Dann begann das Treppensteigen und in mir kamen die ganzen Erinnerungen auf. Wie ich an der Tür gelauscht hatte, um das Gespräch zwischen Alex und Bastian mitzubekommen. Wie Bastian mir unten auf der Straße erzählte, dass Alex mit irgendwelchen Blondinen schlafen würde. Wie ich mich mit Alex in dem großen Raum mit rundum Blick auf die Stadt gestritten hatte. Offensichtlich dachte Alex an dasselbe und griff wieder nach meiner Hand, was ich selbstverständlich zuließ. Nach ungefähr fünfzehn Minuten Treppen hochsteigen kaman wir in den großen Raum im obersten Stock. Ich ließ meinen Blick noch einmal über die im dunkeln daliegende Stadt schweifen, dann wandte ich mich ab. Ich wollte nicht länger als nötig hier bleiben. Doch Alex schien da anderer Meinung zu sein. Er zog mich an sich, so nah, dass ich den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen sehen zu können. Als er jedoch erstmal schwieg, fragte ich leicht nervös "Was ist?". Dann atmete er einmal tief durch und fing an "Also, ich weiß nicht, ob ich dir es schon mal gesagt habe... aber ich möchte, dass das geklärt ist, bevor wir in die Bärenhöhle 2.0 gehen". Er brach ab und schaute mich an, aber ich war verwirrt "Worauf willst du hinaus?". Er räusperte sich "Also Lucy. Ich möchte das du weißt, dass ich dich brauche, ja? Egal, ob du schwanger bist und Hormonschwakungen hast. Ich brauche es, deine Hand nehmen zu können, damit ich meine Gedanken sammeln kann und mich stärker fühle. Ich brauche dich in meiner Nähe, um nicht vor Sorge durchzudrehen. Ich brauche dein lächeln, wenn die Welt scheiße ist. Ich hasse es, dich in Nicks Armen oder bei sonst irgendeinem Jungen zu sehen. Weil ich will, dass du mir gehörst. Ich will, dass es ein Privileg ist, dich zu berühren und ansehen zu dürfen. Ich will, dass das mein Privileg ist. Weil ich dich... also ich...". 'Sag es, sag es, sag es!' flehte ich in Gedanken.
Obwohl ich auch so fast vor Süße zusammenbrach, hätte er mir mit diesen Worten auch einen Heiratsantrag machen können. Und ich hätte 'Ja' gesagt. Da ich ihn nicht länger mit Schweigen quälen wollte - vorallem weil er das Wort mit 'L' offensichtlich nicht vorhatte zu sagen - sagte ich leise "Das will ich auch, Alex. Ich will dir gehören. Nur ich, alleine. Ich kann es nicht leiden, wenn andere Mädchen dich anhimmelnd angucken. Dann würde ich am liebsten mein Revier markieren". Bei meinen Worten lachte er auf und grinste dann schief "Ab jetzt hast du das volle Recht dazu." Ich lächelte "Du auch".  Und dann küsste er mich so, wie nur jemand küsst, der verliebt ist.

Am Ende des Treppenhauses hatte wohl jemand ein paar Sauerstoffflaschen für Durchreisende deponiert. Alex und ich nahmen uns jeweils eine, steckten uns die Schläuche in die Nase und schulterten die Falsche und betraten die alte Bärenhöhle. Es war unnatürlich still. Tod und verlassen lagen die Gänge vor uns. Keiner von uns beiden sagte ein Wort und so folgten wir schweigend den mir so bekannten Fluren. Ich weiß noch, wie lange ich gebraucht hatte, um mich hier zurecht zu finden. Doch jetzt kannte ich die weißen Flure besser als meine Westentasche. Wo ich gerade so an damals dachte, fiel mir noch ein weiteres Detail auf, worüber ich bis jetzt gar nicht mehr nachgedacht hatte. "Du Alex? Als ich das allererste Mal aus der Krankenstation durch die Gänge zu dem Gespräch mit Colin gelaufen bin... da haben sich die Wände verändert. Die waren plötzlich nicht mehr so weiß, sondern aus Metall und ganz rostig und so. Wo war das? Und warum?". Alex griff geistesabwesend nach meiner Hand, ehe er antwortete "Ein kleiner Teil der Bärenhöhle ist nicht renoviert und noch aus Metall. Dort werden größtenteils Waffen und so Zeug gelagert. Es gibt aber auch ein paar Besprechungsräume. Also zum größten Teil Militärische Sachen. Ich bin selber nicht oft dort". "Ach so" sagte ich zufrieden. Ein weiteres gelöstes Rätsel. Das lief ja besser als gewöhnt. Normalerweise warfen meine Fragen immer bloß noch mehr Fragen auf. Da war es echt angenehm, mal für ein paar Dinge einfach nur logische und simple Antworten zu bekommen.
Und dann ließ ich meine Gedanken noch ein bisschen schweifen, bis wir eine mir sehr bekannte Tür erreichten. Alex stieß sie auf und wir betraten den ehemaligen Raum der Gefallenen. Seit ich das letzte mal darin gewesen war, hatte sich nicht viel verändert. Immernoch lagen unzählig viele Scherben mit den Bruchstücken von Namen auf dem Boden und lange Risse zogen sich durch das noch zusammenhängende Glas. Durch das Licht der am Horizont aufgehenden Sonne wurde der kaputte Raum in mystisches Licht getaucht. Ein angenehmer frischer Wind blies mir die Haare aus dem Gesicht und ich ließ meinen Blick über die grüne Landschaft schweifen. Zum ersten mal hatte ich das Gefühl, dass ich mich auch in der neuen Bärenhöhle zu Hause fühlen werde. "Wollen wir?" fragte Alex mich und schaute zu mir runter. "Los geht's" lächelte ich und trat raus auf die Wiese.

"Was ist eigendlich aus den Kameras geworden, durch die Flynt und seine Leute uns gefunden haben?" fragte, als wir gerade mal fünf Minuten durch das hüfthohe Gras stapften. Da das noch vom Morgentau ganz nass war, war meine komplette Hose klitschnass. "Soweit ich weiß wurden sie ausfindig gemacht und zerstört" antwortete Alex. Ich nickte nur und lief weiter schweigend neben ihm her auf den Wald zu. Es gab zwar keinen wirklichen Trampelpfad, aber der Umzug der ganzen Bärenhöhle hatte doch Spuren hinterlassen. Da ein bisschen zertrampeltes Gras, hier eine leere Plastikflasche. So konnten wir doch ganz gut den Spuren der Rebellen folgen. Obwohl ich die vielen Tiergeräusche immer noch befremdlich fand, war es nicht mehr ganz so schlimm, wie in der ersten Nacht. Fast hatte ich mich ein bisschen daran gewöhnt. Nach einer halben Stunde, in der wir schweigend nebeneinander her gelaufen waren, kamen wir an den Waldrand. "Wo lang jetzt?" fragte ich und blickte zwischen den hohen Bäumen hindurch. Von irgendwelchen Hinweisen, die uns leiten könnten, war nichts zu sehen. "Nick hatte mir vor der Mission erklärt, wie die Bärenhöhle 2.0 ausgeschildert ist. Also irgendwie muss man immer geradeaus laufen. Und wenn man an einen Baum mit einer Kerbe links trifft, muss man nach rechts laufen, wenn man an einen Baum mit einer Kerbe rechts trifft, muss man nach links laufen. Wenn man eine Zeit lang keinen Baum mit Kerben trifft, immer gerade aus" erklärte Alex mir. "Gott, eine sonderlich zuverlässige Wegbeschreibung ist das ja nicht gerade" sagte ich skeptisch. Alex zuckte mit den Schultern "Ich weiß, aber spontan ließ sich nichts besseres einrichten. Ich war ja schon mal dort, wir werden den Weg schon finden". "Okay, dann los" sagte ich und lief schnurrgerade in den Wald.

Bald kamen wir an den ersten Baum mit einer Kerbe. Links, also mussten wor rechts laufen. Nach weiteren zehn Minuten rechts, also nach links. So ging das eine ganze Weile, bis ich nicht mehr durchblickte. Der Wald, der mich am Anfang noch faszinierte, wurde mit der Zeit immer langweiliger und eintöniger. Die gleichen Bäume, die gleichen Tiere, die gleichen Kerben. Wenigstens ging langsam die Sonne auf und es wurde immer heller. Jedoch verlor ich mein Zeitgefühl und so konnte ich nicht sagen, ob erst zehn Minuten oder schon zehn Stunden vergangen waren, als wir schließlich vor einem provisorischem Tor, dass aus zusammengebundenen Ästen bestand, standen. Zwei Rebellen, die ich nicht kannte und am die Eingang Wache standen, nickten Alex und mir zu und ließen uns durch. Ein schmaler Pfad lag vor uns, der zu einer Lichtung führte, auf der Zelte aufgebaut waren. Die neue Bärenhöhle. Doch bevor ich mich umgucken konnte, rief eine bekannte Stimme von links "Hallo Lucy, hallo Alex. Schön das ihr da seit. Kommt her und begrüßt euren neuen Anführer".

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