt, also, meine Brüder, folgt mir in die Schlacht!" Und wie erwartet, fangen sie an zu jaulen, zu heulen, zu bellen und zu knurren. Sie stehen hinter mir, das gesamte Volk wird mir folgen und ich bin fest davon überzeugt, dass ich schon in wenigen Tagen das Herz des Alpakakönigs Elias in meinen Krallen halten werde!

"Nun geht, meine Brüder, geht und ruht euch aus, für den morgigen Tag" nach und nach verlassen sie alle den Platz, die Offiziere, die Krieger, die Heerführer, bis nur mehr ich hier stehe und die, auf dem Boden vor mir ausgebreitete Karte betrachte. Schon bald wird das alles uns gehören. Schon bald.

Es war ein gutes Stück arbeit, aber wir haben es dennoch geschafft nicht nur das Kapitol zu halten, sondern es auch zu vergrößern

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Es war ein gutes Stück arbeit, aber wir haben es dennoch geschafft nicht nur das Kapitol zu halten, sondern es auch zu vergrößern. Einen Augenblick gönne ich mir einen wehmütigen, sehnsuchtsvollen Gedanken an die Zeit vor dem Krieg. Es war eine Zeit des Friedens und der Harmonie, bis sich das Streunervolk spaltete. Es war die Religion, die uns entzweite, was sollte es sonst gewesen sein? "Mein Glaube ist der einzig wahre." Immer wieder hörte man diese Worte von den verschiedenen Anhängern, immer und immer wieder, bis die Worte irgendwann den Fäusten wichen. Und die Fäuste den Waffen. Mein Volk gehört den Preciousten an. Wir glauben an ihn, wir opfern für ihn. Precious ist der fliegende Riesenwal, der über uns alle wacht, er ist der einzig wahre Gott für unser Volk. Er beschützt uns, wenn wir in Not sind, lässt uns sein, wie wir sind, ohne darüber zu urteilen. In der Überlieferung heißt es, Preciouse sprach zu den Streunern: "Meine Söhne und meine Töchter, ihr seit geschaffen aus meinem Blut, aus meiner Hoffnung, aus meinen Träumen. Ich habe euch geschaffen. Ich habe euch als frei und wild geschaffen. Es ist nicht eure Aufgabe, es ist nicht mein Wunsch, dass ihr, meine Söhne und meine Töchter, mir dient, als Sklaven des Glaubens. Es ist eure Pflicht und mein Ersuchen, dass ihr frei und mit Leidenschaft euren Glauben lebt, den Glauben an mich, denn ich war es, meine Söhne und meine Töchter, der euch geschaffen hat!" In letzter zeit muss ich oft an die Worte meines Herren denken und immer wieder kommt mir in den Sinn, dass dieser Krieg, all die Toten in seinem Namen, nicht das waren, was er gewollt hatte. Doch im nächsten Augenblick glaube ich, es ihm schuldig zu sein, die Erde mit dem Blut derer zu tränken, die es wagen sein Sein infrage zu stellen. Und dann sitze ich wieder unter meiner Plane, so wie ich es auch jetzt wieder tue, und mir brummt der Schädel, weil ich nicht weiß, ob es rechtends  ist, was wir hier tun. Doch noch bevor ich meine Augen schließe, ist dieser Gedanke verflogen, und den vielen Bildern derer, dessen Blut an meinen Klauen klebt, gewichen. Und ehe ich mich versehe, schlafe ich. Tief und fest.


"Schludwig! Ränkel! Justussus!" belle ich ihre Namen befehlerisch durch die Straßen. Ich brauche nicht lange zu warten, da sind sie schon zur Stelle, bereit, um in die Schlacht zu ziehen. Ich sehe Justussus an, warte auf seinen Lagebericht. "Die Truppen sind Marschbereit, die Krieger wach und ausgeruht, bereit für den Kampf " Er salutiert, wie er es immer tut. Ich nicke zu frieden und sehe zum nächsten. Schludwig beginnt zu sprechen. "Die Späher sind zurück, sie Berichten, dass die Alpakas nichts ahnen und bestätigen uns unsere Annahmen zu deren Verteidigungslinie" Sehr gut, es läuft alles nach Plan. "Streunerino?" ich bleibe stehen, wende mich Ränkel zu und warte darauf, dass auch er anfängt zu sprechen. "Bist du dir sicher, dass du das ganze so angehen möchtest, immerhin hat es so, wie wir es bisher immer geregelt haben, einwandfrei funktioniert, also warum etwas ändern?" Ich lächle ihn spöttisch an und laufe weiter, auf die Front zu. "Warum nicht" ist das einzige, was ich dazu sage.

"Auf in die Schlacht!" schreie ich den tapferen Kriegern und Soldaten hinter mir zu und laufe Taleinwährts auf unser Ziel zu. Wir haben noch einen Drei-Tages-Marsch vor uns, doch die richtige Motivation gleich zu beginn war noch nie schädlich für unser vorhaben, also laufen wir ein Stück, bis wir mit der Zeit in einen etwas schnelleren Trab verfallen. Während wir immer weiter vordringen bewundere ich insgeheim die Landschaft um uns herum. Wir laufen durch eine Wüste, mir Sandsteinfelsen, die scheinen, als würden sie den Himmel zerreißen und überqueren Flüsse, die so Klar sind, dass man bis auf den Grund sehen kann. Es ist unbeschreiblich und erschreckend zugleich. Ich weiß noch, wie hier vor vielen Jahren alles blühte, wie die Nomaden hier umher zogen und ganze Völker hier lebten, und jetzt? Weit und breit nichts als Sand, Stein und Wasser. Erschreckend. Doch ich muss auch unweigerlich daran denken, wie wir den Steuner-Alpakastamm den Erdboden gleich machen werden und ohne, dass ich es verhindern kann, schleicht sich ein breites Grinsen auf meine Lippen. 

Krieg der StreunerWhere stories live. Discover now