Frühling

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Er wischte den Rotz weg, welcher langsam aus seiner Nase lief. "Bist du etwa erkältet?" fragte er witzelnd und stupste seinen Sohn auf die Nase welcher auf der Schaukel sass. Der erste schöne Tag nach diesem ekelhaften und nassen Winter. Die ersten Krokusse blühten schon. Irgendwo summte eine Biene und die Vögel sagen ihre Lieder. Die warmen Sonnenstrahlen liessen sein Haar golden leuchten. David quietschte vergnügt und er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Der Kleine war einfach zu herzig um sich von seinem Lachen nicht anstecken zu lassen. John kniete auf diesen weichen, gummiartigen Böden, die unter fast jeder Schaukel auf diesen neuen Spielplätzen war. Seine Knie schmerzten und langsam wurde er sich seinem Alter wieder schmerzlich bewusst. Mit beiden Händen drückte er fest gegen die Beine von David welcher gleich zu lachen anfing und wich wenige Sekunden später seinem Sohn aus, der an ihm vorbei raste. Kurz überlegte er ob er ihn zu fest angestossen hatte, verlor den Gedanken aber wieder, als er hart von seinen kleinen Schuhen an der Brust getroffen wurde. David lachte dabei und hörte gar nicht mehr auf. Keuchend lag John auf dem Boden und merkte wie der brennende Schmerz ihn durch die Rippen fuhr. Über seinen Kopf sausten die kleinen Füsse seines Sohnes und er passte den richtigen Moment ab um aufzustehen und sich aus dieser misslichen Lage zu befreien. Noch so einen Tritt wollte er nicht erleiden. John klopfte sich den Schmutz von seinem blauen Pullover und blickte auf seine schon in Mitleidenschaft gezogene Jeans. Mehr Löcher als Hose, aber es reicht zum spielen mit dem Kleinen.

Der Anblick seiner dreckigen und zerrissenen Klamotten liessen ihn in Erinnerungen schwelgen. Als er damals vor knapp zehn Jahren mit seinen Kumpels rotz besoffen um zwei Uhr morgens auf den Spielplatz nahe der Schule war. John und Tim sassen auf der Rutsche und kippten den Jacky runter wie Wasser. Marv hing in den Seilen auf der Schaukel und wirkte abwesend. Vielleicht lag es auch daran, dass er schon eine Pfütze aus Speiseresten und Magensäure vor sich auf den Boden hatte. "Reich mir mal die Flasche." sagte Marv und wirkte ein wenig neben den Spur. "Bist du dir sicher? Du scheinst schon genug gehabt zu haben." antwortete Tim und grinste von oben herab. Die Nacht war warm und angenehm. Ein Shirt und dreiviertel Hosen haben gereicht um sich den Himmel, verschwommen vom Alkohol, anzuschauen. Sein Kopf fiel nach vorne und Marv hatte alle Mühe sich auf der Schaukel zu halten, um nicht in seine Kotze zu fallen. Die langen schwarzen Haare klebten ihm am Gesicht und sogen stellenweise das Erbrochene an seinem Mund auf. Morgen, wenn er aufwacht, wird er bereuen was er letzte Nacht gesoffen hatte. Doch ganz egal wie schlimm der Kater auch wird, er wird es wieder machen. "Nun gib schon rü.." ein Würge reiz liess ihn die Worte verstummen. Zu seinem, und vor allem ihren Glück, kam nichts weiter aus ihm heraus. Tim rutschte mit seinem Arsch nach vorne, schleuderte die Rutschbahn runter und knallte mit dem Kopf voran auf den weichen Gummiboden auf. Die Flasche war sicher in seiner Hand. "Nichts passiert. Alles bestens." rief er viel zu laut und fing an zu lachen. Sie lachten mit.

"Erinnerst du dich noch, wie du damals auf der Abschlussfahrt, morgens um fünf, aus dem Zimmer von Luna getorkelt bist und dich die Frau Schmidt erwischt hat?" fing Tim kurze Zeit später an, immer noch auf dem Boden liegend. "Wie sollte ich DAS vergessen?" erwiderte John. "Wir hatten zusammen ne Flasche Tequila geleert und haben dann im Hochbett gevögelt. Es war ein Wunder, dass die anderen Mädels nicht aufgewacht sind." Marv lachte. "Ja! Und der blutige Fussabdruck war der Hammer!" Er quiekte dabei wie ein Meerschweinchen. Tim gluckste vor Lachen. "Wie war das? Du bist vom Bett gesprungen und bist in eine blutige Binde getreten?" "Halt doch die Schnauze." brüllte John. "Es war dunkel und ich konnte doch nicht wissen, dass eine von den Drecksweibern ihre benutze Binde rumliegen lässt." Marv nahm ein grossen Schluck aus der Flasche und würgte, ihn so gut es ging, hinunter. "Immerhin hat der Ohl dir gratuliert. Er war stolz auf dich." John schmunzelte. "Unser Sexist von Sportlehrer, ja. War schon ne coole Sau." antwortete John und schnappte sich die Flasche. Leicht sentimental werdend sprach er dann: "Wie denkt ihr, wird euer Leben in zehn Jahren aussehen?" "Ich werde Studieren. Irgendwas mit Informatik." sagte Tim schaute weiter zu den Sternen. "Musiker. Ganz klar." antwortete Marv freude strahlend. John spuckte den Whiskey in einer Fontäne aus Sprühnebel wieder aus. "Das nennst du Musik? Das ist doch nur Bumm-Bumm-Bumm Scheisse die du machst!" Er erntete einen bösen Blick von Marv, welcher aber schnell wieder verflog und ein "Du bist doch nur neidisch" erwiderte.

Ein Schrei liess John aus seiner Erinnerung hochschrecken. David war von der Schaukel gefallen und lag nun brüllend auf dem Boden. Schnell ging er zu seinem Sohn, der nicht mal ganz zwei Jahre zählte und nahm ihn auf den Arm. "Sschh. Schon gut. Nichts passiert." tröstete er ihn und wiegte ihn leicht hin und her. Das Pochen in seiner Brust wurde stärker und er fühlte sich leicht schwindelig. Das musste unteranderen an der Hitze liegen. Die Sonne gab alles, was sie aufbringen konnte und das extra Gewicht auf seinen Arm trug dazu bei. Langsam verschwanden die kleinen Tränen aus Davids Gesicht und er beruhigte sich nach wenigen Sekunden. War wohl nur der Schreck und keine Verletzung, dachte sich John und atmete innerlich auf. Seine Frau hätte ihm den Kopf abgerissen, wenn er eine Verletzung davon getragen hätte. Zum Glück war er alleine mit ihm raus gegangen, damit sie sich ein wenig ausruhen konnte. Ihre Nächte wurden jedes Mal von dem Kleinen unterbrochen, während er durch schlief. Wie ein Stein oder ein Bär im Winterschlaf.

"Willst du mal Kinder haben?" fragte Tim und John schaute schockiert. "Bist du irre? Son schreiendes Balg, was mir all mein Geld weg frisst und Windeln vollkackt? Ne du, dann lieber auf ewig Junggeselle!" Marv lachte. "Darauf ein Schluck!" sagte er und fiel rückwärts von der Schaukel. "Und du?" wollte John wissen und blickte zu Marv der sich am Boden windete, wie eine Schildkröte auf dem Rücken. "Och ich kann mir das gut vorstellen." sagte Tim. "Mit den Kindern draussen spielen, die Freude in ihren kleinen Augen sehen, wenn ich nach Hause komme. Wie sie das erste Mal Papa zu mir sagen. Doch, ich finde das klingt schön." "Schwuchtel." sagte Marv und lachte.

David zappelte auf seinem Arm und geschickt liess er ihn runter. Der Knopf wuselte los und stapfte durch die angrenzende Wiese. Irgendwas hat seine Aufmerksamkeit erregt. John ging zur nahe gelegenen Bank und setzte sich. Die Sonne brannte höllisch und er wischte sich den Schweiss von der Stirn. Sein Atem wurde flach und schnell. Er fühlte sich erschöpft.

Wenige Minuten später, plärrte David wieder und lief zu seinem Vater, welcher zusammen gesunken auf der Bank sass. Er bekam seine Knie zu fassen und legte seinen Kopf auf diese. John machte keine Regung. David brüllte nun lauter und schaute durch seine verweinten Augen zu John hoch. Sein Kopf war nach vorne Gesackt und er blickte mit offenen Augen auf seine Hose. "Papa" kam es aus David heraus und John wäre vor Freude wahrscheinlich geplatzt oder hätte Luftsprünge gemacht, aber dazu kam es nicht. Er hörte die Worte nicht mehr. Und was auch immer David aufgeschreckt hatte, war bereits vergessen. Er jagte einen Schmetterling nach, der eben an ihm vorbeigeflattert war.

Vier JahreszeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt