Kapitel 1: Der Anfang eines guten Buches

60 2 2
  • Gewidmet Denise
                                    

von Denise. Ihr Blog: http://leserattespencer.blogspot.de/

***

Zwischenspiel

Hinter sich schlug er geräuschvoll die Autotür zu. Die Luft war geschwängert vom Geruch des Meeres. Der Wind pfiff die steilen Klippen hinab. Möwen glitten über die spiegelnde Oberfläche des Ozeans. Sie breiteten ihre Flügel aus und ließen sich von den Winden tragen. Dann ließen sie sich nach oben treiben – nur um sich dann Richtung Wasser wieder fallen zu lassen. Ihr Krächzen vermischte sich mit dem Klang des Meeres.

Die Old Harrys erhoben sich aus dem Ozean, wo sie schon seit Anbeginn der Zeit ihre Wache hielten. Sein ganzes Leben über hatten diese treuen Wächter aus Stein ihm schon Gesellschaft geleistet. Schon in seiner Kindheit hatte er stundenlang am Rand der Klippen sitzen können um von dort aus hinaus auf den weiten Ozean zu blicken. Der Geschmack von Salz auf den Lippen, der Geruch des Meeres, der in der Luft lag, und das Geräusch der Wellen, wenn sie gegen die Felsen krachten, beruhigte ihn und gab ihm zu gleicher Zeit Kraft. Auf eine seltsame Art und Weise, die es nicht in Worte zu fassen gab. Er musste zugeben, dass er den Ozean in seiner Abwesenheit am meisten vermisst hatte und wie sehr, nun ja, das merkte er erst jetzt bei seiner Rückkehr.

Er war Zuhause, beziehungsweise war das hier das, was einem Zuhause noch am Nächsten kam. Ein letztes Mal fiel sein Blick auf die großen Steine, bevor sich zu seinem Auto umdrehte. Der gelbe Käfer hob sich von der Landschaft ab und wirkte auf der mit Schlaglöchern versehenen Straße fehl am Platz. Die alte Rostlaube schien schon fast zu modern für diese raue Landschaft. Es war ihm leicht gefallen, hier her zu fahren, aber weiter zu fahren und wirklich anzukommen, das würde ihm wirklich schwer fallen. Es gab so vieles, was ihn damals von hier vertrieben hatte, aber schwerer schmerzte die Erinnerung an das, was er damals alles zurückgelassen hatte. Langsam nahm er wieder hinter dem Steuer Platz. Es half ja nichts. Er war schon zu weit gekommen, um umzudrehen. Und erneut verschwinden, das konnte er einfach nicht machen.

Der Wagen rumpelte über die schlecht erhaltene Pflasterstraße. Selbst beim Auto Scooter wurden Fahrer nicht so durchgeschüttelt, wie auf diesem kurzen Stück. Sylvan hatte sich gar nicht mehr daran erinnern können, dass die Straße so schlecht in Schuss gewesen war. Aber was wunderte es ihn eigentlich?! Es war schon so lange her, seit er das letzte Mal hier gewesen war, und diese Stadt lag am Ende der Welt. Hier investierten nur Wenige in gute Straßen. Bis zu seinem Heimatdorf war es nicht mehr weit. Hatte er eben noch bei dem Blick auf die Old Harrys das seltsame Gefühl von Heimkehr verspürt, begann jetzt ein Unbehagen an ihm zu nagen. Sein schlechtes Gewissen schien sich zu regen. Ja, ganz gewiss, es konnte nur das sein und… ja… es regte sich definitiv zu recht. Er war schon viel zu lange nicht mehr daheim gewesen, und das Ereignis, welches ihn zurücktrieb, war auch kein Erfreuliches.Sylvan hatte sich lange vor der Rückkehr gedrückt, aber nun war sie unumgänglich geworden. Er wurde unruhig. Ein weißes Haus mit einem ebenso weißen Holzzaun kam am Horizont in Sicht. Erst auf dem zweiten Blick wurde sichtbar, dass die Zeit an diesem Haus genagt hatte. Die weiße Farbe hatte angefangen überall abzublättern und einige Latten standen schief oder fehlten ganz. Auch der Garten schien für Laien ein absolutes Durcheinander zu sein, aber Sylvan erkannte in dem Wildwuchs den Blütenschatz, der in ein paar Monaten in den schönsten Farben aufblühen würde.

Als er die Wagentür hinter sich zuwarf, hörte er, wie sich quietschend die Haustür öffnet. Eine ältere Frau war aus dem Haus getreten. Ihre blauen Augen, den seinen so ähnlich, ruhten auf ihm. Ein Hauch von Traurigkeit war in ihnen zu erkennen, aber dann hellte sich ihre Miene auf und ein Lächeln stahl sich auf ihr von Falten durchzogenes Gesicht. „Sylvan!“ Mit einer für ihr Alter sehr überraschenden Schnelligkeit kam sie die Stufen der Veranda hinab. Dann hielt sie kurz inne, schien einen Moment zu überlegen und schloss ihn dann fest in die Arme. „Grandma..“, murmelte er und spürte wie ihm ein Stein vom Herzen fiel. Ein Hauch von Erleichterung „Ich bin so froh, dass du hier bist…“ Ihre Stimme klang brüchig. Sie schien mit den Tränen zu kämpfen und drückte ihn noch fester an sich. Kindheitserinnerungen prasselten auf ihn ein. Slyvian sah sich vor seinem inneren Auge, wie er in diesem Garten spielte. Es war Sommer. Es war warm, aber der salzige Wind vom Meer nahm dem Sommer die drückende Schwüle. Musik drang von der Küche nach draußen. „Es ist zu früh…“, ertönte eine Stimme. Die Stimme seiner Großmutter. „Das sagst du jedes Jahr.” Die zweite Stimme war tiefer. Die Stimme eines Mannes. Die Stimme seines Großvaters. „Wir müssen es ihm sagen… Irgendwann wird er meinen Platz einnehmen, wer weiß wie viel Zeit mir noch bleibt…“ „Sag so etwas nicht…“ Seine Großmutter war lauter geworden. Dann wurde sie wieder leiser und es mischte sich ein fast flehender Unterton in ihre Stimme. „Es ist noch zu früh“. Mit einem Kopfschütteln befreiteSylvan sich von dieser Erinnerung, wobei sie einen fahlen Beigeschmack hinterließ. Seine Großmutter trat einen Schritt zurück und musterte ihn lächelnd. „Gut siehst du aus.“ Ihre Hand legte sich an seine Wange. Wieder sah er das Aufblitzen von Tränen in ihren Augen. Dann aber fügte sie rasch hinzu: “Wenn auch etwas zu dünn! Gibt es in der großen Stadt nichts zu Essen? Ich hörte, dort wird stetig auf die Linie geachtet.“Sylvan lachte und schüttelte den Kopf. “An jeder Ecke kann man sich dort etwas kaufen, aber es ist eher ein Zeitproblem.“ Sie nickte. “Stimmt. Ich hörte, du bist jetzt ein gefragter Autor geworden, mein Junge?“ „Nun ja“, er kratzte sich verlegen am Nacken, „gefragter Autor würde ich jetzt vielleicht nicht sagen… Aber es gibt wohl wirklich Leute, die meine Werke kaufen, und ich komme ganz gut über die Runden.” Ihr Blick wanderte an ihm vorbei. “Für ein neues Auto hat es aber nicht gereicht?“ Sein Blick folgte dem ihren und fiel auf seinen Käfer. „Ich würde niemals dieses Auto hergeben“, auch wenn es ihn ab und an gern ärgerte, „ich liebe dieses Auto. Es hat Charakter… Zwar einen sehr störrischen, aber es hat Charakter“. „So wie du… So wie dein Großvater…“ Dieses Mal stahl sich ein trauriges Lächeln auf ihr Gesicht. “Er war auch ein unglaublich störrischer Kerl.“ „Es tut mir Leid…“ Da waren sie wieder, die nagenden Schuldgefühle. Sie schienen einem das Herz zusammenzudrücken, als versuchten sie, aus jeder Faser des Körpers den Sauerstoff hinauszupressen. “Ich hätte eher vorbei kommen sollen. Ich…“ Er stockte kurz. “Es tut mir wirklich leid…“ „Es ist nicht deine Schuld.“ Sie ließ ihre Hand sinken und seufzte. “Ich sagte ja, er war ein absoluter Dickkopf. Er hätte nicht gewollt, dass ich dir sage, wie schlecht es um ihn steht. Er wollte nicht, dass du ihn als alten schwächlichen Mann siehst.“ Sie hielt kurz inne und seufzte erneut. Er sah ihr an das sie mit den Worten kämpfte und nach den richtigen suchte. „Er hat dich sehr geliebt“, kam es dann von ihr, „Du sollst wissen, dass es ihm wirklich leid tat. Alles, was an dem Abend zwischen euch passiert ist. Ich wünschte nur er hätte seinen Stolz vergessen und es dir gesagt, aber du weißt ja: Er war ein alter störrischer Kerl.“ Dieses Mal war es Sylvan  der seine Großmutter in die Arme schloss und fest an sich drückte. „Es tut mir trotzdem leid“, murmelte er. „Vielleicht hätte auch ich einfach über meinen Schatten springen sollen. Vielleicht hätte ich einfach der Klügere sein sollen.“ „Vielleicht…“, sie löste sich von ihm und erneut stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen, „aber vielleicht wärst du dann McGarda.“ Aus dem Haus ertönte das Klirren von Glas. „Ach, ich will gar nicht wissen was das war.“ Seine Großmutter fuhr herum. “Lass uns hineingehen. Bevor die trinkwütige Nachbarschaft noch mein schönes Haus zerlegt.“

Wir alle. Gemeinsam. (Buchblogger-Schreibprojekt)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt